Seit anderthalb Jahren ist Stefan Weppelmann der Direktor des Museum der bildenden Künste in Leipzig – seither hat er eine spannende Vision für das Haus im Herzen der Messestadt entwickelt und macht sich im Team daran, diese auch zu realisieren. Foto: André Kempner

Leipzig. Was ist eigentlich ein Museum? Ein Haus wie – sagen wir mal – das Museum der bildenden Künste in Leipzig? Hausherr Stefan Weppelmann hat da eine gleichermaßen bemerkenswerte wie anregende Definition einer außergewöhnlichen Produktionsstätte: „Ein Museum ist der einzige Ort, an dem etwas produziert wird, das an anderer Stelle nicht hergestellt werden kann.“ Und er spricht von Bindungen, die ein solches Haus schaffen kann – zum Ort, an dem man lebt. Und er ergänzt: „Ein Museum gibt das Gefühl: Es geht hier um mein Menschsein durch die Beschäftigung mit schöpferischen Leistungen.“

Nein, diese Definition hört man nicht sonderlich häufig – gerade in dieser expliziten Form. Denn der Direktor des Museums der bildenden Künste (MdbK) in Leipzig – inzwischen seit gut anderthalb Jahren neu in Amt und Würden – scheut den Vergleich mit den „klassischen“ Produktionsorten, den Werkstätten, Fabriken und Büros überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil: Wie selbstverständlich sortiert er das Museum im Allgemeinen und das MdbK im Besonderen ein in diese Kategorie. „Klar, das ist schon ein wenig radikal“, sagt er mit einem leisen Lächeln: „Aber natürlich sehen wir uns hier als produzierendes Gewerbe.“ Das Produkt: Die Beschäftigung mit dem eigenen Menschsein – wie erwähnt. Oder ein Gemeinschaftsgefühl, das über klassischen Kategorisierungen wie Religion oder Herkunft weit hinausgeht.

Erreichen kann man diese Produktionen aber nur, wenn die Schwelle am Eingang nicht zu hoch ist – bildlich gesprochen. Denn Museen im Allgemeinen und ein Haus, das sich mit bildenden Künsten im Besonderen beschäftigt, erzeugen schon auch mal Berührungsängste. Dem ein oder anderen fällt es dann doch schwer, um diese bildliche Schwelle zu treten – und sich dann einzulassen auf diese Produktion von Menschsein und Gemeinschaftsgefühl. Stefan Weppelmann weiß um diese Herausforderungen und er weiß auch, was man tun kann: Offenheit schaffen. Es ist sicher schon aufgefallen, dass sich das MdbK verändert hat, rein äußerlich. Mit einer inzwischen geöffneten Fassade, beispielsweise. Oder mit Kunstwerken im öffentlichen Raum …

… die auch etwas machen. Mit den Betrachtern und dem öffentlichen Raum. Da ist dieses Kunstwerk von Stella Hamberg, das seit Dezember letzten Jahres die Blicke vor dem MdbK auf sich zieht. „das ist das“ heißt es und es erzeugt Reibung, gewollte Reibung. „Mir war zum einen wichtig, mit dieser Skulptur auch die Unfertigkeit zu zeigen, die in Kunst stecken kann“, erklärt Stefan Weppelmann: „Und dann wirkt sie mit diesem aufgerissenen Maul auch bedrohlich. Ja, dies hat schon unbedingt etwas Bedrohliches in unserer Gesellschaft.“ Ein weiteres wichtiges Signal: Die geradezu ikonische Skulptur „Beethoven“ von Max Klinger rückte in die Eingangshalle, „eine Skulptur, die für den Triumph der schöpferischen Kraft des Menschen steht“.

Große Worte – aber der MdbK-Direktor weiß mit kleinen Erinnerungen diesen Worten auch Inhalt zu verleihen. Mit eigenen Erlebnissen, die zeigen, was diese erwähnte schöpferische Kraft des Menschen auszulösen vermag. Mit einem Lächeln erzählt er vom 16-jährigen Stefan Weppelmann, der sich auf den Weg machte aus der kleinen nordrhein-westfälischen Heimatstadt ins große Köln, um mal die Großstadt zu erforschen und zu entdecken. „Da war ich derart beeindruckt von dem Dom in seiner ganzen Größe, ich habe stundenlang davorgestanden und nur geschaut. Das hat wirklich etwas ausgelöst“, erzählt er und ergänzt: „Es wäre eine schöne Vision für das Museum der bildenden Künste, wenn man so etwas auch bei anderen Menschen auslösen könnte.“

Wie gesagt: Dafür will man einiges tun – und da erweist sich der Museumschef als unbedingter Teamplayer. Keine direktoralen Alleingänge, auf gar keinen Fall. „Wir sind schon gut vorangekommen auf dem Weg zu einem Leitbild für das Haus“, und er unterstreicht explizit das Wörtchen „Wir“. Weil sich das ganze Team mit den Fragen beschäftigen soll, darf, muss, was das Museum machen soll. Und was es für die Stadtgesellschaft bedeuten kann – im steten Wechselspiel natürlich. „Wir sind gemeinsam unterwegs: Wir werden auch mal scheitern, aber wir werden gemeinsam etwas bewegen.“

„Ein Ort der Überraschungen“

Denn diese Sache mit dem Scheitern, die steckt nun mal zwingend drin in der menschlichen Kreativität. Das weiß Stefan Weppelmann als studierter Kunsthistoriker, aber auch mit seinen Erfahrungen als Forschender in New York und Florenz und natürlich als Kurator und Museums-Direktor in Berlin und Wien natürlich ganz genau. Was unterm Strich die ganze Angelegenheit aber eher spannender mache – die damit auch näher rankommt an die Idee, ein „Museum als Ort der Überraschungen“ zu definieren. „Ich habe schon Menschen in unseren Ausstellungen erlebt, die sich unter dem Eindruck der Kunstwerke richtig geöffnet haben“, berichtet er: „Und dies sind dann die Momente, in denen das Museum etwas geleistet hat.“ Da ist sie wieder, die Idee vom „Produktionsort Museum“, der eben tatsächlich Einzigartiges wie diese Momente erzeugen kann.

