Über diese Muschel ist Peggy Patzschke an der Ostseeküste im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert – nun ist sie ein ganz wichtiger Lebensbegleiter. Foto: J. Wagner

LEIPZIG. Natürlich hat sie den „Stein des Anstoßes“ nach wie vor in der Handtasche: Mit einem Lächeln präsentiert Peggy Patzschke genau jene Muschel, die einst an der Ostseeküste das Leben der Autorin, Journalistin und Moderatorin so nachhaltig verändern sollte.

„Die ist für mich auch ein Stück Ermahnung“, überlegt sie, während sie die Muschel in der Hand hält. Und sie erzählt von jenem Tag an der Ostsee, dieser ersten, durchaus schmerzhaften Begegnung via Drauftreten: „Dann habe ich wirklich über diese Muschel nachgedacht. Über dieses Bild, dass eine Muschel aus einer Störung, einem Eindringling zu einem einzigartigen Schatz machen kann.“ Aus dem Nachdenken ist mittlerweile ein bemerkenswertes Buch entstanden, dass eben jene Schale sogar im Titel trägt – „Das Muschelprinzip“ …

Allerdings ist dies nur ein Teil dieser Geschichte. Ein anderer, wichtiger Teil spielt an einem frühen Sonntagmorgen. An einem Morgen „ohne das übliche Hamsterrad. Und da bin ich aufgewacht und fühlte überhaupt nichts.“ Verloren im „Bermudadreieck der Lebensmitte“, bedrängt von der Frage: „War dies jetzt schon alles?“ Dabei war Peggy Patzschke doch immer dieses Kraftpaket, dieser Kümmerertyp – lange Jahre eine der prägnanten Stimmen der Leipziger Radiolandschaft, dann Fernsehreporterin, Buchautorin. Und plötzlich hatte sie den Kompass verloren, den Kurs gleich mit: „Irgendwie sind mir in meinem Leben die Ziele abhandengekommen.“

Der erste Reflex: noch mehr arbeiten, noch mehr Hamsterrad, noch mehr Aufgaben, noch mehr Gas geben. „Aber dann habe ich mir doch eine Auszeit genommen“, mit dieser schicksalhaften Begegnung an der Ostsee. Mit dem Nachdenken über die Muschel und auch darüber, „wie ich mit den Störungen in meinem Leben agiere“. Und auf einmal waren Inspirationen da, Menschen wie Walter Kohl, „der war bei einer Talkshow meine Lebensrettung“, erzählt sie mit einem dicken Lächeln. Und sie berichtet von der Idee, diesen Brief an sich selbst zu schreiben mit einer Handvoll Wünschen: „Was möchte ich sein in zwei Jahren.“

Vielleicht war dies der endgültige Startschuss für eine außergewöhnliche Entdeckungsreise. Für eine Suche nach Menschen, die sich diese Frage „War dies jetzt schon alles?“ ebenfalls stellten und eine Antwort gefunden hatten. Nein, da ging es nicht mal um ein Buch – dieses Projekt hat erst viel später echte Gestalt angenommen im Kopf – sondern viel eher darum, als Mensch Hilfe zu finden bei anderen Menschen. Einen Rat oder auch einen Tipp, wie man den wiederfinden kann, den eigenen Kurs, den persönlichen inneren Kompass.

Da waren dann Walter Kohl, der älteste Sohn von Altkanzler Helmut Kohl, oder Schauspielerin Jenny Jürgens. Oder Schiedsrichter Babak Rafati und die Rentnerin Inge Sieber, die mit 80 Jahren das Schlagzeugspielen lernte. Der Paralympicssportler Florian Sitzmann. Til Schweiger. Dr. Auma Obama. Peter Maria Schnurr. „Ich hatte diese Liste mit 25 Leuten. Mit Menschen, mit denen ich ganz privat reden wollte über das Leben“, und tatsächlich sprachen all diese Menschen lange und intensiv mit Peggy Patzschke. Über Schicksalsschläge. Und immer wieder über Veränderungen.

„Dann fing ich damit an, auch in meinem Leben ein paar Gleise zu verändern. Ich habe damit begonnen, meine Freundschaftslisten zu pflegen. Und habe meine alten Träume wiederentdeckt“, erzählt sie davon, wie aus diesem „Herzensprojekt“ doch ein Buch wurde. Weil sie das Schreiben wiederentdeckt hatte, „das ich schon als kleines Kind immer wollte – selbst als ich noch gar nicht schreiben konnte“. Und sie spricht darüber, wie sich ein Kreis geschlossen hat – von dem „Muschelprinzip“ zu „Augenblicke“, ihrem ersten Buch aus dem Jahr 2004. „Damals habe ich das Glück draußen auf fünf Kontinenten gesucht. Nun habe ich meinen Blick nach innen gerichtet.“

Andererseits musste dieses „Herzensprojekt“ aber auch einfach raus. Diese Erfahrungen, diese Erkenntnisse, dieses gesammelte Wissen. Darüber, wie man diese ungewisse Reise ohne einen „Lebenskompass“ durch unbekanntes, nebliges Terrain bestehen kann. „Es ist nie zu spät, sich zu verändern“, ja, Peggy Patzschke weiß darum, wie groß die „Klischeegefahr“ in diesem Satz ist: „Aber mir geht es nicht um dieses so oft gepredigte Klischee des ‚Neuerfindens‘. Manchmal sind es die Kleinigkeiten, die es ausmachen. Zum Beispiel bei mir das Nachdenken darüber, wie ich im Alltag Freiräume schaffe – für mich selbst.“

Dabei entdeckte sie das Kind in sich: „Bereits da hatte ich mich mit dem Thema Seelsorge beschäftigt.“ Inzwischen hat Peggy Patzschke eine Ausbildung als Seelsorgerin absolviert. Und sie begleitet Menschen im Hospiz auf dem letzten Weg … Auch dies ist ein Teil des neuen Kurses, den sie ihrem Lebensschiff in der letzten Zeit gegeben hat: „Um Seelsorge betreiben zu können, muss man erst einmal mit sich selbst ins Reine kommen.“

Die Muschel – dies erklärt sie mit dem Brustton der Überzeugung – wird in der Handtasche bleiben. Damit sie sich nicht wieder verstrickt im „Hamsterrad“, damit die gewonnene Lebensfreude und Zuversicht auch bleibt. An Ideen für die Zukunft mangelt es eh nicht – das neu entdeckte Schreiben gibt Aufgaben: „Ich hatte schon als Kind so viel Fantasie. Und immer noch tauchen so viele Bilder auf … Wenn die dann auch haften bleiben, sollte man sie einfach aufschreiben.“ Vielleicht dann mal in einem Kinderbuch …

J. Wagner

www.peggy-patzschke.de

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