Nina-Sophie Raach ist eine junge Studentin, die politische Gedichte schreibt. Foto: Christian Modla

Leipzig. Ihre Füße stecken in bequemen Schlappen, sie trägt eine schwarze Hose und ein sommerlich rotes Top – Nina-Sophie Raach sieht aus, als ob sie gleich an den See will. Dort hat die Studentin zuletzt – wenn sie nicht im Hörsaal sitzt – tatsächlich einen Großteil ihrer Zeit verbracht.

Eine ganze Woche lang war die 20-Jährige allerdings nicht baden, sondern übte sich in Wortakrobatik. Der Grund: Mit ihrem Gedicht „Fluchtwegkenntnisse“ stach sie in diesem Jahr im bundesweiten Wettbewerb für junge Lyrik „lyrix” heraus. Bei dem Wettbewerb, der vom Deutschlandfunk ins Leben gerufen wurde, können junge Menschen monatlich Selbstgeschriebenes zu verschiedenen festgelegten Themen einsenden. Raach gehört zu den Jahrespreisträgerinnen und ist sichtlich stolz: „Ich hab mich mega gefreut.”

Die Gewinnerinnen und Gewinner konnten vor einer Weile Workshops in Berlin besuchen und dort mithilfe der Schriftstellerin Anja Kampmann, der Autorin Martina Hefter und dem Dichter Norbert Hummelt an ihren Texten arbeiten. Nina-Sophie Raach war begeistert von der Möglichkeit, sich mit anderen jungen Schreibenden auszutauschen und resümiert: „Das war sehr intensiv und anstrengend, aber auch richtig gut.”

Anja Kampmann, die ihre Gruppe betreute, habe „kein Blatt vor den Mund genommen” und die Texte der jungen Leute auseinandergenommen. Raach kam mit der Kritik an ihrem Werk gut klar. „Wichtig ist, anzunehmen, dass wir alle im Prozess des Lernens sind und dass wir den Austausch brauchen, um persönlich weiterzukommen.”

Ihr Gedicht schrieb die junge Frau zum Thema „Lyrik mit Prognose”. Einen knappen Monat lang suchte sie nach den passenden Worten und findet: „Es ist relativ schnell sehr politisch und pessimistisch geworden.” Die Angst vor einer ungewissen Zukunft kann man aus den Zeilen sehr gut herauslesen. Nina-Sophie Raach nickt bestätigend: „Ich beschäftige mich super viel mit dem politischen Geschehen und mit den Perspektiven, die wir haben oder eben nicht mehr haben.” Und sie macht klar: „Ich hab große Sorge vor der Zukunft.”

Angst vor der Klimakrise

Damit meint die junge Frau unter anderem die Klimakrise. „Bei uns ist es heiß und trocken und es gibt Überschwemmungen, aber das ist nicht damit zu vergleichen, wie es in anderen Ländern der Erde aussieht.” Da wundert es nicht, dass sie mit der „Fridays for future”-Bewegung stark sympathisiert und auch schon bei Demos dabei war. Inzwischen gehen ihr deren Forderungen zwar nicht mehr weit genug. Aber: „Fridays for future hat mich politisiert.” Heute bezeichnet sich die junge Frau als linksorientiert, sie engagiert sich in diesem Spektrum auch politisch – allerdings ohne einer Partei anzugehören.

Ihre Meinung spiegelt sich in der Lyrik wider, die sie verfasst. Generell, sagt Raach, schreibe sie am liebsten außer Haus. Sie habe meistens ein Notizbuch dabei, und wenn ihr irgendetwas in den Kopf kommt, dann landet das Ganze als digitale Notiz im Handy oder analog im Büchlein. Aus den Stichpunkten entsteht dann ein fertiger Text. „Das hat nie den Anspruch, ein vollständiges literarisches Meisterwerk zu werden”, sagt sie. „Das Schreiben ist das Megaventil für mich.”

Anglistikstudium in Leipzig

Und warum schreibt sie vor allem Gedichte? „Aus Zeitgründen”, sagt Raach und lacht, fügt dann aber ernster hinzu: „Prosa ist für mich eine größere Hürde.” Aktuell tüftelt sie an einer Kurzgeschichte, allerdings auf Englisch. Den Text schreibt sie für ein Seminar an der Uni, das sich „creative writing” nennt.

Seit vier Semestern studiert Raach Anglistik an der Uni Leipzig. Nach ihrem Abitur 2019 arbeitete sie erst ein halbes Jahr lang und wollte dann ein bisschen durch die Welt reisen. Sie erreichte Malaysia. Dann kam die Corona-Pandemie. Im März 2020 kehrte sie nach Deutschland zurück und schrieb sich im Herbst an der Uni in Leipzig ein. Ihre Kommilitonen begrüßen konnte Raach nicht. „Es lief alles digital”, blickt sie zurück. „Es ging, aber Spaß hat es nicht unbedingt gemacht.”

