Mit Kräuterfrau Barbara kann man eine Zeitreise der besonderen Art erleben. Foto: Pressefoto Agentur
Mit Kräuterfrau Barbara kann man eine Zeitreise der besonderen Art erleben. Foto: Pressefoto Agentur

Wer die Kräuterfrau Barbara einmal kennenlernen durfte, bemerkt schnell, ihr Wissen ist immens und unschätzbar. Sie kennt die Menschen, die ­Delitzsch in den vergangenen Jahrhunderten prägten, und die wechselvolle Stadtgeschichte und weiß so manch pikantes Detail. Und etwas von ihrem Wissen gibt sie einmal im Jahr bei einer Führung durch die Delitzscher Altstadt weiter.

Ein regnerischer und bedeckter Tag Anfang Juni. Kräuterfrau Barbara kommt mit einem Körbchen unter dem Arm in den Barockgarten. Natürlich ist „Kräuterfrau Barbara“ nur ein Künstlername. Dahinter verbirgt sich dennoch ein Gesicht der Stadt, eine Frau, die mit ihrem Engagement und ihrem ­Wissen beeindruckt. Bärbel Felgner, so ihr bürgerlicher Name, ist von Hause aus Hebamme. Sie wurde vor der Wende für den geplanten Kreißsaal in der Klinik ­Delitzsch ausgebildet – „der aber letztlich nie gebaut wurde“. Daher wechselte sie 1989 zur Stadtverwaltung in den Bereich Gesundheits- und Sozialwesen und 1995 zur Tourist-Info. Sie organisiert seit fast 30 Jahren den städtischen und historischen Teil des Stadtfests Peter & Paul, ist zudem Gleichstellungs­beauftragte und unternimmt seit 2018 als Kräuterfrau ­Barbara einen Stadtspaziergang. Einen kleinen Einblick davon gibt sie heute.

Faible für Pflanzen und Kräuter

„Wir gehen hier aber nicht auf Kräutersuche“, sagt sie sofort. Dahingehend sei der Künstlername irreführend. Aber eben auch nicht ganz. Denn privat habe sie ein Faible für Pflanzen und Kräuter. „Als ich mir überlegt habe, was wir nicht nur Touristen, sondern auch unseren Bewohnerinnen und Bewohnern Neues bieten können, habe ich mich entschieden, mein Hobby mit einzubringen“, berichtet sie.

Und so sind Kräuter ein Baustein während des Rundgangs – der im Schlossgarten beginnt. „Herzogin Henriette Charlotte hatte hier eine Apotheke und ein Laboratorium eingerichtet“, weiß sie. Damals, im 18. Jahrhundert, sah der Barockgarten also ganz anders aus. „Hier wuchsen viele Pflanzen, die heute als giftig gelten.“ Laut alten Aufzeichnungen standen damals Akeleien, Kamille, Schafgarben, Rosmarin, Basilikum, Astern, Nelken neben Salomonssiegeln, Löwenmäulchen, Herbstzeitlosen, Goldregen, Ampfer, Fingerhut und Ginster. „Der Garten war Nutz- und Ziergarten in einem und einer der frühesten Barockgärten.“

2000 wurde er übrigens wieder in seiner ursprünglichen Form hergerichtet: „Mit einem Rondell, dessen Akanthus-Ornamente mit farbigem Ziegelbruch gefüllt sind, mit einem strahlenförmigen Wegenetz mit Alleen aus ­Kugelahornen sowie einer langen einfriedenden Hecke aus Hainbuchen.“

Allerlei Neues

Für ihren Rundgang hat ­Bärbel Felgner viel recherchiert „zur Geschichte und den Menschen unserer Stadt“. Ein großes Hilfsmittel seien die Bücher und Schriften des heutigen Oberbürgermeisters Manfred Wilde gewesen, der als Historiker und Museumswissenschaftler viel geforscht hat. „So konnte ich selbst noch viel Neues erfahren und möchte dieses Wissen gern auf lockere Weise den Teilnehmenden bei meinem Rundgang weitergeben“, sagt sie.

So erfahren Interessierte zum Beispiel, dass es in ­Delitzsch im 15. Jahrhundert eine Baderei gab – nämlich in der heutigen Badergasse. „Was keiner weiß, unweit der Badestube stand eine Herberge für Mönche und daneben ein Frauenhaus.“

Delitzsch besitzt auch das älteste Hospital, das noch heute in seiner ursprüng­lichen Verwendung genutzt wird. „Das St. Georg Hospital in der Halleschen Straße wurde im 15. Jahrhundert gebaut, um Schwerstkranke zu behandeln und alte Menschen zu pflegen. Und es konnte auch nur an dieser Stelle errichtet werden, da es außerhalb der Stadt liegen sowie an ein Gewässer und eine Kirche angebunden sein musste“, erzählt die 59-Jährige.

