Es war – na klar – auf bei Stefanie Bose der Zufall, der eine lebenslange Leidenschaft und Verbundenheit entfachte: Der Zufall in Form des Freiwilligendienstes, der sie gleich nach dem Abitur in den tiefsten Osten der Slowakei führte. Ein Zufall, der damit irgendwie auch dafür sorgte, dass sie nunmehr an der Spitze des neuformierten Vereins Städtepartnerschaft Leipzig – Brno steht. Im Jahr 2023 hat sie da eine ganze Menge zu tun: Diese Städtepartnerschaft feiert das 50. Jubiläum.
Eigentlich sollte es überhaupt nicht die Slowakei werden, erzählt Stefanie Bose mit einem Lächeln. Eher schon Südamerika, das war der Kontinent, der sie lockte unmittelbar nach dem Abitur: „Aber dann bin ich auf ein Projekt im Osten der Slowakei gestoßen – tatsächlich rein zufällig. Da war ein Freiwilliger abgesprungen und schon war ich zwei Monate später in einem Dorf mit vielleicht 1000 Einwohnern direkt an der Grenze zur Ukraine.“
Das war – auch daraus macht sie mit einem Lächeln keinen Hehl – ein echter Kulturschock; auch wenn sie aus einer eher kleineren Stadt kam: „Aber das war richtiges Landleben: Jede Familie hatte ihr Stück Land, hatte ihr Schwein. Aber ehrlich: Das hat mir riesigen Spaß gemacht. Weil man sehen konnte, wie alles wächst. Man kann im Herbst das ernten, was man im Frühjahr ausgesät hat. Für mich war dies wirklich außergewöhnlich.“
Nicht nur das Landleben sorgte für Begeisterung
Aber es war nicht nur das Landleben, das nachhaltig begeisterte – noch viel prägender sollte die Begegnung mit der slowakischen Sprache werden. Die sich zunächst auch nicht einfach gestaltete, „auch wenn ich schon immer ganz schön sprachaffin war. Doch in meiner Gastfamilie sprach man nur slowakisch – also musste ich die Sprache rasch lernen“. Was wiederum die Zuneigung zu Land und Leuten nur noch weiter verstärken sollte – mit interessanten Nebenwirkungen, wie Stefanie Bose später feststellen sollte: „In diesem Dorf hat man mit einem sehr starken Akzent gesprochen.
So stark, dass ich im Studium dann hoch-slowakisch gewissermaßen neu lernen musste.“ Klar, ein wenig schwingt in diesen Worten die Sehnsucht mit, die Sehnsucht nach diesem kleinen Dorf ganz im Osten: „Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr dort – aber da kann ich nicht nur für eine Woche zum Besuch fahren. Da brauche ich mehr Zeit.“
Zeit, die sie gerade in diesem Jahr nicht hat. Der Terminkalender ist knackevoll. Im Juni erst stand wieder ein Besuch in tschechischen Brno an, in jener Partnerstadt, mit der Leipzig seit fünf Jahrzehnten verbunden ist. Und die Stefanie Bose ganz besonders am Herzen liegt – nicht nur die Nähe zur Grenze zur Slowakei spielt da eine Rolle. Durch das Studium der Westslawistik waren rasch die Berührungspunkte da.
Und ein Lebenspartner aus Tschechien sorgte auch dafür, dass Stefanie Bose sich rasch mit der Lebenswirklichkeit im Nachbarland verbunden fühlte. Mit der Sprache, mit den Traditionen und natürlich auch mit der Geschichte: „Der Marsch der Versöhnung war bei unserem Besuch in Brno ein sehr zentraler Punkt – mit dem klaren Motto, dass wir gemeinsam in die Stadt gehen.“ Womit für sie der entscheidende Ansatz dieser und irgendwie eigentlich aller Städtepartnerschaften feststeht: Öffentlichkeit schaffen, Möglichkeiten bieten für einen Austausch zwischen den Menschen – über Ländergrenzen hinaus.
