Die Leipziger Autorin Rebecca Maria Salentin radelte 10.000 Kilometer mit dem Rad am Eisernen Vorhang vom Schwarzen Meer bis zur Barentssee. Foto: privat
Die Leipziger Autorin Rebecca Maria Salentin radelte 10.000 Kilometer mit dem Rad am Eisernen Vorhang vom Schwarzen Meer bis zur Barentssee. Foto: privat

Rebecca Maria Salentin kommt im bunten Sommerkleid zum Interview. Die Pollen machen ihr zu schaffen, sagt sie, und hustet während des Gesprächs oft. Die Mechaniker aus der Werkstatt bringen später sogar noch das reparierte Trekkingrad vorbei. Die Bremse sollte nun wieder funktionieren. 1800 Kilometer radelte die Leipzigerin mit angezogener (!) Bremse durch Finnland, überquerte damit sogar den Polarkreis.

Es ist nur eine der Eskapaden, die die ­44-Jährige auf ihrer Tour auf dem Iron ­Curtain Trail erlebte. 10 000 ­Kilometer legte ­Salentin mit dem Drahtesel zurück – vom Schwarzen Meer bis in den Norden Finnlands, immer entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Was sie erst hinterher erfuhr: Sie war der zweite Mensch, der diese Strecke überhaupt am Stück abfuhr und die erste Frau, der das gelang.

„Klub Drushba“ wurde zum Bestseller

Über ihre Erlebnisse hat die Leipzigerin ein Buch geschrieben, das den passenden Titel „Iron Woman” trägt. Es ist das zweite, das die Frau mit dem Lockenkopf über ein Outdoor-Abenteuer verfasst hat. Ihr erster Reisebericht „Klub Drushba” handelt von ihrer Wanderung auf dem Weg der Freundschaft von Eisenach nach Budapest – und wurde ein Bestseller. Doch ­Salentin merkte schon unterwegs: „Ich bin keine Wanderfreundin, ich hab immer nur geschimpft und gemeckert.” Klar, sagt sie, sie genoss es, draußen zu sein, nah an den Menschen und an der Region. „Doch das Wandern an sich und der Rucksack auf dem Rücken, das war nicht mein Ding.“

Es war eine Ehe mit Hindernissen - so beschreibt Rebecca Maria Salentin das Verhältnis zu ihrem Fahrrad, das sich nicht immer problemlos fahren ließ. Foto: André Kempner
Es war eine Ehe mit Hindernissen – so beschreibt Rebecca Maria Salentin das Verhältnis zu ihrem Fahrrad, das sich nicht immer problemlos fahren ließ. Foto: André Kempner

Also stieg sie diesmal aufs Fahrrad, um dennoch „langsam voranzukommen und schnell Menschen kennenzulernen”. Das gelänge auf dem Drahtesel oder zu Fuß um einiges besser als etwa im Auto. Ursprünglich war die Reise für 2020 geplant. Doch die Corona-Pandemie verzögerte den Trip, auch weil viele Ländergrenzen geschlossen waren. Eigentlich wollte Salentin auf dem Rad einmal die Ostsee umrunden. Dabei stieß sie auf die Beschreibung des Iron Curtain Trails. „Als ich gemerkt hab, die Strecke verläuft entlang des Eisernen Vorhangs, war ich sofort angetan“, sagt sie rückblickend.

2022 war es dann soweit. Fünf Packtaschen befestigte ­Salentin an ihrem Rad und radelte im April zunächst von Bratislava ans Schwarze Meer, dann ging es mit dem Bus zurück nach Bratislava und von da aus Richtung Norden bis nach Finnland. Wegen Corona-Reisebeschränkungen, die es zu dieser Zeit immer noch gab, musste sie die Tour splitten. 20 Länder durchquerte die Leipzigerin unterwegs.

Was ihr positiv in Erinnerung blieb, war die Gastfreundschaft der Menschen, die ihr mit Neugier begegneten. „Ich wurde überall eingeladen“, erzählt Salentin. „In der Türkei war es im Mai schon so heiß, dass ich mich nur von Chai-Stube zu Chai-Stube gehangelt habe.“ Im Baltikum lud sie eine Frau zu sich nach Hause ein, gleiches erlebte sie in Russland – und das trotz fehlender gemeinsamer Sprache. „Die Verständigung erfolgte mit Hand und Fuß oder Google translate”, sagt Salentin und lächelt.

