Beim Akrobatik-Training des LSV Mörtitz wird auch der Frauenspagat geübt. Foto: Nannette Hoffmann
Beim Akrobatik-Training des LSV Mörtitz wird auch der Frauenspagat geübt. Foto: Nannette Hoffmann
Seit 16 Jahren hat sich Jeniffer Joost der Akrobatik verschrieben. Vor vier Jahren hat sie die Akrobatik-Abteilung des LSV Mörtitz übernommen, in der sie seit Kindesbeinen an trainiert. Eine Abteilung, die ihre zweite Familie geworden ist.

Es ist Donnerstag, kurz vor 16 Uhr. Kinder wuseln in der kleinen Halle in der Hauptstraße von Mörtitz herum. In wenigen Tagen findet das Stadtfest in Eilenburg statt und die Akrobatik-Abteilung des LSV Mörtitz wird dort wieder einen Auftritt haben. Dafür wird seit Wochen fleißig geübt. Heute werden auch die neuen Outfits ausgegeben. Während sich die Kinder über die Turnanzüge unterhalten, legen die Trainerinnen schon mal die Matten bereit. Das Programm soll einmal komplett durchgeturnt werden.

Dehnung und Krafttraining

Begonnen wird mit der Erwärmung. Diese macht mit vielfältigen Dehnübungen und einer Dauer von knapp 40 Minuten einen Großteil der Trainingszeit aus. „Das ist enorm wichtig, denn die Dehnungen verbessern nicht nur die Beweglichkeit und fördern die Körperspannung, sondern verhindern auch, dass sich die Mädels beim Turnen verletzen“, erklärt Trainerin Jeniffer Joost.

Zu Beginn wird die Hüfte vor und zurück bewegt, dann in kreisenden Bewegungen. Anschließend wandern die Hände an die Zehen und verbleiben eine Weile an Ort und Stelle. Es folgt ein Ausfallschritt als Vorbereitung auf den Frauenspagat. Mit wippenden Bewegungen geht es nach oben und unten, während die Arme noch oben gestreckt sind.

Grundlage fürs Training ist eine ausgiebige Aufwärmung – inklusive Dehnen. Foto: Nannette Hoffmann
Grundlage fürs Training ist eine ausgiebige Aufwärmung – inklusive Dehnen. Foto: Nannette Hoffmann

Für die nächste Übung wird sich in die Grätsche gesetzt. Zu beiden Füßen wandern die Arme jeweils über den Kopf. In dieser Position wird verharrt. Zum Schluss geht es mit geradem Rücken nach vorn zwischen die Beine. Hier kommen die Trainerinnen ins Spiel, die bei denjenigen, die noch nicht ganz auf dem Boden liegen, den Oberkörper vorsichtig ein wenig nach unten drücken.

Nach der Dehnung folgt das Techniktraining von einzelnen akrobatischen Grundelementen. Auch das sei wichtig, schließlich werden diese für Programme und Gruppenübungen benötigt, die dann bei den Auftritten präsentiert werden. Dafür werden die Mädels in Gruppen aufgeteilt – und die Trainerinnen zeigen alle Übungen und Elemente selbst vor. Für das Team sei das „Sport auf Augenhöhe mit den Kids“.

Besondere Gemeinschaft

Anouk (10) trainiert seit vier Jahren in der Akrobatikabteilung. Es sei zwar manchmal auch ganz schön anstrengend, mache in der Gemeinschaft aber auch richtig Spaß. „Ich finde es besonders schön, dass wir auch eigene Ideen für die Auftritte mit einbringen können.“ Das Trainerteam findet sie spitze. „Sie nehmen sich für jeden Zeit und bringen uns alles in Ruhe bei.“

Für Kim (13) steht fest: „Der Zusammenhalt bei uns ist etwas ganz Besonderes. Wir sind eben kein normaler Verein, wir sind eine große Familie.“ Alle kennen sich, alle mögen sich und sind füreinander da. Das treffe auch auf die Trainerinnen zu. „Man kann einfach zu ihnen gehen, wenn mal was ist. Das ist schön.“ Vor allem aber mag sie die Wertschätzung. „Sie loben uns viel. Das bringt jeden einzelnen weiter.“

Gemeinsam stark: Da vergessen die Mädchen auch mal, wie anstrengend das Training ist. Foto: Nannette Hoffmann
Gemeinsam stark: Da vergessen die Mädchen auch mal, wie anstrengend das Training ist. Foto: Nannette Hoffmann