Großes interesse an einem Fachaustausch
Dabei – dies sagt Stefanie Bose ziemlich anerkennend – gerade dem fachlichen Austausch in Brno ein bemerkenswert hoher Stellenwert eingeräumt wird. Die Gesprächskanäle werden rege genutzt – zwischen den beiden Verwaltungen beispielsweise, aber auch zwischen Theatern und Musikhäusern. Dann wird auch schon mal über die Orgeln in Leipzig und Brno gesprochen oder über Dinge wie Nachhaltigkeit. „Dieser Austausch ist eine wichtige Ebene der Städtepartnerschaft, die man eigentlich gar nicht so auf den ersten Blick sieht“, erzählt sie. Aber eine Ebene, die aus ihrer Sicht enorm wichtig ist: „In Brno legt man darauf einen großen Wert und dies nicht nur im Austausch mit Leipzig, sondern auch mit den anderen Partnerstädten. Vielleicht könnte man dieses ausgeprägte Interesse dafür, wie man die Probleme in anderen Städten angeht, auch bei uns aufgreifen …“ Das „Voneinander lernen“ ist da wohl das entscheidende Stichwort.
Jubiläum der Städtepartnerschaft Leipzig und Brno
Dabei ist die Ausgangslage ausgezeichnet – mit dem Jubiläum der Städtepartnerschaft ist die Beziehung zwischen Leipzig und Brno in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Was auch den (Neu-)Start des Vereins, der sich um die Pflege dieser Beziehung kümmern möchte, auch ein wenig vereinfachte. „Beim Vorgänger-Verein, der ja bis 2016 gearbeitet hat, stand vor allem der kulturelle Austausch im Blickpunkt“, überlegt Stefanie Bose – daran wolle man natürlich anknüpfen, aber auch ein wenig weiterdenken.
„Im Vorfeld haben wir in unserer Tschechien-Runde lange darüber nachgedacht, ob wir einen neuen Verein gründen sollten“, erzählt sie weiter: „Aber letztlich haben wir uns doch für einen Städtepartnerschaftsverein entschieden: Da haben wir eine andere Basis, andere Möglichkeiten, um Projekte auf die Beine zu stellen.“
Das nötige Know-how bringt die Vereinsvorsitzende aus dem Westslawistik-Studium (mit dem Schwerpunkt Slowakei) mit – dort hat Stefanie Bose schon zahlreiche Projekte auf den Weg gebracht. Erfahrungen, die anno 2023 unbedingt helfen, „denn auch im Ehrenamt steckt heutzutage ganz viel Professionalität drin“. Nur mit dieser Professionalität entsteht Nachhaltigkeit – davon ist die Vorsitzende des Städtepartnerschaftsvereins Leipzig – Brno überzeugt: „In dem Austausch brauchen wir eine Kontinuität. Sicher, dieses Jubiläumsjahr gibt uns einen enormen Schub – und es ist perfekt geeignet, um ein Verständnis für die Bedeutung einer Partnerschaft über die Grenzen hinaus zu wecken. Aber darüber hinaus brauchen wir langfristige Beziehungen, gewissermaßen ein echtes Netzwerk.“
Wobei man sich auf die traditionell engen Beziehungen von Leipzig in Richtung Osten, zu den Nachbarländern Polen und Tschechien stützen kann. Und auf historische Verbindungen, die man bis zum heutigen Tag auch in einer Stadt wie Brünn nachvollziehen kann. Was sich interessanterweise auch in den Sprachkenntnissen der Menschen in Brno niederschlägt: Deutsch sei da ganz schön weit verbreitet, hat sie beobachtet: „Da ist es ein wenig schade, dass in Leipzig keine Schule gibt, die einen Unterricht in der tschechischen Sprache anbietet.“
Brieffreundschaften über Ländergrenzen hinaus
Allerdings – dies räumt sie auch ein – ist Tschechisch gerade in grammatikalischer Hinsicht auch keine ganz leichte Sprache. Wobei dies wohl auch immer eine Frage der Perspektive ist: „Mit Französisch habe ich mich viel schwerer getan.“ Stichwort Affinität zu Fremdsprachen: Schon am Gymnasium habe sie Brieffreundschaften in sechs verschiedene Länder gepflegt, erzählt Stefanie Bose mit einem Lächeln. Und sie hat dabei eine interessante Erfahrung gemacht: „Je mehr Sprache man schon kennt, desto leichter fällt das Lernen einer neuen Sprache. Einfach, weil man bereits die unterschiedlichen grammatikalischen Modelle kennt. Aber andererseits bin ich bei Sprachen schon eher der intuitive Typ.“
Was allerdings die Liebe zum Detail keinesfalls ausschließt – gerade bei der tschechischen Sprache, die ja inzwischen nicht allein nur Leidenschaft, sondern auch Beruf geworden ist. Sie arbeitet als Sprach- und Kulturmittlerin für Tschechisch und Slowakisch, als Dolmetscherin und Übersetzerin. Da sind spannende Projekte in der Pipeline – etwa die Übersetzung von Gedichten einer slowakischen Dichtern, „eine echte Königsdiziplin“. Und in dieser Eigenschaft ist Stefanie Bose ganz dicht dran am literarischen Puls der Nachbarländer: „Da hat sich mit den jungen Autorinnen und Autoren eine Menge verändert – auch für mich als Übersetzerin. Gerade bei den Slang-Begriffen ist man schon gefordert – aber es ist auch eine spannende Sache.“
Dabei ist ihr eines klar: Die Literatur aus Tschechien, aus der Slowakei ist dann doch eher eine Nische. Nichts für den ganz großen Markt – aber nicht zuletzt dank „Ahoj“, jenem Programm, bei dem sich tschechische Autorinnen und Autoren auf der Leipziger Buchmesse vorstellen konnten. „Das wirkt schon ein ganzes Stück weit nach“, überlegt Stefanie Bose.
