Leipzig. Mühelos schwingt sie ihr Bein auf die Stange, eine elegante Kniebeuge auf Zehenspitzen, eine leichte Drehung – die Übungen, die Carla Senf in ihrem Studio im Leipziger Osten zeigt, wirken tänzerisch und sportlich zugleich. Im Mittelpunkt steht dabei die Stange – englisch Barre – die beim Turnen Stabilität verleiht. Der Trend kommt aus den USA. Doch inzwischen hat das Workout an der Ballettstange auch in Deutschland einige Anhänger gefunden.

Carla Senf hat im vergangenen Jahr Leipzigs erstes Barre-Studio eröffnet. Die Trainerin erklärt die Vorzüge der Sportart: Bei den Balanceübungen halten sich die Teilnehmerinnen an der Ballettstange fest – das gibt Sicherheit und trainiert durch die dauerhaft aufrechte Haltung den Rücken. „Viele, die das erste Mal in den Kurs kommen, haben am nächsten Tag Muskelkater im Rücken.” Die Sportart ist auch für Ältere oder Schwangere geeignet – weil die Stange Halt gibt.

Leipzigerin will Unternehmerinnen helfen

Carla Senf gibt viele Sportkurse selbst. Doch sie hat nun auch ein Team von zehn Freelancern, das in ihren inzwischen zwei Studios neben Barre auch Yoga und Pilates-Kurse anbietet. Was der Leipzigerin wichtig ist: Sie will nicht nur als Fitnesstrainerin in Erscheinung treten, sondern auch als Unternehmerin.

Frauen würden in solchen Positionen noch immer schwer wahrgenommen, findet sie und nennt als Beispiel ihre eigenen Kinder. Carla Senf hat einen 15-jährigen Sohn und 11-jährige Zwillinge. Die Kinder brachten kürzlich eine, wie sie es nennt, „Businessfrage” aus der Schule mit nach Hause. Zu dem Thema wollten sie eigentlich ihren Vater befragen, denn der ist Geschäftsmann. „Ich bin Geschäftsfrau”, machte ihnen die Mutter klar. „Ich bin mir sicher, wäre ich ein Mann und würde genau dasselbe machen, hätten sie das nicht in Frage gestellt”, sagt Carla Senf und ist der Meinung: „Das Stadtbild ist businessmäßig sehr von Männern geprägt.” Dem würde sie gern etwas entgegensetzen – vielleicht, indem sie demnächst einen eigenen Treff ins Leben ruft, in dem sich Unternehmerinnen aus Leipzig vernetzen und gegenseitig unterstützen.

So geht das: Carla Senf zeigt in ihrem Studio Übungen an der Ballettstange. Foto: André Kempner

Zugegeben: Allzu lange ist Carla Senf noch keine Firmenchefin. Viele Jahre lang arbeitet die studierte Sportwissenschaftlerin selbstständig als Trainerin in Leipziger Fitness- und Yogastudios. „Du hast dadurch keine Verpflichtungen und bist austauschbar.” Nebenher hat sie einen Teilzeitjob in einem Büro. Dann kommt Corona, die Fitnessstudios müssen monatelang schließen. Die Freelancer bekommen keine Aufträge mehr. Also improvisiert die Fitnesstrainerin, gibt einige Kurse online. Der Bürojob hält die Familie über Wasser. Als im Sommer 2021 einige Studios wieder öffnen, überlegt Carla Senf, wie es weitergehen soll. Treue Kursteilnehmerinnen fragen bereits, wo sie wieder bei ihr trainieren können. „Dann hat jemand zu mir gesagt: ’Warum mietest du nicht einfach einen Raum?’”, erzählt sie und fügt hinzu: „Ich wollte eigentlich nie ein Studio aufmachen.” Doch „einen Raum anmieten” – die Hemmschwelle erscheint ihr weniger hoch.

Über einen Kontakt kommt Carla Senf an ein ehemaliges Atelier im Westwerk, das ein Künstler verlassen will. Stahlträger an der Decke, Farbkleckse auf dem Betonfußboden. „Sehr alternativ vom Aussehen und etwas untypisch als Kurs-Raum“, so beschreibt die Trainerin die Location. Aber: „Es hat sofort funktioniert”. Als im September 2021 das Studio „Barre West” öffnet, sind die Kurse auf Anhieb voll. Anfang dieses Jahres macht Carla Senf in einem Hinterhaus in Stötteritz ein zweites Studio auf – „Barre Ost“. “Die Leute wollen keine Anfahrt haben, sondern herlaufen oder maximal mit dem Rad fahren.”

