Altenburg. Schien es manchem am Anfang vielleicht ein wenig nebulös, was sich hinter dem Projekt „Der fliegende Salon“ wohl verbergen mag, so haben inzwischen etliche Bewohner des Altenburger Landes ihre ersten ganz greifbaren Erfahrungen damit gemacht, wurden selbst zum Akteur – und fanden auf diese Weise ihren eigenen, speziellen Zugang zu den Anliegen des auf mehrere Jahre angelegten Vorhabens, der Kultur im Landkreis neue Chancen zu eröffnen. Vor allem mit Blick auf Zukunft, die eine wichtige, wenn nicht gar die gewichtigste Rolle innerhalb des Gesamtprojektes spielt.
Luise Krischke ist die Leiterin jenes Projektes, das federführend vom Landkreis Altenburger Land getragen und von vier Partnern entscheidend mitgetragen wird: vom Lindenau-Museum, dem Museum Burg Posterstein, der Musikschule Altenburger Land und dem Theater Altenburg-Gera. Befragt nach einer ersten Bilanz verweist Luise Krischke auf so manche Erfahrungen, die inzwischen gesammelt sind und kommt zu dem Schluss: „Der fliegende Salon birgt mehr Herausforderungen in sich als anfangs gedacht.“
Dazu zählen unter anderem auch jene coronabedingten schwierigen Begleitumstände, die der „Salon“ seit seiner Geburtsstunde zu meistern hatte, denn die Pandemie zwang auch dieses Vorhaben zunächst einmal zu einer anderthalbjährigen Pause. „Im Hintergrund ist da zwar sehr viel passiert, wir haben trotz aller Schwierigkeiten unser Konzept weiterentwickelt. Aber: Unser Projekt hat zum Inhalt und ist darauf angewiesen, dass Menschen miteinander in Kontakt kommen – und gerade das war ja in Zeiten strengster Kontaktbeschränkungen ausgeschlossen.“
Und so also konnten in jüngster Vergangenheit weder Vorbereitungsrunden in Präsenz und mit unmittelbarem „sich-in-die-Augen-schauen“ stattfinden, noch konnten die geplanten öffentlichen Veranstaltungen realisiert werden.
Das war erst jetzt möglich, endlich! Kaum waren die Kontaktbeschränkungen und strengsten Corona-Auflagen gelockert, wurden seit Mitte Juni Schlag auf Schlag in kurzer Zeit drei große Veranstaltungen realisiert.
Zunächst als Auftaktveranstaltung des Jahrgangs 2021 die „Sternfahrt nach Lumpzig“ unter Einbeziehung der – und für die – Menschen in Schmöllner Ortsteilen, gefolgt von einem „Fliegenden Salon“ im Kulturhaus „Schnaudertal“, der unter der Überschrift stand „Kinder, Kaffee, Kohle, Kunst – der Maler Alfred Ahner und die Wintersdorfer“ und jüngst erst der vielgestaltige Nachmittag „Löbichauer Salonkinder“. In diesem begaben sich Vereine auf Spurensuche nach dem, was heute noch aus der Zeit der einst das gesellschaftliche Leben der Region rund um Löbichau bestimmenden Herzogin Dorothea von Kurland (1761-1821) geblieben ist, die noch heute exemplarisch für die Entwicklung einer intensiven und weithin ins Europäische wirkenden Salonkultur steht.
Da wäre es also ganz beiläufig anhand nur weniger Beispiele benannt, jenes Alleinstellungsmerkmal des Altenburger Landes, das durch einen Reichtum an Kultur gekennzeichnet ist. Interessierte finden hier kulturelle Leuchttürme, die halbwegs hinlänglich bekannt sind und besucht werden und dennoch noch ein großes, steigerungsfähiges Wirkungs- und Ausstrahlungspotenzial in sich tragen. Vor allem aber gibt es die Geheimtipps – und das sind nicht wenige, wie sich beim genaueren Hinschauen zeigt. „Deren Potenzial ist vielerorts noch längst nicht ausgeschöpft“, weiß auch Luise Krischke, im Gegenteil: „Dem Ziel, diese Dornröschen wach zu küssen, hat sich das Projekt ‚Der fliegende Salon – Kulturaustausch im Altenburger Land’ verschrieben“, erklärt die Projektverantwortliche das Grundanliegen.