So unterschiedlich ist die Natur in Europa

Was sie ebenfalls beeindruckte: „Wie unterschiedlich die Natur innerhalb von Europa ist“, sagt die Autorin. In Bulgarien radelte sie durch karge Steinlandschaften, im Baltikum entlang der Ostseeküste und in Finnland durch stille Wälder und Moore. Auch die Architektur wechseltesich ab – von Moscheen und ­Minaretten in der Türkei bis zu Holzkirchen mit Zwiebeltürmen im hohen Norden. Da die Strecke entlang des ehemaligen Grenzstreifens verläuft, stieß sie häufig auf Relikte des Eisernen Vorhangs sowie auf Infotafeln oder Gedenkstätten. „Der Radweg ist wie ein riesiges Freilichtmuseum“, sagt sie und findet: „Es ist eine geniale Idee, einen Weg zu haben, auf dem man soviel lernen und sehen kann.“

In Bulgarien waren Eselskarren an der Tagesordnung. Foto: Rebecca Maria Salentin
In Bulgarien waren Eselskarren an der Tagesordnung. Foto: Rebecca Maria Salentin

Unproblematisch war die Tour allerdings keineswegs. Oft schlecht beschildert führte die Strecke teils über steile, steinige Bergwege, die mit einem Tourenrad unbefahrbar waren. So lautet auch das Fazit der Radlerin: „Die Wege waren teilweise in katas­trophalem Zustand.“ Immer wieder musste sie ihr Rad „über Stock und Stein wuchten“. „Im Norden hab ich streckenweise bis zur Hüfte im Moor festgesteckt.“ Doch laut GPS-Track war sie stets auf dem richtigen Weg.

Bekanntschaft mit Straßenhunden

Neben der mitunter schwierigen Wegbeschaffenheit erlebte ­Rebecca Salentin viele brenzlige ­Situationen mit Tieren – vor ­allem im Balkan waren freilaufende Straßen- und Hütehunde eine große Belastung. „Da wetzte einem ein ganzes Rudel Hunde hinterher und die schnappen auch zu”, berichtet sie. „Das war wie ein Spießrutenlauf, ein echter Horrortrip.” Irgendwann gab ihr ein serbischer Radler den Tipp, anzuhalten statt loszurasen, wenn die Hundemeute auftauchte – eine Überwindung, die aber Besserung brachte.

Auch das draußen Zelten war für die Leipzigerin lange Zeit mit Ängsten verbunden. Doch da die Infrastruktur entlang der Route keine Alternative bereithielt, musste Salentin auch diesmal wieder auf ein Zelt zurückgreifen. Was sie nicht noch einmal machen würde: Ihr Nachtlager an einem verlassenen Haus aufschlagen. Nachts wurde sie von lauten Kratzgeräuschen geweckt, die wahrscheinlich von einem Marder verursacht wurden.

„In meiner Vorstellung wurde daraus ein Monster.” Verängstigt verließ sie den Platz am nächsten Morgen. Die Erlebnisse, die Salentin in ihrem Buch beschreibt, basieren auf ihren täglichen Schilderungen in einer Freunde-Chatgruppe, die wie ein Tagebuch fungierte. Mit ihren Freunden teilte Salentin Freud und Leid der Reise. Diese mentale Unterstützung sei enorm wichtig für sie gewesen, betont sie.

Die griechischen Berge hatten es in sich. Foto: Rebecca Maria Salentin
Die griechischen Berge hatten es in sich. Foto: Rebecca Maria Salentin

Dennoch gab es Momente, in denen sie kurz davor war, abzubrechen. In Finnland ging die Bremse ihres Fahrrads kaputt, sodass sie hunderte Kilometer mit angezogener Handbremse fahren musste. Hinzu kam: „Es hat nur noch geregnet, war eiskalt und die Wege waren schlecht.” Salentin gibt zu: „Ich war ausgelaugt.” Sie überlegte, nach Hause zu fahren, da lagen noch 1800 Kilometer vor ihr. Doch am Ende biss sie die Zähne zusammen und fuhr weiter ’gen Norden. „Ich war schon so weit, dass ich mir nicht verziehen hätte, so kurz vorm Ziel aufzugeben.”

Radtour führte auch durch Russland

Es war ihr wichtig, wirklich alle 20 Länder des Trails kennenzulernen – inklusive Russland, das ein Extra-Problem darstellte. Kaliningrad und die Bucht um Sankt Petersburg wollte sie durchradeln, obwohl das Auswärtige Amt dringend von der Einreise abriet. Vielleicht war es ein bisschen der Trotz, der ­Salentin dazu brachte, diese Warnung und die ihrer Freunde und Familie zu ignorieren.

„Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine war die Grenze plötzlich so aktuell wie lange nicht mehr”, sagt sie. Es gab verschärfte Kon­trollen und Reisebeschränkungen. „Mir war klar, wenn etwas schiefgeht, kann mir niemand helfen.” Zur Sicherheit löschte sie alle Daten vom Handy, die man ihr hätte negativ auslegen können, in ihrem Visumantrag verschwieg sie, dass sie Autorin ist – und wollte als naive Fahrradtouristin die Region durchqueren. Der Versuch klappte, doch Salentin sagt ehrlich: „Rückblickend war das das Gefährlichste, was ich gemacht habe.”

Mehr als ein reiner Roadtrip

Die monatelange Fahrradtour war für die Leipzigerin jedoch mehr als ein reiner Roadtrip. Der Iron Curtain Trail hat sie auch ihrer eigenen Familiengeschichte näher gebracht. Salentin hat eine deutsche Mutter und einen israelischen Vater. Die Großeltern väterlicherseits waren polnische Juden und versteckten sich während des Zweiten Weltkriegs vor den Nazis, angeblich in den Wäldern. Salentin kennt nur Mythen und Legenden aus dieser Zeit – und vieles, worüber nicht gesprochen wurde.

Leipziger Autorin Rebecca Maria Salentin am Lagerfeuer in Finnland. Foto: Rebecca Maria Salenti
Leipziger Autorin Rebecca Maria Salentin am Lagerfeuer in Finnland. Foto: Rebecca Maria Salentin.

Also forschte sie nach – unter anderem im Bundesarchiv und verabredete sich unterwegs mit Historikern. Sie erfuhr Neues über die polnischen Großeltern, die wohl doch in Konzentrationslagern gewesen waren, aber auch einiges über ihren deutschen Großvater und dessen Wehrmachtsvergangenheit. „Es ist nicht schön, sich damit zu beschäftigen, aber trotzdem heilsam.”

In Finnland merke sie: „Jetzt ist es langsam gut, ich habe nicht auf alles eine Antwort bekommen, aber ich hatte meinen inneren Frieden damit geschlossen.” Das Interessante ist: Der Wechsel zwischen Ost und West spiegelt sich auch in ihrer eigenen Biografie wider. Rebecca ­Salentin hat genau eine Lebenshälfte im Westen verbracht, die andere im Osten. Geboren wurde sie 1979 in der BRD. Mit Anfang 20 zog sie mit ihren beiden kleinen Kindern nach Leipzig, schrieb Romane und eröffnete zwischenzeitlich ein Café in einem Zirkuswagen.

„Meine Heimat ist Leipzig – auch wenn ich hier nicht geboren bin.“

Und wie fühlt sie sich heute? Eher als Ossi oder Wessi? Weder das eine, noch das andere, antwortet die 44-Jährige. „Irgendjemand hat neulich zu mir gesagt: Du bist so ein richtiger Wossi – darin hab ich mich wiedergefunden.” Doch es ist ihr wichtig zu betonen: „Meine Heimat ist Leipzig, auch wenn ich hier nicht geboren und aufgewachsen bin.”

Im Segment ´Adventure´ erfolgreich

Ihr erstes Reisebuch „Klub Drushba“ wurde auf Anhieb ein großer Erfolg. „Ich finde es lustig, dass ausgerechnet ich in dem Segment ´Adventure’ so einen Erfolg hab, ich bin jetzt nicht der Prototyp von einem zähen Outdoorknochen”, sagt sie und lacht. „Das ist ein Business, das geprägt ist von Zähigkeit, Verbissenheit und Coolness.” All das treffe auf sie nicht zu. Doch sie betont: „So ’ne Tour macht man nicht nur mit Sportlichkeit. Da gehört auch ganz viel Willensstärke dazu.”

Ein weiteres Reisebuch will ­Salentin erstmal nicht schreiben. Stattdessen tüftelt sie an einem neuen Roman, einer Familiengeschichte über mehrere Generationen. Realität und Fiktion – beides zu beschreiben, mache ihr Spaß, sagt sie. Einen Roman schreiben, das heißt für sie „sich ausklinken aus dem Alltag und die Fantasie spielen lassen”.

Nun schwingt sich die Autorin wieder auf ihr Fahrrad. Am Abend steht eine Lesung in Bautzen an. Dorthin fährt ­Salentin allerdings nicht mit Muskelkraft, sondern bequem per Zug. Gina Apitz

www.rebecca-salentin.de

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