Hannes Pohlit und Robbert van Steijn (LSO) vor dem Kulturhaus Böhlen
Hannes Pohlit und Robbert van Steijn (LSO) vor dem Kulturhaus Böhlen

Dieser Moment wird ein besonderer sein – da sind sich Komponist Hannes Pohlit und Dirigent Robbert van Steijn einig. Einfach, weil es jener Moment sein wird, an dem eine Musik zum allerersten Mal vor einem Publikum erklingt. Eine Musik, die sich der eine erdacht, ja auch erarbeitet hat und die der andere klingende Wirklichkeit werden lässt. An drei Tagen – am 15. September in Böhlen, am 16. September in Markkleeberg und am 17. September in Borna – wird das „Tango-Concerto für Klavier und Orchester“ aus der Feder von Hannes Pohlit. Ein außergewöhnlicher Beitrag zum 60. Geburtstag des Leipziger Symphonieorchesters (LSO), bei dem Robbert van Steijn natürlich am Pult stehen wird.

Dieser ganz eigene Reiz vom Tango

Es ist dieser ganz eigene Reiz, den der Tango mitbringt – als eine Musikrichtung voller Emotionalität und Körperlichkeit, die sich nun einmal auf dem tänzerischen Ursprung ergibt. Ein Reiz, den der Leipziger Komponist Hannes Pohlit schon in seiner Jugendzeit kennenlernte – und der ihm auch sein Musikstudium mitfinanzierte, wie er mit einem Lächeln berichtet: „Damals habe ich für den Komponisten Jorge Zulueta als Arrangeur gearbeitet und somit die Erfahrungen mit dieser Musik gewissermaßen in seinem Freundeskreis in Paris aus erster Hand gesammelt.“

Letztlich war es dann doch irgendwie die Zeit der Corona-Pandemie, die den entscheidenden Anstoß gab. Die reine Idee, sich mit einem Tango-Klavierkonzert in kompositorischer Weise zu beschäftigen, ist eigentlich schon gut zehn Jahre alt, berichtet Hannes Pohlit: „Dann hatte ich die Zeit, diese Idee zu entstauben.“ Und dann kam da noch ein weiterer Faktor ins Spiel – mit dem Leipziger Sinfonieorchester.

Jubiläumskonzert mit dem Leipziger Sinfonieorchester LSO unter Leitung von Robbert van Steijn und Hannes Pohlit am Klavier im Kulturhaus Böhlen.
Jubiläumskonzert mit dem Leipziger Sinfonieorchester LSO unter Leitung von Robbert van Steijn und Hannes Pohlit am Klavier im Kulturhaus Böhlen.

Mit einem Intendanten Wolfgang Rögner an der Spitze, der für seinen Hang zum musikalischen Crossover durchaus bekannt war. Und dann ging alles ziemlich schnell: „Die Verbindung zu Wolfgang Rögner und Robbert van Steijn war schnell gefunden“, erzählt Hannes Pohlit. Der Weg war frei für das „Tango-Concerto für Klavier und Orchester“, gewissermaßen als besonderes Geburtstagsüberraschung zum 60. Jahrestag der LSO-Gründung.

Crossover ist das Motto

„Crossover“ ist dabei ein ziemlich gutes Stichwort: Denn genau darum geht es, dies wird im Gespräch mit den beiden schnell klar. Es geht schließlich nicht allein nur um den Tango als Musik – der Tango kommt bei den drei anstehenden Konzertabenden auch als Tanz auf die Bühnen. Angela Sallat und Andreas Küttner – bekannt aus der Leipziger Tangoszene – werden zu der Musik von Hannes Pohlit tanzen. „Vor allem der dritte Satz des Konzertes ist sehr rhythmisch und damit bestens geeignet für die Tanzbegleitung“, erzählt der Komponist.

