Wenn Sandra Lehmann in der Material- und Bastelhalle des Projekts „Restlos“ in der Gießerstraße 29 in Plagwitz steht, ist sie umgeben von unzähligen Kartons und Boxen mit Stoffen, Knöpfen, alten Metallteilen und tausenden weiteren Materialien, die Spender für das Projekt abgegeben haben. Mit Werkzeugen aller Art wird aus Altem und Ausrangierten Neues geschaffen – es geht um Upcycling und dem Erlernen, mit Wertstoffen und der Umwelt verantwortlich und schonend umzugehen.
Auf einem Tisch sieht man aus alten SachsenSonntag-Ausgaben gefaltete Blumen, kleine Vasen für Trockenblumen, aber auch Schachfiguren aus alten Plastikflaschen und sogar Musikinstrumente zum Musizieren haben Studierende kürzlich kreiert.
Verein Mütterzentrum Leipzig ist Organisator
Die ursprüngliche Idee des Projektes kam auf einer Fortbildungsreise nach Italien, an der Erzieherinnen teilnahmen und die der Verein Mütterzentrum Leipzig organisiert hatte, der unter anderem auch Kindergärten betreibt. In der norditalienischen Stadt Reggio Emilia lernten die Pädagoginnen die sogenannte Reggio-Pädagogik kennen, die Kinder bestärkt, ohne Konkurrenzdruck ihre Fähigkeiten und Stärken zu entdecken und über kreatives Gestalten und Lernen ihre individuellen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.
Das und die dazugehörige Materialsammlung zum Basteln sollte es in Leipzig auch geben, waren sich Erzieherinnen und die Mitglieder des Vereins einig. „2016 haben wir übers Internet unsere Halle gefunden, die mittlerweile zu einer echten Schatzkammer an Restmaterialien aus Haushalt, Handel und Handwerk geworden ist“, freut sich Projektleiterin Sandra Lehmann, die mit drei weiteren Kollegen und Kolleginnen und Ehrenamtlichen das Projekt ständig weiterentwickelt.
Basteln, Spielen und Aufklären
„Viele Kinder probieren sich bei uns das erste Mal mit Werkzeugen aus und können völlig frei ihre eigenen Ideen verwirklichen“, so eine der Grundideen des Projekts, erläutert Lehmann, Geeignet sei das Ganze für Kinder ab vier Jahren und aufwärts. „Dazu lernen sie von uns auf spielerische Art und Weise, wie wichtig es ist, nicht alles, was man nicht mehr braucht, gleich wegzuschmeißen.“
Mehr zum Projekt Restlos lesen Sie hier
Mitarbeiter Dio Carrasco arbeitet seit November vergangenen Jahres beim Upcycling-Projekt „Restlos“ mit und freut sich, nicht nur den Kindern bei ihrer Verwirklichung helfen zu können, sondern auch Inhalte seines Studiums der Kunstpädagogik nutzen zu können. „Ich mag den Praxisbezug der Arbeit, die vielen aktiven Projekte, bei denen sich Kinder in alle Richtungen entwickeln können und ganz viele Freiheiten haben“, sagt der Student begeistert.
„Wir sehen uns als Partner für Schulen, Vereine, Firmen und auch die Stadt Leipzig auf dem Weg zu mehr Müllvermeidung, einem anderen Umgang mit Müll, für neue Konzepte.“
Damit Sandra Lehmanns Team möglichst viele Kindergartenkinder und Schüler erreicht, kooperieren die Upcycling- und Müllvermeidungs-Experten mit Schulen im Stadtgebiet, klären die Kids über das Thema Müllvermeidung und Mülltrennung auf. Die Lehrerinnen und Lehrer erfahren, wie dieses Zukunftsthema für die Gesellschaft fachlich und pädagogisch an die Schüler vermittelt werden kann. „Wir sehen uns als Partner für Schulen, Vereine, Firmen und auch die Stadt Leipzig auf dem Weg zu mehr Müllvermeidung, einem anderen Umgang mit Müll, für neue Konzepte, diese Rohstoffe zu nutzen und die Zero-Waste-Strategie der Stadt umzusetzen“, so das langfristige Ziel.
Materiallager in Plagwitz
Mittlerweile ist das Materiallager in Plagwitz bis unters Dach gefüllt. „Die Leute würden uns noch viel mehr bringen, wenn wir mehr Platz hätten“, so Lehmann. Auch sei es für Kinder und Eltern oder auch Schulklassen nicht immer einfach, nach Plagwitz zu fahren. Daher soll nun der Projektgedanke verstärkt in weitere Stadtviertel und Schulen getragen werden. „Für unsere praktischen Angebote vor Ort in den Vierteln bräuchten wir noch mehr Unterstützung und Helfer, denn das Interesse ist riesig“, freut sich Christin Ferch, die die Akquise der nötigen Finanzmittel für die Arbeit verantwortet.
„Unsere Arbeit basiert zum größten Teil auf Spenden und Fördermitteln, und diese müssen jedes Jahr neu beantragt werden“, erklärt die Fundraiserin den permanenten Druck, all die Ideen und Projekte immer wieder aufs Neue finanziell zu hinterlegen. „Wenn wir mehr Menschen erreichen wollen, brauchen wir dezentrale Lager in weiteren Stadtvierteln sowie mehr Personal, um die entstehenden Kooperationen mit Leben zu erfüllen, zum Beispiel als fester Kooperationspartner für mehr Schulen, als Unterstützer bei Ganztagesangeboten, als Ansprechpartner für alle, die mehr zum Thema Abfallvermeidung, Recycling und Upcycling erfahren möchten“, betont Lehmann.
Eine dauerhafte Finanzierung der Arbeit ist daher ihr größtes Ziel, um die Kraft der Mitarbeitenden in die Projekte und die Arbeit mit den Kindern und Partnern investieren zu können, und nicht permanent nach Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen.
2024 geht es in die viertel – elektrisch und mobil.
Das Konzept im Projekt „Restlos“ ist klar: „Wir wollen sehr niedrigschwellig Menschen aufklären, Abfall vermeiden zu lernen oder neue Dinge daraus zu gestalten“, erklärt Lehmann. Ab Mai geht es elektrisch mit neuem Lastenrad und jeder Menge Resten und Ideen im Gepäck nach Paunsdorf, weitere Viertel sollen folgen. „Mit unserem ’Restlos-Mobil’ fahren wir mit Spieldecken, Werkzeug und Material beladen zu den Wohnblocks nach Paunsdorf – dort gibt es auch ein Familienzentrum des Mütterzentrums Leipzig und wollen einfach mit den Kindern und Erwachsenen ins Gespräch kommen und erste Beziehungen aufbauen“, erklärt Beniamino, der mit viel Enthusiasmus und Energie das Projekt mit in die Viertel tragen wird.
Unendlich viel Potenzial
Das Restlos-Mobil ist nur eine neue Idee, mit der das Projekt in diesem Jahr durchstartet, viele andere haben Projektleiterin Lehmann und ihr Team schon im Kopf. „Vor allem wollen wir uns als Kooperationspartner etablieren, zum Beispiel für Unternehmen zur Erfüllung steigender Anforderungen durch die Kreislaufwirtschaft, natürlich auch weiterhin für noch mehr Schulen“, bekräftigt die studierte Geoökologin.“ Jochen Reitstätter