Trends kommen und gehen. Der historische Friseursalon von Stephanie Teumer (64) bleibt. Heimatstube statt Designpalast. Daran möchte die Meisterin nichts ändern. Die Kunden lieben diese stille Insel im sächsischen Lauter.
Sie hat wohl einen der kürzesten Arbeitswege. Stephanie Teumer geht in ihrem Reihenhaus nur ein paar Stufen hinunter und schon steht sie in ihrem kleinen Reich. Wenn sie morgens beginnt, hängt sie seit eh und je das Zunftzeichen raus vor die Tür: eine alte silberne Schale mit dickem Rand. Legenden ranken sich um sie. „Sie soll entweder eine Rasierschale, einen Spiegel oder einen Gong symbolisieren, mit dem früher der Barbier durch den Ort zog und so auf sich aufmerksam machte“, erzählt die Erzgebirgerin.
Die Leute in Lauter wissen jedenfalls: Weht die Schale im Wind, ist geöffnet. Ein Bestellsystem gibt es nicht. Dafür eine Stammkundschaft, die sich unkompliziert und gelassen in den Ablauf einfädelt. Denn man kennt sich hier im 5000-Seelen-Ort zwischen Aue und Schwarzenberg mit Namen. Einige Kunden gehen seit 90 (!) Jahren zum Friseur ihres Vertrauens, waren schon als Kind dort.
Fritz, der Großvater von Stephanie Teumer gründete seine Friseurstube an einem Freitag, dem 13., vor über 90 Jahren. Das brachte Glück. Denn sie überlebte alle Stürme der Zeit. Und das Nostalgische daran: Im Salon wurden zwar alte Zöpfe abgeschnitten, man jagte aber nicht jedem neuen Einrichtungstrend hinterher.
Weil die sächsischen Figaros gleich über dem Friseurgeschäft wohnten, wuchs Stephanie praktisch im Salon auf und half mit. So lernte sie auch bei ihrer Mutter Ingeborg, die das Geschäft in zweiter Generation übernahm. Jahrzehntelang führten gleich drei Frauen gemeinsam Regie im Salon: Großmutter, Mutter, Tochter. Die Frauenwirtschaft funktionierte und florierte. „Noch mit 99 Jahren war meine Großmutter mit dabei“, erinnert sich Stephanie Teumer.
Seit zwei Jahrzehnten hat die Friseurmeisterin die Stube von anno dunnemals allein unter ihren Fittichen. Das Zubehör stammt teilweise noch aus den Gründerjahren, wie die Frisierkommoden, Stühle, Haarschneidemaschinen oder die legendären Trockenhauben und Lockenwicklerstäbe.
Die Kunden mögen ihre kleine heile Haar-Welt. Und auch Stephanie Teumer kann sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Vor wenigen Wochen starb ihr Mann an Krebs. Schon Tage später frisierte sie wieder, auch, um sich so vom Schmerz abzulenken. Mit Mitte 60 denkt sie noch lange nicht ans Aufhören. „Alle Versuche, einen würdigen Nachfolger für die vierte Generation zu finden, schlugen fehl“, bedauert die zweifache Mutter und fünffache Oma. Und so arbeitet sie eben weiter in ihrem historischen Salon. „Vielleicht habe ich ja die Gene meiner Großmutter und frisiere wie sie einst bis zum 99. Lebensjahr“, hofft Stephanie Teumer.
Thomas Gillmeister