In kleinen Gruppen von maximal zwölf Personen wird hier an der Stange oder auf der Matte trainiert. Es sind vorwiegend Frauen zwischen 20 und 60 Jahren, die zu ihr kommen – wobei sich das Publikum in Ost und West stark voneinander unterscheidet. In Plagwitz kommen viele junge, sportliche Frauen in ihre Kurse, in Stötteritz seien die Teilnehmerinnen älter, aber sehr motiviert. In Stötteritz liefen die Kurse schwerfälliger an. Doch inzwischen ist sie auch hier zufrieden – und sucht aktuell nach weiteren geeigneten Räumen. Am liebsten würde sie in Connewitz, in Gohlis und in der Innenstadt je ein weiteres Studio eröffnen – und sich damit einen Traum erfüllen. Denn der erste zerplatzte in ihrer Jugend: Als junges Mädchen will Carla Senf Tänzerin werden. Mit sechs Jahren entdeckt sie ihre Leidenschaft – genauer gesagt, wird sie dafür begeistert. „Zu DDR-Zeiten sind die Trainer in die ersten Klassen gekommen und haben sich die Kinder rausgepickt”, erzählt sie. Ihre zierliche Gestalt prädestiniert sie fürs Tanzen. Als Grundschülerin beginnt sie an der Musikschule Leipzig mit der Ausbildung. Als sie zwölf ist, bekommt sie das Angebot, auf die Palucca-Schule für Tanz nach Dresden zu gehen. Das bedeutet, ein Leben im Internet und den Abschied vom Elternhaus, in dem noch ihr sechs Jahre jüngerer Bruder lebt. Doch die Tänzerinnen und Tänzer machen dort kein Abitur. Ihre Eltern – beide Akademiker – lehnen ab. „Ich war todtraurig”, sagt Carla Senf rückblickend.

Weg zur Ballerina wird versperrt

Sie bleibt also in Leipzig, tanzt drei Mal pro Woche semiprofessionell an der hiesigen Musikschule – lernt Modern Dance, Jazzdance und Ballett. Ob sie es als professionelle Ballerina wirklich bis nach ganz oben geschafft hätte, daran hat sie heute ihre Zweifel. „Ich bin nicht besonders gelenkig und auch nicht groß genug”, sagt sie selbstkritisch. Heute bedauert sie es nicht, dass ihre Eltern ihr diesen Weg damals versperrten. Höchstens bis 30 hätte sie professionell tanzen können, verbunden mit hohem Leistungsdruck. Und sie weiß: „Als Ballerina kannst du deinen Körper nicht gesund fit halten.”

Nach dem Abitur geht sie für ein Jahr nach Frankreich, arbeitet nach ihrer Rückkehr nach Leipzig für einen Zahnfachverlag und absolvierte dort ein zweijähriges Volontariat. Nebenher studiert die Rückkehrerin Sportwissenschaft, Französistik und Kommunikationswissenschaften – und schließt das Ganze mit einem Magister ab. Neben Job und Studium tanzt sie – im Theater, bei Shows aller Art, in Clubs. Und verdient gutes Geld damit. „Ich war schon eine kleine Rampensau”, sagt sie heute. Den Vater ihrer drei Söhne, einen professionellen Breakdancer, von dem sie inzwischen getrennt ist, lernt sie übers Tanzen kennen.

Nach der letzten Geburt hört sie mit 31 Jahren mit dem aktiven Tanzen auf. „Nach den Zwillingen war ich gefühlt zu alt, um auf der Bühne zu stehen. Und ich hatte das Gefühl, ich habe genug getanzt.” So beginnt ihre Zeit als Fitnesstrainerin. Sie gibt anfangs Kurse in Modern Dance und Step Aerobic. Später kommen Yoga und eben das Barre-Training dazu. Das Anleiten der Gruppe sei ein guter Ersatz für die Bühne, findet Carla Senf. „Ich stehe wieder vor Menschen, auf einer Art Bühne. Das ist es, was ich mag.” Was sie aus ihrer Zeit als Tänzerin gelernt hat, will sie an die Frauen in ihren Kursen weitergeben – etwa ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper. Sie regt dazu an, sich auch mal selbst eine Umarmung zu schenken. „Ich hab da keine Hemmungen. Ich bin es gewohnt, den eigenen Körper zu bewegen, anzufassen und mich darüber auch darzustellen.”

Yogaübungen zu elektronischer Musik

Dass ihr die Bühne nicht so sehr fehlt, liegt wohl auch an einigen Events, auf denen Carla Senf im Mittelpunkt steht: Zum einjährigen Geburtstag ihres Studio West hatte sie im Westwerk einen Elektroflow-Yogakurs mit Live-DJ organisiert. 70 Teilnehmer kamen und praktizierten Yogaübungen zu wummernder elektronischer Musik. Perspektivisch will die Trainerin irgendwann auch Studios in Dresden und Berlin eröffnen. Wenn ihre Kinder ausgezogen sind, könnte sie sich vorstellen, auf Mallorca eine Dependance zu haben und dort vielleicht einen Teil des Jahres zu leben. Ihre Söhne spielen übrigens aktuell alle drei Basketball. Tanzen will von ihnen bisher keiner. Zumindest noch nicht. Gina Apitz

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