Mansur Ashkar ist Araber, in Israel geboren und aufgewachsen, war zehn Jahre auf den Weltmeeren unterwegs und hat nun im Westen von Leipzig eine neue Heimat gefunden. Hier hofft er, mit seinen Videos etwas mehr Verständnis und Frieden auf der Welt zu erreichen. Foto: Andreas Bayer
Mansur Ashkar ist Araber, in Israel geboren und aufgewachsen, war zehn Jahre auf den Weltmeeren unterwegs und hat nun im Westen von Leipzig eine neue Heimat gefunden. Hier hofft er, mit seinen Videos etwas mehr Verständnis und Frieden auf der Welt zu erreichen. Foto: Andreas Bayer

Er ist keiner, der um den heißen Brei herum redet. „Ich war ursprünglich Pazifist. Das funktioniert aber nur, solange du keine Feinde hast, die dich vernichten wollen“, sagt Mansur Ashkar. Dann fängt er an, seine Geschichte zu erzählen, denn das ist seine große Leidenschaft, die er sich nun auch zum neuen Beruf aufbauen möchte. Über verschiedene Portale im Internet erreicht er Woche für Woche etwa 25.000 Menschen, seine Videos werden im Schnitt 100.000 mal aufgerufen.

Wenn Mansur Ashkar zu erzählen beginnt, verbreitet sich sofort eine gemütlich warme Atmosphäre, wie am Lagerfeuer lauscht man seinen Geschichten am Frühstückstisch. Denn trotz seiner gerade einmal 41 Lebensjahre hat er schon viel erlebt. Als weitgereister Weltbürger ist er erst vor kurzem in Leipzig angekommen, die deutsche Sprache beherrscht er noch nicht. Hauptberuflich sorgt er seit rund zehn Jahren an Bord von Kreuzfahrtschiffen für Ordnung und Sicherheit.

Als Druse sitzt er stets zwischen den Stühlen

Als Sicherheitschef, der für die Sicherheit der Besatzung und den bis zu 5000 Passagieren zuständig ist, hat er bereits alle Ecken der Welt bereist, die man mit einem Schiff ansteuern kann. In der Regel ist er zehn Wochen an Bord, dann folgt eine Erholungspause von zehn Wochen an Land. In dieser Zeit ist er ebenfalls viel unterwegs, denn durch die Kreuzfahrten und deren international zusammengewürfelte Besatzung hat er heute Freunde auf sämtlichen Kontinenten.

Ashkar ist zwar israelischer Staatsbürger, gehört aber zur verschwindend kleinen Minderheit der Drusen. Diese Religionsgemeinschaft hat sich vor rund 1000 Jahren vom Islam abgespaltet, sie zählen zur arabischen Bevölkerungsminderheit, die rund 21 Prozent der Bevölkerung Israels ausmacht. Etwas über eine Millionen Drusen gibt es weltweit, die meisten von ihnen leben im Grenzgebiet zwischen Syrien, Israel und Libanon. Von daher habe er schon immer Verständnis für beide Seiten des Israel-Palästina-Konflikts gehabt.

Er ist zweisprachig aufgewachsen, zuhause sprach er hebräisch und arabisch. Nach der Schule musste er Militärdienst bei den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) ableisten. Er verpflichtete sich anschließend und diente als Offizier zuerst in einer Spezialeinheit zur Geisel-Befreiung, dann als Unterhändler. Die letzten drei Jahre seines Dienstes verringerte er seine Einsatzzeiten, um nebenbei an der Ben-Gurion-Universität Religionswissenschaft und Psychologie zu studieren.

Von der Freundlichkeit der Leipziger überrascht

Gegen Ende seiner Armeezeit war Ashkar in den österreichischen Alpen wandern, genoss die Natur und die Bewegung an der frischen Luft. Drei Tage später wurde er, wieder im Dienst, mit verstörenden Bildern durch einen Selbstmordattentäter konfrontiert. „Kurz darauf lud mich ein Freund zu einer Kreuzfahrt ein, die in die Karibik führte. Wir legten an einer Privatinsel an, ich lag in der Hängematte, da schlug er mir vor, als Wachoffizier zu arbeiten. Das erschien mir viel verlockender als immer mit Terror konfrontiert zu sein.“

Ausschnitt aus den YouTube-Videos von Mansur Ashkar. Screenshot: Andreas Bayer
Ausschnitt aus den YouTube-Videos von Mansur Ashkar. Screenshot: Andreas Bayer

Seine in Deutschland geborene Ehefrau lernte er noch bei der Armee kennen, auf einem Flug nach Israel. Sie arbeitete für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Westjordanland. „Weil sie auch die israelische Sichtweise des Konfliktes verstehen wollte, verabredeten wir uns in Tel Aviv.“ Als sie sich Jahre später dafür entschieden, ein Kind zu bekommen, fiel die Wahl des gemeinsamen Wohnortes auf Leipzig, wo die Eltern seiner Frau einst studiert haben. „Ich hatte anfangs ein paar Sorgen, wegen des verbreiteten Vorurteils, dass die Menschen in Deutschland kalt und unfreundlich seien. Ich wurde aber jedes Mal überrascht.“ Inzwischen habe er sich in Leipzig verliebt.

