DÖLZIG. Die Energie kommt noch vom Leistungssport. Die Disziplin. Der Ehrgeiz. Dabei hat Carmen Zander den Leistungssport längst hinter sich gelassen – doch auch als „Queen of Tigers“ braucht sie Energie, Disziplin, Ehrgeiz. „Selbst wenn ich die Sch … wegräumen muss, bin ich glücklich“, erzählt die Raubtier-Dompteurin.
Nein, es ist keine einfache Zeit für eine Frau, die ihr Leben ganz der Dressur von Tieren im Allgemeinen und Tigern im Besonderen gewidmet hat. „Ich bin seit mehr als 25 Jahren ausgebildete Raubtier-Dompteurin. Ich habe einen legalen Beruf, ich habe das Know-how im Umgang mit meinen ‚Mäusen‘“. Die Stimme von Carmen Zander ist ruhig, aber die Angespanntheit förmlich mit den Händen zu greifen. Dabei war dies so ein bemerkenswertes Jahr 2018 – dieser Auftritt beim „Festival International du Cirque“ in Monte-Carlo, der gleich drei Preise eingebracht hat. Überreicht höchstpersönlich von Prinzessin Stéphanie. „Das kann man eigentlich nur mit den Olympischen Spielen vergleichen“, überlegt sie.
Damit schließt sich schon ein Kreis – denn eben diese Olympischen Spiele waren immer der Traum der jungen Carmen Zander, die einst im zarten Alter von sieben Jahren nach Leipzig kam. Als hoffnungsvolles Talent in der Rhythmischen Sportgymnastik, bis es nicht mehr ging. Verletzungsbedingt. „Ehrlich gesagt, bin ich da bis heute im Zwiespalt“, erzählt sie: „Auf der einen Seite profitiere ich bis heute davon – weil ich Dinge wie Durchhaltevermögen, Fairness, Respekt gelernt habe und einen gewissen Hang zum Perfektionismus mitgenommen habe.“ Andererseits sind da die Folgen des gnadenlosen DDR-Sportsystems, die Carmen Zander bis zum heutigen Tag verfolgen.
„Ich hätte nicht gedacht, dass sich dann so schnell wieder eine neue Tür öffnet“, blickt sie auf das Jahr 1989 zurück. Auf das Jahr, an dem sie einen Platz an der Artistenschule in Berlin (damals noch Ost) bekommt: „Für das Fernsehballett war ich einfach zu klein.“ Dafür bringt sie von der Rhythmischen Sportgymnastik so viel Erfahrung mit. Und sie hat das Glück einer sehr individuellen Ausbildung (auch wenn die in den Wendezeiten unter manchmal haarsträubenden Bedingungen vermittelt wurde). Und dann ist sie Artistin. Mit der Frage: „Was nun?“
Es sind in diesen Situationen immer wieder kleine, feine Zufälle, die einen Lebensweg bestimmen können. Zufällig wurde Carmen Zander jenes Mädchen, das als Tänzerin für eine Raubtierdressur gesucht und mithin gefunden wurde. Der nächste Kreis. „In den Zoo bin ich immer nur wegen der Raubtiere gegangen“, erinnert sie sich an die eigene Kindheit: „Ich habe viele, viele Stunden im Leipziger Raubtierhaus verbracht.“ Auf einmal fügte sich alles zusammen – und weil sie sich selbst als „richtigen Arbeitsgaul“ beschreibt, war der Weg schon irgendwie vorgezeichnet. Mit der Ausdauer, der Kraft, ein bisschen auch der Sturheit des erwähnten „Arbeitsgauls“ wurde Carmen Zander zur Raubtier-Dompteurin. Nein, leicht war dieser Weg nicht, diese zwölf Jahre des Lernens und auch Ausgenutztwerdens. Aber es sind diese vielen Erfahrungen, aus denen Bemerkenswertes erwuchs.