Allerdings bringt dies auch Herausforderungen mit sich. – zusätzlich zu jenen, die ohnehin schon da sind: Angefangen von der Tatsache, dass diese Komposition die Premiere auf großen Bühnen feiert und sich alle Beteiligten diese Musik gewissermaßen erst einmal erarbeiten müssen. Bis hin zur Besetzung der Konzerte, bei der man Hannes Pohlit höchstpersönlich am Blüthner-Klavier findet – und dies bei einem Musikstück, von dem der Schöpfer selbst sagt: „Im Fokus steht eindeutig das Klavier. Und ja: Ich habe diese Musik für mich als Pianisten geschrieben, aber auch das LSO mitgedacht.“ Da half die Erfahrung, die Hannes Pohlit als Dirigent gesammelt hat.

„Schon ein kompliziertes Stück Musik“

Vorhang auf für Robbert van Stejin – er wird als Dirigent dann gewissermaßen „die Rolle des Komponisten übernehmen“, wie es Hannes Pohlit mit einem Lächeln sagt. Und der gebürtige Amsterdamer – seit September 2021 als LSO-Chefdirigent im Amt – freut sich schon auf diese Aufgabe. Gerade auch, weil es das „Tango-Concerto für Klavier und Orchester“ schon in sich hat: „Das ist schon ein schwieriges, ein kompliziertes Stück Musik. Aber zum Glück ist ja der Komponist mit dabei“, sagt Robbert van Steijn mit einem Lächeln: „Da kann man auch mal schnell in einen Austausch treten. Deshalb liebe ich es, mit zeitgenössischen Komponisten zu arbeiten.“

Was dann wiederum eine interessante Frage aufwirft: Lebt und verändert sich Musik? Gibt es einen Punkt, an dem eine Komposition gewissermaßen in Stein gemeißelt ist? Da sind sich Komponist und Dirigent schnell einig: Musik muss leben, muss atmen, muss sich entwickeln. „Gustav Mahler ist ein gutes Beispiel für einen Komponisten, der von seinen Stücken mehrere Fassungen gemacht hat“, überlegt Robbert van Steijn: „Und ich habe zugegebenermaßen ein eher gespaltenes Verhältnis zu gefundenen Urfassungen. Ich finde es beispielsweise respektlos, die Verlorene Sinfonie von Edvard Grieg aufzuführen.“ Und er ergänzt: „Musikalische Skizzen von Komponisten sind schon eine sehr persönliche Sache.“

Manchmal sind die Dinge auch in der Musik im Fluss

Die Dinge sind im Fluß – gerade auch in der Musik im Allgemeinen und in der Orchestermusik im Besonderen. Man solle Komponisten generell nicht auf einen hohen Sockel stellen, findet der LSO-Chefdirigent und Hannes Pohlit ergänzt: „Auch die Dirigenten haben sich im 19. Jahrhundert einfach zu wichtig genommen – um Umgang mit den Kompositionen, aber auch mit dem Orchester.“ Ein Ball, den Robbert van Steijn nur zu gern aufnimmt – sieht er sich doch in einer ganz anderen Rolle: „Weg von dem Maestro, der allen sagt, wo es langgeht. Diese Zeiten sind – wie in der ganzen Gesellschaft – aus meiner Sicht vorbei. Im Orchester sitzen durchweg leidenschaftliche Musikerinnen und Musiker: Wenn da jemand mit einer Idee kommt, dann denke ich natürlich darüber nach.“

„Gustav Mahler ist ein gutes Beispiel für einen Komponisten, der von seinen Stücken mehrere Fassungen gemacht hat.“

In dieser Gemeinschaftlichkeit wird die neue Musik nunmehr zum Leben erweckt. Mit dem Komponisten Hannes Pohlit, der seine Musik in den Partituren auch immer wieder begleitet mit Informationen und Notizen, wie Robbert van Steijn erfreut berichtet. Der andererseits aber auch in das Orchester einrückt als Pianist bei den anstehenden Konzerten: „Als Solist ist man in allererster Linie mit sich selbst beschäftigt. Und dazu muss ich sagen, dass ich noch nie ein Stück von mir so gut spielen konnte wie dieses – seit gut einem Jahr spiele ich es jeden Tag.“ Und mit dem Dirigenten Robbert van Steijn, der diese „Gleichzeitigkeit von Lebensfreude und Melancholie“ schätzt, die im Musikstil Tango zu finden ist: „Diese Poesie in der Musik – das steckt auch in Sergei Rachmaninow drin.“

