Auch dies geht: Ein Ratespiel in der DDR-Küche - was hatte es da sicherlich nicht gegeben? Nun, eine Antwort ist - ein Udo-Lindenberg-Plakat. Foto: Jens Wagner

Leipzig. Manchmal ändern sich die Zeiten – und mit den Zeiten die Lebensgeschichten. Davon kann Jan Sadler berichten – von veränderten Zeiten und plötzlich hakenschlagenden Lebensgeschichten. Eigentlich ist der leidenschaftlich musikbegeisterte Leipziger in genau dieser Branche zu Hause, hat im Jahre bis zu 150 Veranstaltungen im ganzen Land auf die Beine gestellt … bis Corona kam. Und die kulturelle Vollbremsung. Doch wo sich eine Tür schließt, geht eine andere auf – sagt zumindest der Volksmund. Und er ist kurzerhand durch jene gegangen, die ihn ins Stadtgeschichtliche Museum Leipzig führte.

Als in diesen Tagen die funkelnagelneue Ausstellung „Moderne Zeiten“ im Alten Rathaus eröffnet wurde, war dies auch für Jan Sadler ein Augenblick zum Strahlen. Zum einen, weil diese Ausstellung wirklich etwas Besonderes ist und zwar mit Leuchtkraft über die Leipziger Stadtgrenzen hinaus. „Irgendwie ist mir bei diesem offiziellen Eröffnungstermin bewusst geworden, dass die einzelnen Partner, die an diesem Projekt beteiligt waren, fast ein bisschen zu wenig gewürdigt wurden“, überlegt er und ergänzt: „Dabei geht es beispielsweise auch um die an der Umsetzung beteiligten Leipziger Firmen. Immerhin hat dieses Projekt bundesweit Maßstäbe gesetzt.“ Und Jan Sadler muss es wissen, war er als Koordinator jener Mensch, der die Zusammenarbeit in Sachen „Augmented Reality“ ganz schön unterschiedlicher Partner aus Museum, Theater (die Schaubühne Lindenfels war auch mit im Boot) und IT-Branche ermöglicht hat. Die erfolgreiche Zusammenarbeit, wohlgemerkt – immerhin kann man sich die Ergebnisse aktuell im Leipziger Alten Rathaus anschauen.

Alles hatte angefangen mit einem puren Zufall – verbunden mit den Einschränkungen, die der allererste Pandemie-Lockdown mit sich brachte. Das ist – man mag es manchmal gar nicht glauben – inzwischen schon mehr als zwei Jahre her. Bis dahin hatte das Leben von Jan Sadler seine Ordnung, die zwar ein wenig chaotisch war, aber es war eine Ordnung. „Seit ich 14 Jahre alt bin, stecke ich drin im Konzertgeschäft“, erzählt er. Davon, einst als Bassist in Metalbands gespielt zu haben (vielleicht klingelt bei dem ein oder anderen Metalhead bei der Nennung des Namens Orphan Hate etwas im Hinterstübchen) und auch auf großen Bühnen gestanden zu haben. „Aber irgendwie war ich schon immer mit vollem Herzblut dabei, im Hintergrund die organisatorischen Fäden zu ziehen“, sagt er mit einem Lächeln. Die nächsten Schritte waren da irgendwie logisch: Durch das Studium wurzelte der Berliner an der Pleiße, folgerichtig wurde hier das eigene Konzertbüro aus dem Boden gestampft. „2019 war unser bestes Jahr“, sagt er: „Und dann sind wir vom höchsten Niveau abgestürzt. Die Vollbremsung von 150 Stundenkilometer auf Null.“ Oder anders gesagt: Von 140 Konzertterminen auf zehn pro Jahr.

Schwenk an den Abendbrottisch: Dort saß nach diesen schwierigen Vollbremsungstagen eine Freundin der Familie und erzählte von diesem Museumsprojekt. Von „Museum Ex Machina“ und der Idee, dass damit Augmented Reality Einzug halten sollte im Stadtgeschichtlichen Museum und davon, dass man da auch einen gestandenen Menschen brauche. Als Projektkoordinator. Die Antwort lag für den Macher Jan Sadler auf der Hand: „Klar, her damit, mach ich – habe ich sofort gesagt. Der Punkt: Da gab es endlich mal etwas Sinnstiftendes, das natürlich zum einen Geld auf das Konto bringt, einen andererseits aber auch aus dem dunklen Tunnel rausbringt.“ Denn genau in dem steckte auch der Leipziger Konzertveranstalter – in einem lichtlosen Alltag ohne echte Perspektive.

