Der Leipziger Nachwuchsautor Finn Tubbe hat den großen Traum, Schriftsteller zu werden. Foto: André Kempner

Leipzig. Seine Bluse ziert ein Blumenmuster, an seinen Ohren baumeln große lilafarbene Schmetterlinge: Finn Tubbe sieht nach Frühling aus. Man könnte das Äußere des Nachwuchsautors als auffällig beschreiben. Doch das Interessante ist: Der erste Eindruck täuscht. Im Gespräch gibt sich der 20-Jährige mit der Brille und dem Wuschelkopf sehr zurückhaltend, fast schüchtern.

Dabei könnte er derzeit ziemlich stolz auf sich sein. Erst kürzlich wurde der Wahlleipziger beim diesjährigen überregionalen Schreibwettbewerb „Theo – Berlin-Brandenburgischer Preis für Junge Literatur” ausgezeichnet. Er fuhr zur Preisverleihung nach Potsdam, hörte sich die Laudatio der Juroren an – und freute sich sehr. Ein kleiner Schub für Tubbes Selbstbewusstsein. „Als schreibende Person bekomme ich viele Absagen“, sagt er. Etwa von Literaturzeitschriften, die seine Texte nicht drucken. Doch beim Wettbewerb in Potsdam konnte er mit seinem Beitrag „Alex, rauchend“ punkten.

Story aus der Sicht eines Knopfes

Die insgesamt zehn Seiten lange Erzählung ist aus der Sicht eines Knopfes geschrieben, der die beiden Protagonisten beobachtet. „Ich hab’ vier, fünf Monate lang versucht, die Geschichte aus Alex’ Perspektive zu erzählen, aber irgendwas hat gefehlt”, sagt der Autor. Dann kam ihm diese „Quatschidee, die sich bewährt hat”, erzählt er. Die Story bekam auf diese Weise einen neutralen Beobachter. „Ich mochte diese wertungsfreie Sicht.”

Ein Stilmittel, das Finn Tubbe bereits zuvor eingesetzt hatte. Einmal schrieb er eine Geschichte aus der Sicht eines Tapetenrisses: Dieser beobachtete im Zeitraffer alltägliche Szenen einer Familie: gemeinsames Essen am Tisch, Fernsehen schauen.

Trifft das auch auf den Autor zu? Beobachtet er gern Menschen? „Ich weiß nicht”, sagt Finn Tubbe. „Ich bin auch gern mitten im Geschehen.” Dann überlegt er lange und sagt: „Ich würde mich nie in ein Café setzen und Dinge beobachten, aber mir fallen Dinge auf, vor allem Absurditäten.” Dass er leblose Gegenstände gern als Beobachter einsetzt, sei der Distanzierung von sich selbst geschuldet. Seine Texte seien keineswegs allesamt autobiografisch, aber geprägt von eigenen Erlebnissen. Tubbe nennt den Stil autofiktional. Dass der Protagonist aus der prämierten Geschichte Mattis heißt – das ist Finns zweiter Vorname – sei aber purer Zufall, erklärt er. „Ich bin wahnsinnig faul mit Namen.”

Bisher hat der junge Autor eher kürzere Texte verfasst, maximal zehn Seiten lang. „Ich hab noch nicht den Atem für was Längeres.” Er schreibt auch Gedichte, hauptsächlich aber Prosa. Viele seiner Texte entstehen über Monate, liegen teils wochenlang herum. „Ich schreibe vielleicht 20 Texte im Jahr, aber nur drei, die auch was sind”, sagt er selbstkritisch. Arbeiten kann Finn Tubbe übrigens am besten, wenn er nicht zu Hause ist und von seinem Handy abgelenkt wird. Er schreibt lieber auswärts an seinen Texten.

Interesse an Literatur hatte Finn Tubbe schon als Kind. Ihm wurde viel vorgelesen, erinnert er sich. Später verschlang er die Harry-Potter-Romane und fing mit 16 an, eigene Texte zu schreiben. Sein erster handelte von einem Mann, der sein Kind verloren hat und während der Weihnachtszeit mit seinen Erinnerungen kämpft. „Die Erzählung wurde der Thematik nicht gerecht“, sagt Tubbe heute. Ist ein Text fertig, lesen ihn Freunde und geben ein Urteil ab. Mittlerweile sind das auch einige der 13 Kommilitonen vom Literaturinstitut aus Leipzig.

Seit Oktober studiert Tubbe hier einen Bachelor in Literarischem Schreiben. Leicht war es nicht, an einen der begehrten Plätze zu kommen. Die Hürden sind hoch. Bewerber müssen ein Motivationsschreiben und Leseproben einreichen und sich den Fragen der Professorinnen und Professoren stellen. Direkt nach dem Abi traute Tubbe sich nicht, sich zu bewerben. „Ich dachte, die nehmen mich eh nicht.“ Freunde ermutigten ihn, es zu probieren und seine Texte ernst zu nehmen.