Von der Zirkusartistik zur Vereinsakrobatik

Im September 1992 hat sich die Abteilung unter dem Dach des LSV Mörtitz gegründet. Es war Kristina Gehrt, unter der sich die Akrobatik aufgebaut und entwickelt hat. Viele kennen die rührige Frau aus dem Landratsamt Nordsachsen, da hat sie den Sachbereich Kultur unter ihren Fittichen. Doch von Hause aus ist Kristina Gehrt ­Artistin. Jahrelang war sie mit dem Staatszirkus Berolina unterwegs. „Mit unserer Artistik-Show sind wir quer durch Europa gereist und haben unser Können unter Beweis gestellt“, berichtet Kristina Gehrt. So führte sie dieser Hochleistungssport unter anderem nach Prag, Luxemburg, Belgien, Holland und die Slowakei sowie 1986 auf die Cebit nach Hannover und 1987 sogar zum Internationalen Circus-Festival nach Monte Carlo.

1989 zog Kristina Gehrt nach Mörtitz. „Da habe ich angefangen zu überlegen, wie es weitergehen kann.“ Sie sattelte um, nahm eine Stelle im Kreiskabinett für Kulturarbeit an. „Es war der richtige Zeitpunkt. So hat es mich nach der Wende nicht eiskalt erwischt“, sagt sie rückblickend.

Ganz aufgeben, wollte sie ihr altes Hobby aber nicht und fragte beim Tischtennisverein des LSV an, ob sie die Halle nicht auch für eine neue Abteilung nutzen könne. Der sagte sofort ja. Also startete Kristina Gehrt mit sechs Mädels aus dem Dorf in diesen Sport. Jährlich kamen mehr dazu. 2008 dann Jeniffer Joost.

Lob und Hilfestellung bringen die Mädchen weiter. Foto: Nannette Hoffmann
Lob und Hilfestellung bringen die Mädchen weiter. Foto: Nannette Hoffmann

Später Einstieg

Seit ihrem dritten Lebensjahr wohnt Jeniffer Joost in Mörtitz. „Da kommt man irgendwann an dem Verein nicht mehr vorbei“, sagt die 26-Jährige lächelnd. Und doch hat es bei ihr gedauert. Erst mit zehn Jahren kam sie zur Akrobatik. „Das ist recht spät, weil man dann nicht mehr so gelenkig ist“, meint sie. Und belegt das auch gleich: „Ich habe länger als andere gebraucht, bis ich Spagat oder Brücke aus dem Stand hinbekommen habe.“

Aufgeben war nie eine Option. Am Ball bleiben und üben seien ihre Zauberworte. „Aber Leistung ist nicht das, was bei uns zählt“, betont sie. „Wir nehmen nicht an Wettkämpfen teil, bei uns steht der Spaß im Vordergrund.“ Nach den jeweiligen individuellen Fähigkeiten wird für die Mädels genau der Programmpunkt oder das Zusammenspiel gesucht, das zu ihnen passt. Ein Ansatz, den bereits Kristina Gehrt so gelebt hat. Für Jeniffer Joost hat sich so die Position des Untermanns herauskristallisiert.

Gemeinsam durch die Krise

Gefallen hat ihr schon immer die familiäre Struktur der Abteilung. „Hier kennt sich jeder, hier passt man aufeinander auf, hier entwickeln sich Freundschaften.“ Das sei auch ein Grund, weswegen die Abteilung so gut durch die Corona-Pandemie kam. „Es ging darum, Kontakt zu halten, zu wissen, wie es den Kindern geht.“ Jeniffer Joost habe Übungspläne für zu Hause geschrieben, hat mit den Kindern telefoniert oder geschrieben. „Die Kids haben wiederum Videos geschickt, wo und wie sie trainieren, was sie geübt haben. Das war so schön zu sehen“, sagt sie. Dabei waren die Kids kreativ, haben Figuren an der Bushaltestelle oder im Wald gefilmt.