Bürgerreise stößt auf großes Interesse
Schwenk ins Jubiläumsjahr 2023 – das hat sich gut angelassen, findet die Vereinsvorsitzende. Und über eines staunt sie immer noch: „Bei unserer Bürgerreise, die im Oktober stattfinden wird, hat uns das große Interesse schon richtig überrascht. Aber auch da sieht man die gewachsenen Verbindungen: Gerade ältere Leipzigerinnen und Leipziger kennen Brünn noch aus eigener Erfahrung – das Motodrom ist zum Beispiel für viele nach wie vor ein Begriff.“ Angesichts der großen Nachfrage nach Bürgerreise-Plätzen kann es sich Stefanie Bose auch gut vorstellen, daraus eine neue, regelmäßige Tradition zu machen.
Die Mitgliederzahl soll weiter wachsen
Diese Idee der Verstetigung schwingt immer mit, wenn es um den neuen Verein geht – auch wenn dieser noch die ein oder andere Gründungsproblematik zu bewältigen hat. „Ein nächster Schritt müsste sein, dass wir unsere Basis an Mitgliedern weiter ausbauen“, überlegt die Vereinschefin und ergänzt: „Nur so kann man ein lebendiges Vereinsleben gestalten.“ Immerhin – ein Grundstein in Sachen Vielschichtigkeit ist gelegt, in der Gründungsrunde saßen Studierende neben Rentnern. „Ja, wir sind schon eine bunte Runde, aber damit finden sich auch unterschiedliche Erfahrungen, Kontakte und Interessen zusammen.“
Im Jubiläumsjahr 2023 hat sich Stefanie Bose noch eine weitere Aufgabe gestellt: Sie arbeitet mit daran, jene Broschüre aus dem Jahr 2013 – damals erschienen zum 40. Jubiläum der Städtepartnerschaft Leipzig – Brno – mit einem Update auf den aktuellen Stand zu bringen. „Bei meiner Recherche im Stadtarchiv und darüber hinaus habe ich festgestellt, dass es da doch wesentlich mehr Dokumente und Spuren gibt als man denkt“, erzählt sie und berichtet von der Leipziger Malerin Petra Flemming und den großformatigen Bildern, mit denen sie einst die Verbundenheit zu Städten wie Brno oder Kiew in Szene setzte: „Ihr Sohn hat diese Bilder, die als verschollen galten, auf einem Scheunen-Flohmarkt wiedergefunden.“
Neue Broschüre wird im Jahr 2024 folgen
Solch spannende, aufregende Geschichten aus fünf Jahrzehnten Städtepartnerschaft sollen sich dann in einer neuen Broschüre wiederfinden: „Ja, es gibt schon eine Mini-Chronik auf unserer Webseite, aber wir wollen uns schon die Zeit nehmen, alles auch nachhaltig aufzuarbeiten – deshalb wird die Broschüre auch erst im nächsten Jahr erscheinen.“ Immerhin: Es gibt in den kommenden Wochen und Monaten noch genug andere Termine mit direktem Brno-Bezug: Zum Vorlesefest „LeseLust im August“ im Clara-Zetkin-Park heißt es beispielsweise am Sonntag, 6. August, ab 10 Uhr „Ahoj & Czesc“ und es geht auf ein Lesereise nach Polen und auch in das tschechische Brünn …
Jens Wagner
Weitere Infos: www.leipzig-brno.de