Ein Jahr später klappte der Versuch auf Anhieb – und Tubbe zog aus dem Schwarzwald nach Leipzig. Der Wechsel von dem 20 000-Einwohner-Städtchen Schopfheim bei Freiburg in die Großstadt war für ihn eine große Veränderung. Dass er jetzt aus Baden-Württemberger Sicht tief im Osten wohnt, sei ihm gar nicht so bewusst gewesen. „Von der Mentalität her nehme ich das nicht wahr.“

Tubbes Eltern haben eher bodenständige Berufe. Die Mutter ist Lehrerin, der Vater Chemiker. Doch beide unterstützen ihren Sohn in seinem Plan, Schriftsteller zu werden. Seine vier Jahre jüngere Schwester hat ihn bereits in Leipzig besucht. Manche Texte bekommen seine Familie auch zu sehen. Sexszenen schicke er aber nur ungern, sagt Tubbe. Und er habe auch generell Angst, jemanden mit seinen Inhalten zu verletzen – auch wenn die Texte nur an die Realität angelehnt sind.

Kritik an seinen Werken ist er durch das Studium allerdings gewohnt. In Schreibwerkstätten werden die Texte der Studenten auseinandergenommen. Generell komme er mit dem Feedback gut zurecht, sagt Tubbe.

Er hatte aber kürzlich die Situation, dass ein Text im Seminar gut besprochen wurde, aber auf einer Lesung kitschig genannt wurde. Und das bei einer Erzählung, die sehr nah an seinem eigenen Leben dran war. Er fühlte sich nicht persönlich gekränkt, sagt er, aber in diesem Fall sei es schwieriger, konkret mit der Kritik zu arbeiten.

So eng die Studenten teils miteinander befreundet sind, am Ende sind sie auch Konkurrenten auf dem Literaturmarkt. Finn Tubbe blickt noch gelassen auf diese Situation. Wenn ein Kommilitone einen Text in einer Zeitschrift veröffentlichen konnte, die ihn abgelehnt hat, sei das für ihn nicht so tragisch. „Wenn man sich mit der Person in der Nacht davor betrunken hat, empfindet man auch keinen Neid.“ Eine große Gelassenheit spiegelt sich auch in Tubbes Alltag wider. Fragt man ihn, wie ein typischer Tag bei ihm aussieht, erzählt er, dass er morgens oft erstmal eine Runde spazieren geht.

Von seiner Wohngemeinschaft auf der Eisenbahnstraße ist es nicht weit zum Mariannenpark. In seiner Freizeit spielt er Fußball und Tischtennis („Ich bin zwar technisch schlecht, hab aber eine ganz passable Rückhand.“). Bis vor Kurzem ging Tubbe auch gern schwimmen. Doch das muss aktuell pausieren, weil er sich ein Tattoo hat stechen lassen. Seinen Arm ziert jetzt ein kleiner Pinguin. „Es ist mein Lieblingsvogel. Er kann nicht fliegen, das macht ihn mir sympathisch.“

Leidenschaft fürs Theater

Und dann hat Finn Tubbe noch eine Leidenschaft, die mit seinem Leben vor Leipzig zu tun hat: das Theater. Als Schüler besuchte er regelmäßig Vorstellungen. Nach dem Abi 2020 ging er im Oktober für ein Freiwilliges Soziales Jahr ans Theater in Heidelberg. Trotz zwischenzeitlichem coronabedingtem Lockdown wurde dort weiter geprobt und Stücke online gezeigt. Trotz der Einschränkungen war es „eine sehr schöne Zeit“, resümiert Tubbe. Er soufflierte den Schauspielern, schaute sich Proben an, hospitierte bei Regie und Dramaturgie. Anschließend wurde der junge Autor auch selbst kreativ. Für ein neu gegründetes Theaterkollektiv entwarf er Texte für ein Stück über Burschenschaften – in der Unistadt Heidelberg ein großes Thema. Die Schauspieler lieferten die Themen und er sollte daraus Texte entwickeln. Anfang April feierte das Stück Premiere.

Derzeit arbeitet Tubbe gemeinsam mit einem Autorenkollegen an einem neuen Theaterstück, das den Titel „Jägermeisterjugend“ tragen soll und sich um die Sozialisation junger Leute auf dem Dorf dreht. Falls sich ein Theater in Leipzig für den Stoff interessiert, würde Tubbe sich darüber freuen. Bisher hat er noch keine Kontakte in die Freie Szene geknüpft.

Sein großer Traum, eines Tages vom Schreiben leben können, sei momentan noch „sehr weit weg und sehr utopisch“. Dafür müsste er irgendwann wohl mal einen Roman abliefern. „Vielleicht in fünf oder zehn Jahren.“ Tubbe sagt, er bewundere Menschen, die eine Geschichte gut konstruieren können. Er schreibe dagegen einfach drauf los – „und dann ergibt sich irgendwas.“ Gina Apitz

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