Der Weg auf diesen Posten war zwar nicht sonderlich einfach, aber der Aufwand lohnte sich. Weil er sofort einen Draht zu den Akteuren fand. Zum Museumschef Dr. Anselm Hartinger, der von der anpackenden, praktischen Art seines neuen Projektkoordinators sofort begeistert war. Zum Schaubühne-Team, weil man eh die gleiche Sprache verstand. Und auch zu den IT-Firmen, deren Ansatz Jan Sadler eben auch aus unternehmerischer Sicht kapierte. Dazu kam dieses besondere Thema: Augmented Reality als spannender Ansatz, als echtes (museales) Alleinstellungsmerkmal. „Aktueller geht es nicht“, sagt er und ergänzt: „Jeder der Beteiligten hat hier seinen Fingerabdruck hinterlassen.“

Dabei ist es schon auch mal Zeit für eine Erklärung: Augmented Reality – was ist dies eigentlich? Auch so eine Frage, mit der es sich zu beschäftigen galt. „Wenn man nicht gerade Gamer ist, dann ist das echtes Neuland – war es auch für mich“, sagt Jan Sadler mit einem Lächeln. Diese „erweiterte Realität“ – so die Übersetzung – bietet dabei ganz viele neue Potenziale und Möglichkeiten: Weil man das Vorhandene mit Digitalen im wahrsten Sinne des Wortes erweitern kann – und dies kann man in „Moderne Zeiten“ auf erleben, wenn auf einmal Menschen wie Julie Bebel oder Bruno Vogel neben einem auftauchen. Via Tablet, aber bemerkenswert real.

Der Weg hin zu diesem „Zum-Leben-Erwecken“ von historischen Leipziger Persönlichkeiten im Alten Rathaus war eine echte Herausforderung. Da waren viele Köche am Brei und zwar mit höchst unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Ausgangspositionen. Da das Museumsteam mit dem grundlegenden Ansatz der Authentizität, mit der Grundbedingung des Wahrhaftigen und Belegbaren – dort die Schaubühne um René Reinhardt mit der Freude an der Inszenierung. Und obendrein die IT-Firmen wie VR Bits und Miracoda, die dies alles auf die Straße beziehungsweise auf das Tablet bringen müssen. Um damit wiederum die Besucherinnen und Besucher des Stadtgeschichtlichen Museums zu begeistern. „Jeder musste da schon mal ordentlich über den Tellerrand gucken“, erklärt Jan Sadler: „Das hatte schon seine Parallelen zur Konzertbranche: Auch hier geht es letztlich darum, sein Publikum so zu interessieren, dass es auch reinkommt.“

Der Wechsel von der Konzertbühne ins Museum erwies sich aber nicht nur aus diesen Gründen als spannende, weil unbedingt lehrreiche Angelegenheit. „Ich war eigentlich kein Museumsgänger. Und zudem hatte ich mich mit der Leipziger Stadtgeschichte nie wirklich beschäftigt“, überlegt er. Ein Vorteil, wie sich schnell herausstellte – denn damit war gewissermaßen das Publikum, das ja auch unbedarft und ohne große Vorbildung ins Haus kommt. Sondern mit einer gewissen Wissbegier: „Man möchte etwas über die Stadtgeschichte erfahren.“

Nun, im Fall von Jan Sadler hat der zugegebenermaßen längere Besuch im Museum in dieser Hinsicht einiges verändert. Er weiß jetzt, was sich beispielsweise hinter dem neuen Robert-Blum-Demokratiepreis verbirgt – weil er die Geschichte von Robert Blum inzwischen kennt. Und dies ist schon etwas, dass in die Zukunft weist – in eine Zukunft, die eventuell etwas weniger mit Musik, dafür aber mehr mit musealer Kultur zu tun haben könnte.

Das hat schon ein paar Gründe: Zum einen hat die Konzertbranche in Coronazeiten ordentlich einen mitbekommen und die Auswirkungen sind längst nicht ausgestanden – das quasi auf der Zielgeraden abgesagte Sting-Konzert in Leipzig hat den gestandenen Manager ins Grübeln gebracht. „Natürlich ist man am Ende des Abends ein glücklicher Mensch, wenn man mit Applaus nach Hause geht. Das macht diesen Job so schön“, überlegt Jan Sadler: „Aber inzwischen muss man bei jedem Konzerttermin die Daumen drücken, dass er auch wirklich stattfinden kann. Und andererseits stelle ich gerade fest, auch andere Bereiche entdeckt zu haben, die mir eine ähnliche Erfüllung geben können.“

Er wird ein Auge haben auf das digitale Museum der Zukunft, das ist klar – und es kann auch gern das Stadtgeschichtliche in Leipzig sein. Weil es zum einen neue Perspektiven eröffnen kann – einen Blick auf so viele unerzählte Geschichten von Julie Bebel beispielsweise. Oder Bruno Vogel. Und weil es eine Nachhaltigkeit hat, die im schnelllebigen Musikgeschäft kaum zu finden ist. „Software wächst, Software lebt weiter und verändert sich ständig“, überlegt er: „Ein System, das wachsen kann.“ Klingt nach dem Versprechen, dass dies auch mit „Moderne Zeiten“ passieren wird …

Zeiten ändern sich. Lebensgeschichten ändern sich – und die vergangenen Monate Corona-Pandemie haben da als Beschleuniger, als Katalysator gewirkt. Zum Schlechten in vielen Dingen – da macht Jan Sadler keinen Hehl draus. Aber manchmal auch zum Guten: „Diese zwei Jahre Corona haben mir hezeigt, wie schön Kinder sind, wie schön Familie ist. Und es war richtig gut, die Kinder aufwachsen zu sehen. Ganz direkt und hautnah.“ Jens Wagner

Die Augmented Reality-Ausstellung „Moderne Zeiten“ kann man sich im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig anschauen – und zwar im Alten Rathaus. Mehr Infos dazu auf: www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de

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