Irgendwie haben sich alle in dieser schwierigen Zeit gegenseitig gestützt. „Während andere Vereine nach Corona nicht mehr auf die Beine kamen, haben wir es geschafft, unsere Mitglieder fast zu verdoppeln“, sagt Trainerin Jessica Schwan stolz. Und blickt zu Jeniffer rüber. „Ohne dich wäre das aber nicht möglich gewesen.“

Die meisten Mädchen fangen bereits in jungen Jahren mit dem Training an – nicht so Jeniffer Joost. Foto: Nannette Hoffmann
Die meisten Mädchen fangen bereits in jungen Jahren mit dem Training an – nicht so Jeniffer Joost. Foto: Nannette Hoffmann

Einsatz für die Kinder

Man merkt schnell, die Abteilung, allen voran die Kinder, liegen Jeniffer Joost sehr am Herzen. „Wir geben den Kindern hier eine Möglichkeit, Sport und Gemeinschaft zu ­leben und zu erleben“, sagt sie. Sportlich werden sie in Gleichgewicht, Koordination und Beweglichkeit geschult. Gleichzeitig lernen sie Vertrauen zu schenken – ihren Mitstreiterinnen, sich selbst und den eigenen Fähigkeiten. „Dabei wollen wir sie unterstützen und fördern.“ Mental können sie bei Vereinsfahrten oder Camps einfach mal abschalten.

Für die Trainerin ist es wichtig, dass jeder mitmachen kann. „Unser Vereinsbeitrag liegt bei 30 Euro im Jahr, damit wirklich jeder die Chance hat, sich zu bewegen und am Vereinsleben teilzunehmen. Auch beim Trainings­lager, das ich im vergangenen Jahr erstmalig organisiert habe, bin ich bewusst in der Mörtitzer Halle geblieben. Nicht alle Eltern können finanziell neben Klassenfahrten und Co. solche Veranstaltungen stemmen. In erster Linie soll es aber darum ­gehen, schöne Erlebnisse und Erinnerungen für die Mädchen zu schaffen“, fügt sie hinzu.

Ehrenamt gibt auch zurück

Doch auch für sie selbst bringt dieses Ehrenamt im wahrsten Sinne des Wortes viel. „Als Krankenschwester auf der Intensivstation sieht man so viel, da brauche auch ich einen Ausgleich.“ Diesen bietet der Verein mit Trainerstab und den Mädels. „Ich finde es toll, wenn die Kids mir zeigen, was sie geübt haben. Das gibt mir die Kraft für meinen Alltag.“

Ein großer Vertrauensbeweis für sie sei, wenn die Kinder kommen, weil sie Probleme oder Liebeskummer haben. „So sind wir nicht nur Trainer, sondern auch Freundin und Seelsorgerin. Aber immer aus Überzeugung und mit Leidenschaft, weil wir den Sport und die Menschen hier mögen“, so Jeniffer Joost.

40 Mädels trainieren aktuell in der Akrobatikabteilung und es kommen immer wieder neue hinzu. Auftritte gibt es zwischen 10 und 15. Sie seien die Belohnung für die Mühen. „So können die Kids auch den Eltern zeigen, was sie alles können.“ Aufgetreten wird zum Beispiel zu privaten Familienfeiern. „Dann erarbeiten wir extra ein Programm, abgestimmt auf die jeweiligen Jubilare“, berichtet Jeniffer Joost. Zahlreiche Stadt- und Dorffeste stehen ebenso auf der Liste.

Danke möchte sie den Eltern sagen. „Sie bringen sich bei uns enorm ein, sind eine große Stütze bei Auftritten, den Trainingslagern oder Faschingsveranstaltungen.“ Auch ihren Mann Benjamin dürfe man nicht vergessen, „denn ohne seine Unterstützung könnte ich gar nicht so aktiv im Verein agieren. Er musste schon früh viel Freizeit opfern und akzeptieren, dass sich mein Privatleben nach den Terminen der Akrobatikabteilung richtet und nicht andersherum.“ Mittlerweile kümmert er sich bei Auftritten um die Musik und Technik.

Keine Nachwuchssorgen

Vor vier Jahren hat Kristina Gehrt angefangen, den eigenen Nachwuchs zum Trainer heranzuziehen. Für sie war klar, das Jeniffer Joost mal in ihre Fußstapfen treten wird. „Sie passt einfach perfekt.“ ­Also hat sie vor zwei Jahren die Führung ganz in ­deren Hände gegeben. Neben ihr komplettieren Jessica Schwan (18) und Lana Grau (15) das Trainerteam. Ganz zurückgezogen hat sich Kristian Gehrt aber nicht. „Ich stehe in der zweiten Reihe mit Rat und Tat den ­Mädels zur Seite, helfe bei Vorbereitungen, beim Programm und entwerfe neue Kostüme.“ Sie findet es schön zu sehen, wie sich die Abteilung entwickelt hat. So wird es in ihren Augen weitergehen. Nannette Hoffmann

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