Denn schließlich gab es doch diesen Moment, an dem sich alles lohnte. Das Jahr 2006: Fünf Bengaltigerjunge im Safaripark Stukenbrock werden von der eigenen Mutter nicht angenommen. Heute sind die „Tigermäuse“ Kiara, Face, Aschanti und Imani ihr ganzer Stolz, ihr Glück, ihre Leidenschaft – der Fünfte im Bunde, Ghandi, starb 2017 nach Krebsdiagnose. Und mittlerweile sind noch Sandokan als neuer Kater dabei, ebenso wie das weiße Amurtigerweibchen Saphira. Und jetzt, nach diesem Monte-Carlo-Triumph im Januar, hat Carmen Zander eigentlich nur noch einen Wunsch: „Ein Tigerpark für meine ‚Mäuse‘ – dies haben sie sich wirklich verdient.“
Es ist in der Tat ein bemerkenswertes Band, das sie mit ihren Tigern verbindet. Die durchaus eifersüchtig werden, wenn sich die „Mama“ allzu sehr um andere Dinge kümmert. Die dann mauzend sprechen, Aufmerksamkeit suchen. In diesen Momenten wird Carmen Zander nachdenklich: „Es sind ja natürlich keine Wildtiere. Sie sind in der Obhut des Menschen geboren – man kann sie nicht einfach auswildern, weil sie die Nähe des Menschen gewöhnt sind. Und diese Nähe auch suchen.“ Genau dies ist dann der Grund, warum sie nach einem festen Zuhause sucht. Für die „Tigermäuse“ und auch für sich selbst. Auf große Tourneen hat sie eigentlich keine Lust mehr – sie kosten Kraft, Nerven, in zunehmenden Maße mehr, als Carmen Zander hat. „Arbeitsgaul“ hin oder her.
Der ist ohnehin im Alltag permanent gefragt: Ein halbes Dutzend Tiger will jeden Tag gefüttert sein – jedes Tier braucht bis zu acht Kilo Fleisch täglich. „Und irgendwie muss ich auch Tierpsychologin sein, Tierärztin obendrein auch: Ich muss einfach sehen, wenn einem meiner Tiger etwas fehlt“, erzählt sie und ergänzt: „Man braucht ohnehin so viel Ruhe und Geduld. Den Fehler von Ungeduld kann ich mir nicht leisten. Immerhin habe ich hier die Verantwortung für sechs Raubtiere.“ Die mithin eine hochgradig imposante Erscheinung sind …
Dann muss man doch noch einmal sprechen über dieses Spannungsfeld zwischen Tierhaltung und Tierschutz. Weil dieses Spannungsfeld Alltag ist für Carmen Zander. Dabei hat sie überhaupt nichts gegen die Kontrollen, die Überprüfungen, die Auflagen – im Gegenteil. „Ich bin kein Zirkuskind. Und dies hier ist kein Zirkus“, unterstreicht sie und ergänzt: „Ich brauche das Vertrauen der Tiere. Und ich muss ihnen vertrauen.“ Zum Schluss erklärt sie beim Abschied mit einem Blick über ihre Tigerfamilie: „Das ist mein Lebenswerk. Warum sollte ich dies selbst kaputt machen?“ J. Wagner
Vision „Tigerpark“: Gemeinsam mit dem Verein „Rettet die Tiger“ sucht Carmen Zander nach einem sicheren und dauerhaften Zuhause für die sechs Tiger ihrer Gruppe. Das Projekt ist weitgehend ausgearbeitet, nun ist man auf der Suche nach einer Immobilie und vor allem nach Unterstützung jeder Art Nähere Infos findet man unter www.tiger-verein.de oder unter www.carmen-zander.de
Die Tiger-Schau: Bis zum 26. August kann man noch die wöchentliche Tigerschau im Quartier in Dölzig erleben: Sie findet an jedem Sonntag ab 15 Uhr statt.