Daneben entstand um 1855 Delitzschs erste Kita, damals noch unter dem Begriff Kinderbewahranstalt.

Und gegenüber des Halleschen Turms befindet sich das Geburtshaus des Naturwissenschaftlers Christian Gottfried Ehrenberg – Begründer der Mikropaläontologie und heute Namensgeber des städtischen Gymnasiums.

1817 hat Carl C. Freyberg in Delitzsch die erste Apotheke, die „Adler Apotheke“, eröffnet und beginnt neben dem Apothekengeschäft auch mit der Herstellung von Schädlingsbekämpfungsmitteln. „Ihm haben wir das erste Rattengift zu verdanken.“

Aber es gibt auch ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Stadt: „Es gab mehr als 900 angeklagte Hexen im Kurfürstentum Sachsen, ­davon waren auch sieben Frauen unter anderem aus Mocherwitz, Grebehna und Umgebung betroffen, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.“

Stadtmauer bis heute erhalten

Weiter geht es entlang der Stadtmauer. „Vor rund 600 Jahren ließen die Delitzscher Bürger hier eine komplexe Wehranlage zum Schutz der städtischen Siedlung errichten. Ein der Stadt vorgelagerter Wall (heute eingeebnet), der wasserführende Wallgraben, der Zwingerhang und die sechs Meter hohe Stadtmauer umgaben den frühen Stadtkern“, erzählt Bärbel Felgner. Für jeden Mauerabschnitt seien bestimmte Bürger zuständig gewesen, die im Angriffsfall zu den Waffen griffen und in der Mauergasse Aufstellung nahmen. Auf 1,4 Kilometern umgibt die mächtige, original erhaltene Ziegelmauer noch heute die Altstadt. Nur in der Höhe hat sie sich geändert. „Die ursprünglich sechs ­Meter hohe Mauer wurde auf vier Meter zurückgebaut.“

Oase für alle Sinne

Der nächste Halt führt zum ­Rosengarten. Er wurde zwischen 1933 und 1934 angelegt als Delitzsch noch Kurstadt werden wollte. Er ist ein kleines Schmuckstück: Bänke ­laden zum Verweilen und ­Innehalten ein. Verschiedene Rosenarten blühen hier in großer Farbenpracht zwischen Lavendel und Salbei. Es duftet von überall und man hört nur die Vögel zwitschern. „Ein idyllischer Ort und eine Oase für alle Sinne“, findet Bärbel Felgner. Hier blühen auch zwei ganz besondere Rosen­arten: zum einen die Herrmann-Schulze-Delitzsch-Rose und zum anderen die Herzogin Christiana-Rose.

Das dahinter angelegte Eisen-Moorbad wurde 1926 eingeweiht. Gründer Willy Fuchs entdeckte hier heilendes Wasser und eröffnete seine städtische Badeanstalt. Bärbel Felgner erinnert sich, zu DDR-Zeiten hier als Kind für 25 Pfennig so manches Vollbad genommen zu haben.

Der dicke Turm von Delitzsch

Zwei Stunden dauert der Stadtspaziergang – oder anders gesagt: Auf den vier Kilometern werden um die 7000 Schritte absolviert. „Das Fitnessprogramm ist dann zum Abschluss der Aufstieg zur Türmerwohnung im Breiten Turm. Da gilt es noch mal alle Kräfte zu mobilisieren und die 130 Stufen des 46 Meter hohen Turms zu erklimmen“, so Bärbel Felgner. Dafür wartet hier auch eine besondere Überraschung auf die Teilnehmenden, die aber an dieser Stelle nicht verraten wird. Zudem gibt es hier einen einmaligen Blick über die Stadt und sogar bis nach Leipzig, Halle, Eilenburg und Bitterfeld. ­„Also nach dem Sport auch ein bisschen Entspannung.“

Der Eingang zum Turm wurde nachträglich gebaut. „Früher ging es über die erste Etage in den Turm, da sich im Erdgeschoss das Verlies befand“, verrät die Gästeführerin. Und wie kam der Breite Turm zu seinem Namen? „Ganz einfach, seine Mauern sind zwei Meter dick. Für die Bürger sah er einfach breit aus. Also gaben sie ihm den Namen ‚Breiter Turm‘.“

Bis 1902 wohnte hier ein Türmer. Seine Aufgabe war es, in alle Richtungen nach Feinden Ausschau zu halten. Der Sage nach rettete im 17. Jahrhundert die Türmerstochter die Altstadt, indem sie kräftig in die Trompete blies, um die Bürger vor den herannahenden schwedischen Reitern zu warnen und sie an die Waffen zu zwingen. Seit 1991 ertönen die sogenannten Schwedischen Reitersignale jedes Jahr von der amtierenden Türmerstochter zur Eröffnung des Delitzscher Stadtfestes Peter & Paul in Gedenken an diese mutige Tat. Nannette Hoffmann

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