Viel Kunst, viel Natur

Die Messestadt biete eine sehr gute Balance: viel Kunst, viel Natur, die Menschen seien bodenständig, gleichzeitig besitze Leipzig einen Großstadt-Vibe, sagt er. „Ich frage mich, warum ich nicht schon viel eher von dieser Stadt gehört habe!“ Nun ist er seit Anfang des Jahres auch offiziell mit Wohnsitz in Leipzig gemeldet, wovor er jahrelang Hemmungen hatte. „Ich hasse Bürokratie, dachte mir, es wird ein Alptraum.“

Dass er aber so schnell und freundlich behandelt wurde und sogar ein Begrüßungspaket geschenkt bekam, ließ ihn sich noch mehr willkommen fühlen. Viele Deutsche dächten schlecht über die Verwaltung, „aber nur, weil sie keinen Vergleich haben, wie es in anderen Ländern funktioniert“, ist sich Ashkar sicher.

„Ich hatte anfangs ein paar Sorgen, wegen des verbreiteten Vorurteils, dass die Menschen in Deutschland kalt und unfreundlich seien. Ich wurde aber jedes Mal überrascht.“

Leipzig sei für ihn als Video-Podcaster wie eine Goldgrube, weil er hier viele interessante Menschen treffen könne. Zum Podcasting sei er gekommen, „weil ein Freund meinte, ich sei der geborene Geschichtenerzähler.“ Vor viereinhalb Jahren sei er in Uganda gewesen, um einem Freund zu helfen, ein Waisenhaus zu bauen. Es stellte sich heraus, dass der Plan viel schwerer und auch teurer umzusetzen war als erwartet. „Da habe ich mein erstes Video gedreht und auf YouTube geteilt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.“ Gerade als er Uganda verließ, kam der Corona-Lockdown, die Kreuzfahrtbranche lag vorübergehend am Boden. In zahlreichen Videos hielt Ashkar den Alltag an Bord eines Kreuzfahrt-Riesen wie etwa der „Quantum of the Seas“ fest.

Durch Terroranschlag zum Umdenken gelangt

„Da hat es bei mir klick gemacht und ich kam schnell in Kontakt mit anderen YouTubern“, sagt er. Geschichten erzählen und diese mit einer schier unbegrenzten Menge weltweit zu teilen, das löse in ihm ein Gefühl des Belohnt Werdens aus. „Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich dafür bezahlt werde“, sagt er mit einem Lachen. Er wollte ursprünglich zwei Videos und einen Podcast je Woche veröffentlichen, gute Laune verbreiten, interessante Menschen vorstellen. Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober hat ihm dabei aber einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Die ersten Videos entstanden an Bord der Kreuzfahrtschiffe, auf denen Mansur Ashkar als Sicherheitschef unterwegs ist. Screenshot: Andreas Bayer
Die ersten Videos entstanden an Bord der Kreuzfahrtschiffe, auf denen Mansur Ashkar als Sicherheitschef unterwegs ist. Screenshot: Andreas Bayer

„Als ich am 7. Oktober aufwachte, war ich hin- und hergerissen, das war ein Wendepunkt“, sagt Mansur Ashkar. Jetzt sei es für ihn an der Zeit, die Angst beiseitezuschieben und friedlich zu vermitteln. Viele Teile der Welt fühlten sich unsicher an für Juden oder Israelis und deren Unterstützer, das gelte es, zu ändern. In diesem Zusammenhang hat ihn beeindruckt, welche Solidarität er in Leipzig wahrgenommen hat. Als die Hamas am 13. Oktober zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen hatte, an welchem jüdische Personen und Einrichtungen weltweit attackiert werden sollten, gab es auch in Sachsen erhöhte Angst vor Anschlägen.