Zwischen Klassik und Moderne

Schon wieder ein wichtiges Stichwort: Das Stück „Tango-Concerto für Klavier und Orchester“ heißt nicht ohne Grund genauso. Weil es dann doch mehr ist als ein Tango. Weil die Musik vielschichtiger ist und die Beiden schnell solche Anknüpfungspunkte finden wie Richard Wagner und eben Sergei Rachmaninow, wie Franz Liszt und Johann Sebastian Bach. „Bach ist ohnehin das Größte: Das steckt überall drin“, sagt Hannes Pohlit mit einem Lächeln. Um dann doch mit Ernsthaftigkeit über Tiefe in der Musik, über Komplexität zu sprechen: „In der klassisch angelegten Musik gibt es aber auch viele Dinge, die sich wiederholen. Und für mich als Komponist hat es einen besonderen Reiz, sich an diesem Kanon abzuarbeiten.“

„In der klassisch angelegten Musik gibt es aber auch viele Dinge, die sich wiederholen. Und für mich als Komponist hat es einen besonderen Reiz, sich an diesem Kanon abzuarbeiten.“

Wie schon gesagt – „Crossover“ könnte eine Definition sein. Weil sich Klassik und Moderne ebenso begegnen wie anspruchsvolle Kompositionen und Tanz. „Heutzutage wird gern mal die Unterscheidung in E- und U-Musik gepflegt. Dabei hat es diese tänzerischen Elemente auch schon in der klassischen Musik gegeben“, überlegt Hannes Pohlit. Was wiederum den Bogen schlägt zu Angela Sallat und Andreas Küttner, die das „Tango-Concerto für Klavier und Orchester“ mit ihrem Tanz begleiten werden in Böhlen, Markkleeberg und Borna.

„Ich finde es richtig gut, nach dem Sommer mit diesen Konzerten, mit diesem Stück zu starten“, blickt Robbert van Steijn auf die kommende Woche voraus. Einfach auch, weil es schon ein wenig den Ehrgeiz des Orchesters kitzelt auch mit der Herausforderung der drei durchaus unterschiedlichen Konzertorte vom Kulturhaus in Böhlen über den Lindensaal in Markkleeberg bis zum Bornaer Stadtkulturhaus: „Und so eine Uraufführung ist ja auch immer eine außergewöhnliche Sache.“

„Es muss Spass machen, die Musik zu spielen“

Doch dann ist da ein Wort, dass man vielleicht so nicht erwartet hätte. Es geht um Spaß. Darum, dass Hannes Pohlit einen „Riesenspaß hat, diese Musik zu spielen“. Tag für Tag auf’s Neue. Und darum, dass Kompositionen generell entsprechend angelegt werden müssten: „Man muss so schreiben, dass es Spaß macht, sie zu spielen. Diese Fragen nach der Umsetzbarkeit von Musik habe ich mir früher nicht gestellt.“

Letztlich sind sich Komponist und Dirigent schnell einig: Es brauche ein gewisses Niveau in der Musik – nicht zuletzt, um das Publikum auch mitzunehmen und nicht zu langweilen. Hannes Pohlit erklärt die Idee der Spannungsbögen in der Komposition: „Die Musik bewegt sich auf jenen Moment zu, an dem die Rakete abhebt. Auf die Augenblicke, in denen man Gänsehaut bekommt.“ Und Robbert van Steijn ergänzt: „Es braucht dieses Auf und Ab. Das Publikum braucht es, aber auch das Ensemble.

Musik ist eine dynamische Kunstform: Sie entsteht in einem Moment und ist doch im nächsten auch wieder weg.“ Umso wichtiger sei es, sich als Musiker, Komponist, Dirigent jene Frage zu stellen, die Hannes Pohlit letztlich formuliert aus den Gedanken der vergangenen drei Jahre: „Welche Musik drückt mich wirklich aus? Ich bin ein Mensch der Gegenwart, ich lebe gern in dieser Gegenwart.“ Eine Antwort hat er gefunden – sie heißt „Tango-Concerto für Klavier und Orchester“.

Informationen: www.lso.de

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