Doch, sie hat Leipzig aufrichtig liebgewonnen in den vergangenen Monaten. Dabei ist Victoria Coeln eine bekennende Wienerin, aber „Leipzig hat schon das Potenzial, zu einer Heimatststadt zu werden“. Und die spannensten Momente sollten ja noch kommen für die Lichtkünstlerin …
Zu Besuch im Museum der bildenden Künste, unten im Untergeschoss – temporäre Heimat und Arbeitsplatz der Wiener Künstlerin Victoria Coeln. Natürlich geht es erst einmal um das Mitmachen, um das Loslassen, um das „Sich-einlassen-auf-das-Licht“. Und sie erzählt, wie dieses Lichtstudio die Menschen begeistert hat – und angeregt hat zum Mitmachen. Schon allein diese Erfahrungen machen ihr Gastspiel in der Messestadt zu etwas unglaublich Wertvollem – mal ganz abgesehen davon, dass sich die große Bühne für ihre Arbeiten jetzt erst geöffnet hat mit dem ersten Lichtraum in der Nikolaikirche, den man seit Mittwoch erleben kann.
Ein in mehrfacher Hinsicht trefflicher Ort – natürlich vor dem Hintergrund der Geschichte der Friedlichen Revolution, die in eben dieser Nikolaikirche ihren Anfang nahm. Aber auch mit Blick darauf, wie die Wienerin Victoria Coeln in die Messestadt gekommen ist. „Es ist ein fester Grundsatz meiner künstlerischen Arbeit, dass ich mir die Orte ganz gezielt und bewusst suche“, erklärt sie – und damit wird klar, dass nicht Leipzig die Künstlerin gefunden hat, sondern Victoria Coeln die Messestadt. „Ich bin also zum ersten Mal in die Nikolaikirche gegangen, um herauszufinden, ob dieser Raum etwas für mich ist“, erinnert sie sich: „Und es war für mich eine großartige Erfahrung.“
Was dann folgte, darf man wohl unter der Begrifflichkeit „glückliche Fügung“ einordnen: Im Gespräch vor Ort wurde die Lichtkünstlerin auf das Lichtfest aufmerksam gemacht, und schnell kam das eine Naheliegende zum anderen Naheliegenden – mit dem Ergebnis, dass Victoria Coeln im Mai dieses Jahres die neue, temporäre Heimat Leipzig gefunden hat. Mit einer großen künstlerischen Aufgabe: Insgesamt sechs Lichträume werden im wahrsten Sinne des Wortes den Weg weisen zum Lichtfest am 9. Oktober – ein Termin, auf den sie mit großer Spannung blickt: „Was da genau passieren wird, weiß man ja nicht – wie sich zum Beispiel die Schatten und Bewegungen der Besucherinnen und Besucher mit den Videoprojektionen und dem chromotopen Licht verbinden werden.“
Damit fügt sich Leipzig wunderbar ein in die bisherige Arbeit einer Frau, die sich in diesem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst zu Hause fühlt. Einfach, weil sie beides in einer Person ist: Hier die studierte Bühnenbildnerin, dort die ebenso studierte Mathematikerin, die aber vor allem das Verbindende erkennt: „In beiden Bereichen hinterfragt man sich ständig. Und sowohl in der Kunst wie auch der Wissenschaft kommt man stets auf die Erkenntnis, dass sich immer mehr Fragen stellen, je mehr Antworten gefunden werden.“
Ein bisschen erklärt dies wohl auch, warum Victoria Coeln ausgerechnet auf das Licht gestoßen ist als künstlerisches Mittel. Auch wenn sie mit einem Lächeln erzählt, dass Licht schließlich schon mit der Geburt ins Leben tritt und davon, angetrieben von der Idee des „Geistesblitzes“ schon früh der „Licht-Faszination“ erlegen ist, war es letztlich auch eine ästhetische Entscheidung: „Ich war auf der Suche nach der intensivsten Farbe, und da kommt man automatisch auf das Licht.“ Eben dieses hat sie inzwischen an viele Orte gebracht – nach Burgos oder Frankfurt/Main, in die Türkei, nach Zypern und immer wieder nach Wien. Das Spannende dabei: Es geht nie um einen ästhetischen Selbstzweck, es ist immer eine Auseinandersetzung – mit Räumen, mit Geschichte, mit Menschen. Victoria Coeln hat für diese künstlerische Auseinandersetzung auch eigene Begrifflichkeiten geprägt: „Chromotopia“ nennt sie jene „Lichtinterventionen“ und erklärt: „Diese Idee, eine eigene Sprache zu finden, ist in meinem Verständnis ja auch ein Teil der künstlerischen Arbeit.“
