Schamvolles Verstecken des linken Arms war gestern. Heute zeigt Prof. Bertolt Meyer (41) aus Leipzig seine Prothese gern. Er fühlt sich gut mit der Roboterhand, die ein Musterbeispiel dafür ist, wie moderne Technik das Leben von Betroffenen verbessern kann.
Ab und zu erhält der Professor ein ganz besonderes Paket aus Island. Geschickt öffnet er es dann mit beiden Händen. Die rechte Hand führt souverän, die linke unterstützt dabei. Die Fracht, die zum Vorschein kommt, ist eine neue Roboterhand aus dem Forschungslabor. „Ich darf sie jeweils im Alltag testen“, erzählt Bertolt Meyer. Er ist mittlerweile nicht nur ein Psychologie-Experte, der es schon in relativ jungen Jahren zum Professor gebracht hat, sondern auch ein Prothesen-Kenner und -Versteher. „Ich habe alle Phasen durchgemacht. Die schwierigen und die angenehmen“, sinniert er. 1977 kam er mit einem fehlenden linken Unterarm auf die Welt. Eine Laune der Natur. Die erste Prothese bestand nur aus einem Holzfäustling, die zweite war ein Haken. „Alles furchtbar“, winkt Bertolt Meyer ab. Deshalb verzichtete er lange Zeit auf eine Prothese. „Ich kam besser ohne sie zurecht.“ Während des Psychologiestudiums erhielt er die erste hautfarbene Prothese, die wie ein Greifarm einige Finger elektronisch bewegen konnte. Ein erster Fortschritt, doch die Scham, die Unzufriedenheit und die mitleidigen Blicke der anderen blieben. Bertolt Meyer begann deshalb weltweit nach innovativen Prothesen zu suchen und wurde schließlich im Norden Europas fündig. Er schrieb der Firma von seinem Schicksal, zeigte Probleme mit der Krankenkasse auf, die zwei Jahre lang aus Kostengründen lieber an der althergebrachten Prothese festhalten wollte.
Dann passierten die Wunder: Die Krankenkasse lenkte ein und übernahm die Kosten für die Roboterhand, die durchaus 20 Stunden in Dauerbetrieb sein kann. Außerdem meldete sich die Herstellerfirma und bot Bertolt Meyer an, Hand-Model zu werden und neue Prototypen regelmäßig zu testen. Schon von der ersten bionischen Prothese, die Anregungen aus der Biologie in die Elektronik umsetzt, war der Technikbegeisterte fasziniert.
Sechs Elektromotoren sorgen dafür, dass sich die Finger möglichst lebensecht bewegen lassen. Die Roboterhand steckt in einer grauen durchsichtigen Silikonhaut. „Und plötzlich machte ich neben dem Zugreifen und Festhalten mit fünf Fingern noch eine ganz neue Erfahrung“, erzählt der Leipziger. „Die moderne Technik ist so positiv besetzt, dass die Leute nicht mehr mitleidig, sondern eher interessiert schauen und fragen.“ Besonders Kinder reagieren neugierig und verbinden die rund 30 000 Euro teure Roboterhand mit Superkräften, „die sie ja für mich auch wirklich hat“, freut sich der Professor.
Er ist selbstbewusster geworden, fühlt sich im Leben angekommen und genießt es dabei umso intensiver. Er liebt elektronische Musik und legt auch gern mal in einem angesagten Klub als DJ auf. Bertolt Meyer reist nicht nur beruflich durch die Welt, sondern erkundet auch gern privat Städte und Landschaften. Das Hindernis Sicherheitsschleuse auf Flughäfen überwindet er inzwischen mit Gelassenheit, Geduld und Humor. „Ich versuche die Kontrolleure schon immer vorher auf meine Handprothese aufmerksam zu machen und sie zu erklären, damit es nicht zum Fehlalarm und zu Irritationen kommt“, berichtet der Vielflieger.
Thomas Gillmeister