Das Licht sei beim Fotografieren wichtiger als die Kamera, findet der Leipziger Fotograf Corwin von Kuhwede. Er steht hier in seinem Wohn-Atelier im Waldstraßenviertel. Foto: Christian Modla

Leipzig. Corwin von Kuhwede sitzt auf einem roten Sessel in einem Raum mit Dielenfußboden und ohne Tapeten. Vor einem gelben, funktionstüchtigen Kachelofen liegen zwei Felle, auf einem Tisch reihen sich antike Kameras aneinander. Im Nebenzimmer stehen drei schwarze Lichtschirme neben einem grünen Kachelofen. Das Wohn-Atelier des bekannten Leipziger Fotografen versprüht einen morbiden Charme.

Corwin von Kuhwede – der eigentlich Ronny Kuhwede heißt – reicht zum Kaffee Mandelmilch. Sechs Tage in der Woche lebt er vegan, am siebten isst er auch Fleisch. Gesundheit spielt im Leben des 42-Jährigen eine große Rolle. Genau wie die Fotografie. Seit 15 Jahren ist sie seine Leidenschaft, am liebsten sind es Menschen, die er vor die Linse stellt und deren Charakter er einfängt. Seine Porträts wirken authentisch, schnörkellos, ungekünstelt.

Wie gelingt es ihm, dass die Personen nicht starr in die Kamera blicken, dass sie ihm kein aufgesetztes Lächeln schenken? Kuhwede sagt, er versucht die Person im Vorgespräch kennenzulernen. Für das Shooting nimmt er sich Zeit. Wer 350 Euro – das Minimum – zahlt, bekommt ein paar Stunden. Für 2000 Euro mietet der Fotograf auch eine besondere Location an, lässt sich einen ganzen Tag Zeit. „Jedes Fotoshooting ist wie ein Maßanzug, der individuell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten ist.“ Am Ende, sagt er, kommt es auf das Ergebnis an. Drei gute Fotos sollten dabei sein. Solche, auf denen sich der Porträtierte wohlfühlt und wiedererkennt. „Wenn ich die drei Bilder in 15 Minuten bekomme, ist es okay, wenn es eineinhalb Stunden dauert, auch.“ Wem die Abzüge nicht gefallen, der muss nichts bezahlen.

Und wie lautet der Trick, der jeden vor der Kamera locker macht? „Es gibt keinen“, antwortet Kuhwede. Er versucht einen Raum der Geborgenheit und des Vertrauens zu schaffen, an dem man sich fallen lassen kann. „Ich gebe den Menschen das Gefühl, dass ich sie so wertschätze, wie sie sind“, sagt er. „Meine Aufgabe als Fotograf ist es, den Menschen so weit zu bringen, dass er mir etwas von sich zeigt. Das ist manchmal auch harte Arbeit.“ Von nachträglicher Retusche hält Kuhwede nämlich nichts. Er überdeckt mal einen Pickel oder mildert Augenringe ab. Aber: „Ich hab den Anspruch, dass die Menschen auf den Bildern so wirklich wie nur möglich aussehen.“

Ein Anspruch, den viele goutieren. Verschiedene Musiker, Schauspieler und Unternehmer haben sich schon von Kuhwede ablichten lassen – weil sie seinen Stil mögen. Das Geschäft lief gut, bis die Corona-Pandemie kam und „ein großes Loch hereingerissen“ hat. „Im ersten Lockdown haben die Leute aus Angst ihre Fotoshootings abgesagt“, berichtet Kuhwede. Mindestens ein Drittel weniger Aufträge hatte er im Vorjahr. Und auch jetzt ist er nicht wieder auf das alte Niveau zurückgekehrt. Ein Fotoshooting sei eben ein Luxus, den man sich zweimal überlegt. „Viele halten derzeit ihr Geld zurück.“

Doch die Pandemie hat auch noch anders Einfluss auf seine Arbeit genommen. Das Projekt „Neue Normalität“ verdankt er einem Stipendium der Kulturstiftung Sachsen. Es zeigt – überspitzt dargestellt – die Folgen der aktuellen Situation. Ein Pärchen sitzt beim Candle-Light-Dinner im Restaurant. Ihre Finger versuchen sich zu berühren, doch eine Scheibe trennt beide. Es ist eine neue Art des Porträts, die Kuhwede hier ausprobiert. „Es geht immer noch um Menschen“, sagt er, „aber sie sind eher die Träger der Botschaft.“ Schon länger lösen solche konzeptionellen Arbeiten die klassischen Porträts – zumindest in Kuhwedes freien Arbeiten – ab. So veröffentlichte er vor einer Weile eine Fotoserie zum Thema Tod. Dort inszenierte er Menschen in einem Sarg, die so gekleidet sind, dass man erkennt, was ihr Leben einst ausmachte – etwa Rock ’n’ Roll spielen oder Schornsteine fegen. Ein Projekt, das nicht jedem gefällt, das stark polarisiert. Im Grunde genommen stört Kuhwede das nicht. „Kunst sollte nicht gefällig sein“, findet er.

