Die Sonne scheint von einem fast blauen Himmel. Es ist einer der ersten Frühlingstage, die Leipzig in diesem Jahr erlebt. Sebastian Krumbiegel kommt mit dem Rad zum Treffpunkt auf den Markt, dem Herzen seiner Heimatstadt. Vor 25 Jahren wurde der Sänger ganz in der Nähe, im Café Luise, schon einmal für den SachsenSonntag interviewt – in der neu geschaffenen Rubrik „Sonntagsfrühstück”.
Ein Vierteljahrhundert später sitzt er an einem kleinen Tisch auf dem großen Platz vor dem Alten Rathaus, diesmal im schwarzen Hoodie – und schlürft einen Milchkaffee. Die stachelige Frisur von damals hat Krumbiegel immer noch. Nur die rote Farbe ist verschwunden. Wachs hält die dunkelblonden Haare in Form.
An das Gespräch von 1999 kann sich der 57-Jährige nicht mehr erinnern, gibt er zu. „Ich lese aber regelmäßig den SachsenSonntag.” Und nun also ein Rückblick auf die vergangenen 25 Jahre. Welche Ereignisse sind ihm in Erinnerung geblieben? Krumbiegel steckt sich eine Zigarette an und lehnt sich zurück.
Die Frage ist für ihn schwer zu beantworten. „Ich gucke lieber nach vorn.” Es gibt einen Spruch, den er gern zitiert: „Ich habe keine Fehler gemacht, es waren alles nur Erfahrungen, die ich gesammelt habe.” Danach versucht der Sänger sein Leben auszurichten. Manches sei vielleicht rückblickend nicht so gut gelaufen, aber vieles eben doch. Und dann fällt ihm doch noch etwas Konkretes ein: das Konzert mit den Prinzen auf dem Leipziger Markt – allerdings vor schon 30 Jahren. „Das ist eine Erinnerung, die immer noch wahnsinnig aktiv da ist.”
Erste Soloplatte 1999 produziert
1999 war Sebastian Krumbiegel zwar noch mit seiner Prinzen-Gang unterwegs, hatte aber auch schon seine erste Soloplatte veröffentlicht. Auch das Festival „Leipzig zeigt Courage”, das Krumbiegel ins Leben rief und das ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzt, gab es bereits seit zwei Jahren. Für sein Engagement gegen Rechts ist der Prinzen-Frontmann bis heute bekannt. Sich gegen Fremdenfeindlichkeit jeder Couleur auszusprechen, das ist Krumbiegel bis heute eine Herzensangelegenheit. Denn die Lage im Land sei „anders als vor 25 Jahren, aber nicht unbedingt so viel besser.” So hat sein Kampf gegen rechtes Gedankengut bis heute nicht an Aktualität verloren.
Er wolle kein Schwarzmaler sein, betont der Künstler, aber man könnte durchaus formulieren: „Es brennt der Planet.” Krumbiegel nennt beispielhaft den Krieg in der Ukraine, den Konflikt im Nahen Osten und den weltweiten Trend zu nationalen Bewegungen. Auf all das blickt er mit Sorge. „Ich versuche trotzdem, zuversichtlich zu bleiben”, betont er. „Wir haben noch nicht verloren.”
Mit „wir” meint der Sänger jene demokratische Mitte, in der er sich selbst verortet. Was ihm dabei wichtig ist: Die Meinungen anderer zu beeinflussen, etwa mit Blick auf die anstehenden Europawahlen im Juni oder die Landtagswahlen in Sachsen im September. Krumbiegel vertritt seine politische Meinung in Interviews, in Gesprächen mit Bekannten oder in den Liedern, die er schreibt. „Ich will die Leute dazu animieren, miteinander zu reden, sich auszutauschen. Das haben wir vielleicht ein bisschen verlernt.”
Grenzen der Gesprächsbereitschaft
Viele Menschen beharrten zu sehr auf ihrer eigenen Meinung, suchten keinen Perspektivwechsel, so würden Fronten aufgebaut. Allerdings stellt der Künstler klar: Auch seine Gesprächsbereitschaft habe Grenzen. „Mit richtigen Honks will auch ich nicht reden.” Dazu zählt Krumbiegel zum Beispiel Holocaust-Leugner, Antisemiten oder Rechtsradikale. Mit diesen hatte er in der Vergangenheit immer wieder zu tun. Im Vorjahr wurden zwei seiner Veranstaltungen von Neonazis mit Hassparolen gestört – eine Lesung in Greifswald und ein Konzert in Thüringen.
Ist rechtes Gedankengut vor allem ein Problem des ländlichen Raums? Krumbiegel überlegt und sagt dann: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in unserer arroganten großstädtischen Bubble verharren und hochnäsig sagen: Die Leute auf dem flachen Land sind ja alle bescheuert.” Klar gebe es Unterschiede zwischen Großstadt und Land. Die progressiveren Leute wohnten häufiger in der Stadt. Deshalb aber wolle er die Landbevölkerung nicht per se stigmatisieren.
Gleichzeitig spricht er „vom großen Glück, in Leipzig leben zu dürfen”. Es ist der Moment, wo Krumbiegel ein bisschen ins Schwärmen gerät und eine kleine Lobrede auf seine Heimatstadt loslässt. Leipzig sei schließlich „eine hammergeile, wache, kulturvolle, bunte Stadt”. Außerdem eine mit einem „verhältnismäßig großen Migrationsanteil – eine „wahnsinnige Bereicherung”, findet er. „Für mich ist Leipzig die attraktivste Stadt, die ich kenne.”