Leipzig – dies hat sie in ihrer Arbeit seit dem Mai in der Messestadt längst herausgefunden – bietet einen idealen Raum für diese „Lichtinterventionen“. Als Stadt, in der Weltgeschichte nach wie vor geradezu mit den Händen zu greifen ist. Und Victoria Coeln war und ist sich dieser Weltgeschichte seit Kindesbeinen bewusst: „Ich habe mich damals ja auch ganz gezielt für das Studieren in meiner Heimatstadt Wien entschieden, weil die Stadt zum einen ein anderes Tempo hat und andererseits in der Nähe des ‚Eisernen Vorhangs‘ lag.“ Und sie erzählt nachdenklich von den unheimlichen Gefühlen auf den Transitstrecken, auch von der eigenen Arbeit als Bühnenbildnerin im Warschau der Jahre 1988/89. Um schließlich festzuhalten: „Das Thema Versöhnungsarbeit finde ich unglaublich spannend.“
Ein künstlerischer Antrieb, der sich auch in den Leipziger Lichträumen wiederfinden wird – einfach, weil sie im Lichtstudio im Untergeschoss des Museums der bildenden Künste alles aufgesogen hat, was (gerne auch zufällige) Begegnungen an Input mit sich gebracht haben. „Ich habe beispielsweise im Gespräch mit Zeitzeug*innen immer versucht, aus der klassischen Bubble rauszutreten“, überlegt sie: „Zeitzeug*innen sind für mich beispielsweise auch Menschen, die die Geschichte der Friedlichen Revolution etwa in der eigenen Familie übertragen bekommen.“ Und so landet man beinahe automatisch bei einem ganz wichtigen Wort: Vielfalt.Es ist seit jeher ein Grundsatz der zutiefst demokratischen Ästhetik in der Arbeit von Victoria Coeln: Hier muss sich Vielfalt finden. Jene Vielfalt, die Gesellschaften ausmacht. „Wir schaffen Raum für Selbstermächtigung“, erklärt die Lichtkünstlerin und verweist da auf den so wichtigen (gesellschafts-) politischen Aspekt ihrer Arbeit – den sie übrigens ganz ausdrücklich vom klassischen parteipolitischen Verständnis getrennt wissen will. „Ich finde, das Außergewöhnliche an dem Leipziger Projekt ist die Tatsache, dass die Geschichte noch so unglaublich lebendig ist“, überlegt sie: „Man kann im Hier und Jetzt darüber nachdenken, was davon in die Zukunft weist.“
Doch Obacht! Keine vorschnellen Schlüsse! „Auch in Kirchen wie etwa dem Wiener Stephansdom ist die Geschichte noch etwas unglaublich Lebendiges“, deshalb ist der Prozess des Aufspürens eben dieser historischen Spuren immer etwas ganz Besonderes für Victoria Coeln. Spuren, die von Menschen gezeichnet und hinterlassen wurden – und die sie mit ihren „Chromotopia“ nachzeichnen möchte: „Ich habe einmal ganz allein im Strasbourger Dom gestanden – dann nimmt man diese Räume ganz anders wahr.“ Auch aus diesem Grunde empfindet sie ihre Arbeit in Leipzig als echten Glücksfall – einfach ob der Zeit, die sie hier durchlebt. Mit diesem stetigen Wechsel an Input und „Wirkenlassen“, der das Kennenlernern ja auszeichnet. Und jene Nachhaltigkeit entstehen lässt, die ihr so wichtig ist: „Es geht nicht darum, mit diesem Projekt die Eventkultur zu pflegen. Ich möchte vielmehr Interaktion erreichen, neue Begegnungen.“ Und wieder geht es um die Spannung des Unberechenbaren, die auch mit dem Blick auf jene fünf Lichträume da ist, die auf dem Weg zum Lichtfest noch erschlossen werden.
Natürlich tut dies Victoria Coeln nicht allein: Längst hat sie angedockt an die kreative, die künstlerische Szene von Leipzig – und sie reingeholt in die Lichträume. Den Verein Livelyrix zum Beispiel und das Jugendparlament der Stadt, das ein Statement performen will. Das Leipziger Ballett mit Mario Schröder oder den Landesposaunenwart Jörg-Michael Schlegel. „Inzwischen bin ich auch mit der Leipziger Off-Szene ganz gut verbunden: Da sind Musikerinnen wie Simone Weißenfels, Alex Pehlemann, Gwen Kyrg, Julian aka darktonemedia und Maria Wolfsberger – mit ihnen habe ich in der Nikolaikirche Aufnahmen für den Lichtring/das Lichtfest am 9. Oktober gemacht“, erzählt sie mit einem Lächeln und ergänzt: „Deshalb verstehe ich heute auch viel besser, was in dieser Stadt passiert.“ Das macht die Liebeserklärung an die Messestadt ja so bemerkenswert: Victoria Coeln kennt ihr Leipzig inzwischen schon richtig gut. J. Wagner