Leipzig. „The City Soaked In Grey“, die Stadt in Grau getaucht – so heißt einer der elf Songs auf der neuen Platte der Leipziger Singer/Songwriterin Karo Lynn. Eine Beschreibung eines grauen (Spät-)Herbsttages, der festgehaltene Blick aus dem Fenster im November 2021. Ein Titel, der Stimmung und Sound von „A Line In My Skin“ wunderbar auf den Punkt bringt: Diese Platte bringt wahrlich Musik zur winterlichen Zeit, dunkel, melancholisch, aber auch geradezu opulent.
Eines vorweg: Wer die junge Musikerin noch von den beiden Vorgänger-Veröffentlichungen „Frames“ und „Outgrow“ kennt, wird überrascht sein – weil sich da so viel verändert hat. „Gerade deshalb ist auch bei der dritten Platte alles ziemlich aufregend“, erzählt Karo Lynn: „Der gesamte Entstehungsprozess war vollkommen anders.“ Gut anderthalb Jahre hat sie in „A Line In My Skin“ investiert, mit dem neuen Produzenten Cornelius Miller an der Seite und einer ziemlich klaren Vision: Zum einen sollte die dunkle, tiefe Stimme – zweifellos das einzigartige Markenzeichen von Karo Lynn – noch mehr in den Vordergrund gestellt werden, andererseits war da die stetige Suche nach ganz eigenen Sounds von Gitarre und Synthesizer.
„Diese Platte ist viel mehr Karo Lynn als die beiden Platten vorher.“ Und dies aus mehreren Gründen. Punkt 1: Eigentlich sind die Songs entstanden in der Isolation, im Spätherbst 2021 und den folgenden Wintermonaten im heimischen Wohnzimmer – da sind solche sprachlichen Bilder wie die eingangs erwähnte in Grau getauchte Stadt entstanden beim Blick aus dem Fenster. „Der Herbst und der Winter machen mich ohnehin immer melancholisch, dazu kam dieses Gefühl des Eingesperrtseins als Musikerin. Immerhin gab es einen digitalen Austausch mit Cornelius.“ Punkt 2: Bei jenem Prozess, daraus jene Songs zu formen, die man nun auf „A Line In My Skin“ hören kann, war sie immer und permanent dabei. Bei jeder einzelnen Aufnahme beispielsweise, aber auch beim langwierigen, manchmal sogar frustrierenden Feilen am (Gesamt-)Sound.
„Ein wichtiger Ansatz: Ich wollte mich nicht mehr limitieren lassen.“ Weder beim Songwriting noch im Produktionsprozess, auch nicht bei der (visuellen) Gesamterscheinung. Weil Karo Lynn dieses neue Album als Gesamt-Kunstwerk verstehen möchte: „Es ist nicht mein Ding, am laufenden Band Singles rauszuhauen. Ein Album passt viel besser zu mir: Hier kommen beispielsweise die ganzen kleinen Details zusammen und verweben sich zu einem großen Ganzen. Und außerdem spiegelt ein Album diese ganz konkrete Zeitspanne meines Lebens wieder. Wenn ich mir die Songs jetzt anhöre, weiß ich genau, wie ich mich im vergangenen Winter gefühlt habe.“
Jetzt wartet die nächste große Aufgabe: Die Transformation der Studio-Songs auf die Live-Bühne. „Ehrlich? Den Gedanken an die Live-Situation hatte ich, hatten wir komplett ausgeblendet“, erzählt die Leipzigerin: „Sonst hätte die Platte wahrscheinlich auch ganz anders geklungen.“ Immerhin: Auf Tour möchte Karo Lynn mit einem zusätzlichen Gitarristen gehen – „das wird mich entlasten“. Weil ihre Stimme eben auch live prägender werden soll: „Ich habe viel gesungen in den letzten Jahren, viel ausprobiert und dabei gelernt, was ich mit meiner Stimme machen kann.“ Am 4. März soll es losgehen, im Flensburger Volksbad und der Schlusspunkt wird in der Heimat gesetzt: Am 26. März steht das letzte Tour-Konzert im Naumanns an.
Für den nötigen Rückenwind sorgte die positive Resonanz, die „A Line In My Skin“ gefunden hatte – inklusive Ganzseiten-Artikel im „Rolling Stone“ und MDR-Kultur-Feature. „Die Platte ist nicht komplett untergegangen, da war ich schon mal ziemlich froh.“ Und ein wenig geht der Blick von Karo Lynn auch schon weiter in die Zukunft, über die anstrengenden Wochen im Proberaum hinaus: „Ich hätte schon mal Lust, auf einer EP noch stärker in die Richtung elektronischer Musik zu gehen.“ Jens Wagner
Infos: www.karolynn.de