30 Jahre Prinzentour nachgeholt
Der Musiker muss es wissen. Durch seine Konzerte und Lesungen ist er viel herumgekommen. Erst kürzlich wurde die „30 Jahre Prinzentour” nachgeholt, die coronabedingt um zwei Jahre verschoben wurde. Die Band spielte vor zumeist treuen Fans 30 Konzerte in 30 Städten. „Es war der Hammer”, resümiert Krumbiegel. „Wir haben durch die Pandemie erst mal so richtig gemerkt, was uns eigentlich fehlt.”
Der Frontman meint das nicht vordergründig finanziell, er hatte genug Rücklagen. Was ihm fehlte, waren die Auftritte, der Applaus, das Publikum. „Auf einmal war das Leben weg.” Das erste halbe Jahr lang fand er die Corona-Beschränkungen noch okay, „aber dann hat es nur noch genervt”, blickt er zurück. „Du hast dann gemerkt, dass abends um 8 Uhr keiner klatscht zu Hause. Das war komisch.” Seine Fans, die Freunde und der Austausch mit anderen waren es, was er am meisten vermisste.
Krumbiegel fing während dieser Zeit wieder mit dem Rauchen an, schrieb aber auch neue Songs, die er in seinem Mini-Tonstudio zu Hause einspielte. Auch das jüngste Prinzenalbum wurde in der Pandemie produziert. Die Musiker gingen nacheinander ins Studio, um ihren Part aufzunehmen. „Das war echt gewöhnungsbedürftig, weil der Spirit fehlte.” Doch am Ende entstand das neue Album mit dem Titel „Die Krone der Schöpfung”, mit 17 neuen oder neu eingespielten Titeln. „Wir haben uns und den Leuten da draußen gezeigt, dass wir noch da sind, dass wir noch eine Gang sind.” Die Jubiläumstour sei die Belohnung gewesen für die harten die Jahre zuvor.
Frühling hält in Leipzig Einzug
Die Sonne scheint Sebastian Krumbiegel ins Gesicht, der Markt spiegelt sich in seiner Sonnenbrille. Der Sänger schwärmt jetzt ein wenig vom Frühling, von den Magnolien und Forsythien, die überall blühen. „Man hat das Gefühl, das Licht geht wieder an.” Der Sänger ist hauptsächlich mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs. „Das geht ja in Leipzig hervorragend.” Wie zum Beweis läuten jetzt die Kirchenglocken, um den Satz zu untermauern. Krumbiegel wohnt im Süden, mit dem Fahrrad ist er schnell am Cospudener und Markkleeberger See, im Wald oder eben in der Stadt.
Diskurs um Waffenlieferungen
Noch eine Zigarette. Dann ist er schon wieder mitten in seinem Lieblingsthema – der Politik. Er erinnert sich an ein Benefizkonzert für Ukraine-Flüchtlinge, bei dem er mitmachte, und sagt: „Ich dachte immer, ich bin ein Pazifist.” Als die Diskussionen um Waffenlieferungen an die Ukraine begannen, brachte ihn das zum Nachdenken. „Solange es Putins oder Assads gibt, die die Welt anzünden, braucht man scheinbar eine Gewalt, die da dagegen steht”, überlegt Krumbiegel. „Wenn die Alliierten damals gesagt hätten, wir sind Pazifisten, dann würden wir heute unterm Hakenkreuz leben.”
Der derzeit diskutierten Wehrpflicht kann er allerdings nichts abgewinnen, sondern findet die Idee schrecklich. „Ich war eineinhalb Jahre bei der Armee und habe es gehasst.” Krumbiegel sagt: „Ich glaube jeder, der Kinder hat, ist da dagegen.” Gleichzeitig befürchtet er, dass wir uns in naher Zukunft „scheinbar verteidigen müssen”. Ein Satz, der dem Sänger vor einigen Jahren wohl so nicht über die Lippen gekommen wären. Trotzdem sagt der Musiker, dass er sich „definitiv als links bezeichnen würde”. Doch ein Anarchist sei er keineswegs. „Ich bin froh, dass es eine Polizei gibt. Ohne sie würden wir im Wahnsinn versinken.”
Zigarette Nummer drei glimmt. Krumbiegel raucht und sagt: „Das klingt alles sehr pathetisch, aber ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll.” Am Ende gehe es vor allem darum, den Planeten zu retten. Der Sänger sympathisiert mit der „Letzten Generation” und „Fridays for Future”. „Die Kids, die sich da stark machen, die haben noch 30, 40 Jahre länger zu leben als ich.” Ihr Engagement bewundere er.
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Trotz seiner 57 Jahre sagt der gebürtige Leipziger, er sei noch immer „ein suchender Mensch, der zurechtkommen will”. „Heute freue ich mich darüber, dass ich Dinge besser verstehe als mit 20. Andererseits verstehe ich viele Sachen auch überhaupt nicht und stelle auch nur Fragen.” Als Künstler stehe er aber zum Glück nicht in der Verantwortung, die Probleme der Welt lösen zu müssen. Doch anprangern und darauf hinweisen, das könne er durchaus.
Und im Gespräch bleiben. Austausch mit anderen ist ihm wichtig. Mit der Neuauflage seiner 2017 veröffentlichten Biografie „Courage zeigen” tourt Krumbiegel derzeit durch die Lande. Im Sommer und Herbst stehen mehrere Lesungen auf dem Programm. Er muss deshalb gleich weiter. Die Wochenzeitung „Die Zeit” hat zum Interview über sein Buch gebeten. Krumbiegel schwingt sich wieder auf sein Rad und radelt quer über den Markt, der Sonne entgegen. Gina Apitz