Wobei Stefan Weppelmann diesen Produktionsort abgegrenzt sehen möchte von den erwähnten klassischen Plätzen, von den Fabriken und Büros. Auch ganz schön eindeutig, als Gegenentwurf zur Wirtschaft mit der Werbemacht, die nach dem Motto „Individualität predigen, Konformität verkaufen“ agiere: „Ein Museum kann Mut machen für eine eigene Persönlichkeit. Hier findet sich ein Wertesystem, das unbedingt mit Individualität zu tun hat – aber auch mit den Pflichten, die jeder Mensch gegenüber sich selbst hat. Diese Pflichten kann man als Selbstbefreiung, als Selbstaufklärung sehen“, dann formuliert er den großen Anspruch in einfachen Worten: „Hier kann jeder sich selbst sein.“ Ohne Wenn und Aber. Was eine spannende Assoziation weckt: „Städte haben ein Bedürfnis nach solchen Orten – es ist ein wenig wie der Gang in ein Fitnessstudio, um etwas für mich und meinen Körper zu tun.“ Und nach einer kleinen Pause ergänzt er: „Ich mag diese Assoziation zum Sport wirklich – eben aus dem Grund, weil man da auch etwas für sich selbst tut.“

Die Ausgangspositionen in Leipzig sind dafür bemerkenswert ideal – auch ein Grund, warum Stefan Weppelmann in die Messestadt gekommen ist. Das Museum der bildenden Künste ist schon aufgrund der Sammlung ein höchst diverser Ort. Einer der wenigen in Deutschland, an dem Alten Meister und die Gegenwartskunst unter einem Dach vereint werden. Was ihm auch die Chance gegeben hatte, sich ein wenig zu lösen von diesem anhaftenden Bild, aufgrund seiner früheren Arbeit und Ausstellungen als „Renaissance-Experte“ wahrgenommen zu werden. Wie wenig dieses Bild den Menschen zeigt, wird schnell klar, wenn man die Leidenschaft und das Engagement erlebt, wenn die Sprache auf die Comic-Zeichnerin Anna Haifisch kommt oder auf die Arbeiten von Tino Sehgal. Ausstellungen mit Gegenwartskunst, die aktuell im „Bildermuseum“ zu sehen sind. Und die den Anspruch unterstreichen, im besten Sinne grenzübergreifend zu sein – gerade auch bei den Generationen.

Keine leichte Aufgabe – weiß der Museumschef auch aus eigener Erfahrung. „Es gibt ganz schön große Unterschiede zwischen den Generationen: Das sehe ich selbst bei meinem 18-jährigen Sohn – er hat einen ganz anderen Blick auf das Leben.“ Auflösen kann mit dies – auch diese Idee schwingt permanent mit bei Stefan Weppelmann – durch gelebte Offenheit. Kein Wunder, dass die Vorstellung, den Zugang zur Dauerausstellung mal bei freiem Eintritt zu ermöglichen, bei ihm nicht nach einer Utopie klingt, sondern nach einem konkreten Ziel, das möglichst bald zu erreichen ist. Rein in die Stadt! Weg mit dem dunklen, geschlossenen Bauwerk, als das sich das „Bildermuseum“ zu den Schließzeiten zeigt. „Ich möchte, dass dieses Haus klingt“, sagt er mit einem Lächeln und erzählt davon, das Erdgeschoss mit Café, Foyer, mit der Buch-Institution MZIN auch über die Öffnungszeiten hinaus zu beleben. Es sei, berichtet er, seine einzige Bedingung an die MZIN-Macher gewesen: „Sie sollen unbedingt Veranstaltungen auf die Beine stellen.“

Rein in die Stadt! Wobei der Museumsdirektor auch um die Grenzen der Machbaren weiß – was auch die Antwort auf die Frage nach der (neuen) Heimat Leipzig nicht ganz so einfach macht. „Ach, um die Stadt zu verstehen müsste man doch in alle Stadtteile gehen. Und dort fragen, was die Leute bewegt“, meint Stefan Weppelmann: „Man müsste in die Clubs gehen und mal im Späti stehen … Aber Leipzig hat das Grün, hat die Passagen.“ Viel mehr sind es allerdings die Ideen und Projekte, die von einer längst gewachsenen, tiefen Zuneigung zu Leipzig zeugen: „Bilder erzeugen Visionen. Und Visionen erzeugen Zukunft.“ Mit einem Lächeln ergänzt er: „Wenn man Menschen die Zukunft wegnehmen will, ist mit den Betroffenen nicht gut Kirschen essen.“ Und mit Blick auf den 16-jährigen Stefan Weppelmann, der einst vor dem Kölner Dom stand, formuliert er seine Idee vom Leipziger „Bildermuseum“ als Teil der Stadt: „Die Hoffnung: Dieser Ort bindet die Menschen an Leipzig. Weil er neugierig gemacht und die Lust auf ein Wiederkommen geweckt hat.“ Jens Wagner

www.mdbk.de

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