Die wichtigsten Projektpartner seien dabei die Bewohnerinnen und Bewohner des Landkreises. Denn nicht wenige von diesen sind Kulturakteure. In Vereinen und Initiativen sind sie aktiv oder tragen interessante Ideen in sich und suchen noch nach einer Gelegenheit, sich für ihren Ort einzusetzen. Der fliegende Salon soll gerade ihnen den Raum zum kreativen Austausch schaffen und sie miteinander vernetzen.
Jede Kommune im Altenburger Land, das betont unsere Gesprächspartnerin ausdrücklich, könne ein Salonort werden. Es brauche jeweils nur die Idee für ein ortsspezifisches Thema, das auf breiter bürgerlicher Beteiligung gemeinsam mit dem Lindenau-Museum Altenburg, dem Museum Burg Posterstein, der Musikschule Altenburger Land oder dem Theater Altenburg-Gera entwickelt und umgesetzt werden kann. „Dabei kann es darum gehen, Vergessenes wiederzubeleben, Verborgenes aufzudecken oder Alltägliches zu hinterfragen und dabei gemeinsam in die Zukunft zu schauen und sich auch auf neue Blickwinkel einzulassen.“
Nach den Erfahrungen mit den hier genannten ersten „Salons“ in Lumpzig, Wintersdorf und Löbichau, die zur Freude von Luise Krischke nicht nur von vielen aktiven Mitgestaltern realisiert und mitgetragen, sondern auch von zufriedenstellend vielen Begleitern, Interessierten und aufgeschlossenen Zuschauern und Zuhörern besucht wurden, „lässt sich bislang noch schwer sagen, was der ideale Salon sein könnte. Es geht ja darum, wie man gemeinsam entdeckt, wie sich Veränderungen erzielen lassen. Und wie man die Wahrnehmung für Kultur für das eigene Leben und Wirken gestalten könnte. Da ist gegenseitiges Kennenlernen gefragt – und das braucht einen langen Atem, Neugier, Offenheit.“
Schwieriger als anfangs vermutet, so Luise Krischke im Weiteren, sei es, das Ziel des „Fliegenden Salons“ auf eine griffige Formel zu bringen. „Letztlich geht es uns darum, die Vielzahl der Kulturorte im Landkreis für alle sichtbarer zu machen, sowohl für die Menschen hier vor Ort, als auch für alle Besucher und auch politischen Entscheider über die Kreisgrenzen hinaus.“ Das gelte eben nicht nur für die Breite und Vielfalt der etablierten, staatlich geförderten „Kulturtempel“ und Institutionen, „sondern für die kleinen Akteure mit ihren vielfältigen, ortsprägenden Geschichten. Jeder Ort ist einzigartig, überall gibt es Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Dies macht den Reiz des Altenburger Landes aus und ist ein Markenzeichen dafür, warum es sich lohnt, hier zu leben und zu arbeiten. Der Weg zu mehr Selbstbewusstsein und Sichtbarkeit führt über mehr gemeinsamen Austausch, über das Knüpfen neuer Netzwerke und das Ausprobieren neuer Perspektiven“, umreißt die Projektleiterin ihre Intentionen.
Aus all jenem hier bereits Angerissenen ergibt sich, dass es den einen „Fliegenden Salon“ nicht geben kann, es handelt sich um kein fertiges Format. Im Gegenteil geht es an jeder der ganz unterschiedlichen Salonstationen darum, ortsspezifische Charakteristika und Themen aufzugreifen – und gemeinsam (!) mit den Menschen ein Konzept zu entwickeln. Ziel soll es bestenfalls sein, durch diese von den Projektpartnern initiierte und geförderte Initialzündung neue Begegnungsstätten vor Ort entstehen zu lassen, an denen der Austausch und die Vernetzung von Potenzial gepflegt und weiterentwickelt wird – in Anlehnung an die Traditionen der einstigen Salonkultur des 18./19. Jahrhunderts, wie sie hier vorstehend am Beispiel Löbichau schon angesprochen ist.
Gerade in den ländlichen Regionen galten bis vor 30 Jahren in fast jeder noch so kleinen Gemeinde der Dorfkonsum oder die Dorfkneipe als solcherlei Orte des Austauschs, da und dort auch die Bank an der Dorflinde. Heute sind solche festen Orte, an denen Menschen jeden Alters und unterschiedlichster Prägung, Ambitionen und Interessen unkompliziert zueinander finden und miteinander kommunizieren können, kaum mehr zu finden.
Da können Traditionen, Kultur(gut) – und der fliegende Salon – Bindeglieder sein, Neues zu begründen und zu entwickeln. Nicht „von oben“ vorgegeben und „fertig vorgesetzt“, sondern in Eigeninitiative, nach eigenem Gutdünken konzipiert und entsprechend den eigenen Wünschen und Vorstellungen gestaltet.