Doch die Akko Hummusbar in Plagwitz, das einzige offen israelische Restaurant der Stadt, erhielt Schutz aus der Bevölkerung. Fußballfans von BSG Chemie Leipzig und Eintracht Frankfurt hielten zusammen mit Nachbarn vor der Bar Wache, später kam auch ein Streifenwagen der Polizei dazu. Ashkar sagt: „Das ließ mich so viel sicherer fühlen.“

Hass und Zuspruch gleichermaßen geerntet

Nun wolle er erstmal den weitverbreiteten Antisemitismus im Internet bekämpfen. Obwohl er damit rechnete, dass sein Kanal gesperrt werden, seine YouTube-Karriere damit zerstört würde. Doch es kam anders: „Ich werde täglich mit Hass konfrontiert, erhalte aber auch Unterstützung in Form von ermutigenden Kommentaren.“

Ein Video erhielt stolze 1,5 Millionen Aufrufe. Darin berichtet Ashkar, wie er Mitte Oktober in Frankreich auf der Straße mit seiner Mutter telefoniert. Anfangs sprach er aus Gewohnheit hebräisch mit ihr, registrierte aber zunehmend argwöhnische Blicke der Umstehenden. Daraufhin wechselte er auf arabisch: „Da war alles wieder gut, die Menschen schienen erleichtert.“ Seine Mutter ist seitdem dennoch besorgt um ihn und verlangt, dass er sich einmal pro Tag bei ihr meldet. Dieses beklemmende Gefühl der Bedrohung habe er jedoch in Leipzig nicht. „Ich bin sehr beeindruckt, wie Deutschland mit der Situation umgeht, ohne die Demokratie einzuschränken“, sagt Ashkar.

Geschichtenerzählen auf YouTube

Das Geschichtenerzählen auf YouTube gefällt ihm sehr. Es sei keine Leidenschaft, sondern ein grundlegendes Bedürfnis. Für ihn ist es ein Gefühl, als ob er mit den unterschiedlichsten Menschen Erfahrungen teilt, weil es viel Interaktion mit den Zuschauern gibt. „Ich habe meine Meinung und das Recht, sie zu äußern“, sagt er. Als Araber mit Verwandten in Syrien und dem Libanon bekommt er auch deren Erfahrungen zu hören. „Sie können sich nicht frei äußern, zumindest wenn ihre Meinung von der des Mobs abweicht“, schiebt er bedauernd hinterher.

Mit der größeren Reichweite komme auch mehr Verantwortung, er müsse nun genau überlegen, was er postet. „Man weiß ja nie, ob das, was wir heute in sozialen Medien hinterlassen, nicht vielleicht hundert Jahre erhalten bleibt und unseren Enkeln noch Einblick gibt, wie wir einmal gedacht haben.“ Geld verdiene er damit bislang nicht, doch seine Hoffnung sei, eines Tages wenigstens die Miete davon zahlen zu können.

Seit Kurzem hat er einen Raum als Studio gemietet, wo er in Ruhe und unter professionellen Bedingungen neue Videos aufnehmen kann. Damit ist die Zeit vorbei, als er noch Abends im Kellerflur des Mehrfamilienhauses filmen musste. Da waren die Aufnahmen nämlich ruiniert, sobald jemand im Haus die Klospülung betätigt hat.

Jeden zweiten Tag ein Video

Auf Instagram teilt er derzeit etwa jeden zweiten Tag ein Video, bei YouTube etwa eines pro Woche. Auf anderen sozialen Netzwerken wie Twitter oder tictoc verweist er auf seine neuesten Beiträge, will dort aber eigentlich nicht vertreten sein, weil der weit verbreitete Hass dort einen schädlichen Einfluss auf die Jugend ausübe, wie er sagt: „Als ich neulich auf einer Pro-Palästina-Demo war, haben mir die Jugendlichen viel Unsinn erzählt. Auf meine Frage, wo sie denn ihre lächerlichen Behauptungen herhaben, antworteten sie mir: Telegram und tictoc.“

Für solche Hatespeech werde es in seinen Videos keinen Platz geben, sagt er mit Nachdruck. Kommende Woche werde er nach Israel fliegen, um seine Mutter zu interviewen. Auch seinen Bruder, der als Fußballtrainer arabische und jüdische Kinder gemeinsam coacht, sowie vom Krieg direkt betroffene Menschen wolle er treffen. Es sei ihm wichtig zu zeigen, dass beide Seiten in diesem Konflikt in Frieden leben könnten.

Doch von der politischen Führung beider Lager würden immer wieder Fehler gemacht. „Sobald ich aber zurück in Leipzig bin, werde ich wieder Videos über das Leben in Leipzig drehen, interessante Leute und Orte vorstellen. „Leipzig ist eine der coolsten Städte, in denen ich je gewesen bin.“ Auch wenn es vier Jahre gedauert hat, bis er wirklich hier angekommen ist: „Jetzt fühle ich mich hier zuhause und bin glücklich damit.“ Andreas Bayer

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