Doch für manche seiner provokanteren Bilder – zum Beispiel seine Aktfotos – wird der Fotograf vor allem im Netz heftig angefeindet. Beleidigungen finden weniger auf Instagram, sondern eher auf Facebook statt, hat er festgestellt. „Am Anfang hab ich das noch persönlich genommen und darauf reagiert, aber ich hab gemerkt, das hat keinen Sinn.“ Nutzer, die Hasskommentare absondern, wollen in der Regel keine Diskussion, sondern ausschließlich provozieren. Inzwischen mischt sich Kuhwede kaum noch ein, löscht Beleidigungen nur, wenn sie seine Fotomodelle treffen. 16 480 Follower hat der 42-Jährige auf Instagram. Auf manchen Internetseiten wird er als Influencer gelistet. Dass solche Bezeichnungen für ihn mal eine Rolle spielen, hätte er früher nicht gedacht. Da ging es einfach nur ums Fotografieren.

Das Interesse daran entdeckt Kuhwede schon als Kind. Mit drei Jahren schießt er sein erstes Foto mit einer kleinen, silbernen Kamera. Das Modell steht heute noch in seinem Wohnzimmer. Der Wunsch, Fotograf zu werden, kommt erst viel später. Und zwar, als er – inzwischen erwachsen – für andere Leute Websites bastelt und dafür Fotos braucht. „Aus Spaß wurde Leidenschaft, dann Hobby – und irgendwann gab es einige Anfragen nach Fotos von mir“, beschreibt er die Entwicklung. Kuhwede ist reiner Autodidakt, er hat nie Fotografie studiert. Bei der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst bewarb er sich sogar einmal, wurde aber abgelehnt. „Meine Arbeiten waren zu schlecht“, urteilten die Professoren. Statt eines Studiums las Kuhwede viel zum Thema, tauschte sich mit Kollegen aus und fand in dem Leipziger Fotografen Gerd Lehmann eine Art Mentor. „Ich hab die Kamera so lange in die Hand genommen und schlechte Bilder gemacht, bis ein gutes dabei herauskam“, sagt er heute und ist inzwischen froh, dass es mit dem Studium nicht geklappt hat. „An den Hochschulen werden die Fotografen verzogen“, kritisiert er. Der Betrachter brauche „ewig lange Beschreibungen“, um ein Bild zu verstehen. Bei seinen Arbeiten sei das anders. „Ob das, was ich mache, Kunst ist, können die Leute entscheiden, wenn ich 100 Jahre tot bin“, sagt Kuhwede und grinst.

Interessant ist, dass der Fotograf an Technik komplett uninteressiert ist. Er fotografiert mit einer Nikon Vollformat-Kamera und besitzt zwei Objektive. „Damit komme ich durchs Leben“, sagt er. „Man kann auch mit einer 20 000-Euro-Kamera Scheißbilder machen.“ Wichtiger als die Technik seien die Lichtverhältnisse. „Das Licht ist das Werkzeug des Fotografen“, findet Kuhwede. „Damit modellieren wir das Bild. Die Kamera ist nur das Instrument, mit dem man es festhält.“

Sein Instrument richtet Kuhwede derzeit auf einige neue Projekte. Die Kraftbilder sind eins davon. Dabei kommen Menschen zu ihm, die ein konkretes Anliegen haben, zum Beispiel selbstbewusster zu werden. „Ich führe sie mit bestimmten Techniken so weit, dass sie sich innerlich auf dieses Ziel fokussieren“, erklärt er die Idee. Dabei soll derjenige einen Moment erspüren, an dem er sein Ziel schon erreicht zu haben glaubt. Währenddessen schießt Kuhwede Fotos. Das Porträt, das das Gefühl am besten ausdrückt, hängt sich der Kunde zu Hause an einen präsenten Platz – und wird permanent an sein Ziel erinnert.

Beim Projekt „Ärmel runter“ porträtiert Kuhwede derzeit Menschen, die sich aus einem bestimmten Grund nicht impfen lassen wollen. 20 Motive sollen demnächst auf seinen Social-Media-Kanälen gepostet werden. „Ich finde, in einer Demokratie sollte jede Meinung gehört werden“, sagt er und weiß, dass er mit dieser Aktion wahrscheinlich wieder anecken wird. Und man merkt: Er hat jetzt schon Lust auf die Diskussion. Gina Apitz

Mehr zu Corwin von Kuhwede und seinen Arbeiten auf https://vonkuhwede.de oder auf Instagram unter www.instagram.com/vonkuhwede

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