„Man denkt da eigentlich, die Themen liegen auf der Straße, wie auf einem riesigen Büffet, aus dem man nur seine Auswahl treffen muss“, lenkt Luise Krischke ihren Blick auf eine Beobachtung, die auch zu ihren Erfahrungen dieser ersten Salon-Etappe gehört: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige Menschen sich nicht trauen, etwas selbst zu gestalten. Vielleicht wurden sie in der Vergangenheit zu oft enttäuscht, wir sind ja nun nicht das erste Projekt. Manche erweckten Hoffnungen und Erwartungen wurden nie umgesetzt – oder schlimmer noch, sie verschwanden in Schubladen und es wurde nie wieder drüber gesprochen, was den Eindruck hinterließ: ‚Für uns interessiert sich ja doch keiner‘. Natürlich können auch wir keine Dorferneuerung umsetzen, aber unser Wunsch ist es, ins Gespräch zu kommen mit einer breiteren Gruppe. Darüber, wie man zu Strukturen finden könnte, um größere Veränderungen zu realisieren.“
Dazu gehört für die Projektleiterin ein Geben und Nehmen in Partnerschaft, denn auch die „Etablierten“ können und sollen sich verändern. „Lindenau-Museum, Theater, das Museum Burg Posterstein und die Musikschule haben vielfältige Möglichkeiten und ihre Netzwerke, die sie einbringen in jenen Prozess des Sich-näher-kommens, sie haben das Potenzial, jenseits ihrer stationären Kultureinrichtung flexibel auch im ländlichen Raum zu agieren und ihren Austausch dorthin zu intensivieren. Auch dieses könnte integraler Bestandteil des „Fliegenden Salons“ sein und werden, dessen inhaltliche und lokale Ausrichtung sich derzeit auf der Suche und in einer Findungsphase befindet.
„Es geht um einen Salon in dem Sinne, dass er einlädt, zusammenzukommen jenseits bereits bekannter Strukturen und Vereinsaktivitäten. Es geht nicht um die Wiederholung oder das Aufwärmen von Bekanntem, es geht um einen neuen Raum für Begegnung und Austausch“, fasst Luise Krischke die Bestrebungen noch einmal zusammen. Was am Ende steht, das ist bislang völlig offen und liege in den Händen der Akteure vor Ort.
Insgesamt neun Salonideen sind inzwischen entstanden. Neben den drei bereits genannten und schon realisierten (und einem allerersten Salon, der als Pilotprojekt im März 2019 in Ponitz stattfand) sind die nächsten für die Menschen in Garbisdorf, Gößnitz, Nöbdenitz, Schmölln und Windischleuba bereits in der Vorbereitung.
Neue Ideen können stets eingebracht werden. Mitmachen ist ganz einfach: Wer ein auf aktive Beteiligung aller Teilnehmer angelegtes Salonprojekt in einem Ort im Altenburger Land initiieren will, bewirbt sich einfach per E-Mail. Passt die Idee zur Zielstellung des fliegenden Salons, werden mit einer der Kultureinrichtungen weitere Unterstützer im Bewerberort gesucht und ein sogenannter Schnuppersalon durchgeführt.
Dieser dient dazu, die Salonidee vor Ort möglichst vielen Bewohnerinnen und Bewohnern vorzustellen und deren Meinung zu hören sowie zu erfahren, ob sie sich bei der Umsetzung einbringen würden. Findet die Salonidee die entsprechende Zustimmung, können weitere Salonwerkstätten geplant werden.
Luise Krischke und ihre Mitstreiter freuen sich auf neue Ideen, Bewerbungen, Zuspruch und Neugier – und auf viele neue Akteure. Und wer sich zunächst erst einmal einen Eindruck verschaffen möchte, derjenige sollte einen der nächsten Salons, die es nach der Sommerferienpause geben wird, nicht verpassen. Die Ankündigungen und weiteren Termine werden – so wie bislang praktiziert – jeweils auch im OsterlandSonntag zu finden sein, gleichermaßen auch im Internet unter der Adresse www.fliegender-salon.de.
Das Projekt „Der fliegende Salon – Kulturaustausch im Altenburger Land“ startete im Jahr 2020 und wird bis zum Jahr 2024 gefördert in „Trafo – Modelle für Kultur im Wandel“, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, sowie der Thüringer Staatskanzlei. Ralf Miehle