Sie zog in eine Wohngemeinschaft mit zwei anderen Neuleipzigern und sagt: „Ich war sehr froh darüber, dass ich die beiden hatte.” Raach glaubte, dass das Onlinestudium nach einem halben Jahr wieder vorbei sei. Doch es waren drei Semester, die sie vorwiegend vor dem Bildschirm verbrachte. Erst jetzt im 4. Fachsemester besuchte sie regelmäßig die Gebäude der Hochschule. „Das war eigentlich mein erstes richtiges Semester an der Uni.”

Pandemie hin oder her – die Wahl ihres Wohnortes hat sie bisher nicht bereut. Nina-Sophie Raach wuchs im baden-württembergischen Städtchen Schwäbisch Hall bei Heilbronn auf. Ihr Vater fragte sie mehrfach, warum sie zum Studium „tief in den Osten” ziehen wolle. Die Studentin gibt zu: „Sachsen war ein kleiner Kulturschock.” Doch nach einem Urlaubswochenende in Leipzig habe sie sich „total in die Stadt verliebt”. Es gab dann gar keine andere Option mehr.” Raach findet Leipzig „super schön” wegen seiner Altbauten, der Parks und der Nähe zu den Seen. Und sie schätzt die vielfältige Kultur- und Kunstszene.

Unzufrieden mit dem eigenen Studienfach

Während sie sich in der Messestadt sehr wohl fühlt, ist sie mit ihrem Studienfach inzwischen nicht mehr so zufrieden und liebäugelt damit, zu den Theaterwissenschaften zu wechseln. Regie, Dramaturgie – das alles sind Dinge, die sie sehr interessieren. „Ich habe tausend Ideen, aber bisher nicht den Mut, mich mal an sowas heranzuwagen.“

Raach spielte auch schon mit dem Gedanken, sich beim Deutschen Literaturinstitut in Leipzig zu bewerben. Aber: „Ich hab Angst davor, dass mir die Lust am Schreiben vergeht, wenn ich das drei Jahre lang ausschließlich mache.” Schriftstellerin zu werden – das sei nicht unbedingt ihr großer Traum. Dass sie schreiben kann, davon profitiere sie später in vielen Berufsfeldern. Und außerdem habe sie auch noch andere Interessen: Linoldruck und Holzschnitt gehören dazu. „Das ist meditativ.” In ihrer Heimatstadt belegte sie Kurse an der Akademie der Künste. Sie sucht noch nach einem passenden Kunstkurs in Leipzig.

Zeit für so etwas hat Raach in jedem Fall. Normalerweise steht sie nicht vor 10 Uhr auf, weil die Abende oft lang sind, gesteht sie. Dann frühstückt sie mit ihrer WG („wenn es gut läuft“) oder allein („wenn es schlecht läuft“) und besucht Vorlesungen oder Seminare. Ein Besuch in der Mensa ist für die Studentin obligatorisch. „Das ist günstiger, als zu Hause zu kochen, und man trifft Leute dort.”

Ab und an sitzt sie auch in der Bibliothek, um zu recherchieren. „Zurzeit bin ich aber super unproduktiv, was Uni-Abgaben angeht.” Stattdessen will die junge Frau die letzten beiden Coronajahre kompensieren. Abends sei sie momentan viel unterwegs – am See, auf einem Balkon oder in der Bar. Sie will nachholen, was in der Zeit davor nicht möglich war. Vor Kurzem absolvierte die Studentin außerdem ein dreimonatiges Praktikum im Pöge-Haus, einem soziokulturellen Zentrum im Osten der Stadt, und organisierte das „Leipziger Osten Fest” mit. Sie lernte, welcher Aufwand hinter so einer Veranstaltung steckt und was kulturelle Arbeit bedeutet. Neben dem Studium verdient Nina-Sophie Raach Geld mit ihrem Kellnerjob im Leipziger Katzencafé. Dort räumt sie nicht nur Teller und Tassen ab, sondern füttert und krault auch die sieben Fellknäuel, die im Café wohnen. Inklusive Reinigung des Katzenklos.

Dass Nina-Sophie eher sprachlich-künstlerisch interessiert ist, steht interessanterweise im Kontrast zu ihrer Familie. Ihr Vater ist Lehrer für Elektrotechnik und Informatik, die Mutter übt ebenfalls einen technischen Beruf aus. „Beide sind sehr mathematisch-physikalisch begabt”, sagt sie. Ein Gebiet, mit dem sie gar nichts anfangen könne. Auch ihr jüngerer Bruder kommt vom Interessenfeld eher nach den Eltern. Ihre kleine Schwester sei dagegen ihr sehr ähnlich. „Sie ist sehr sprachtalentiert.”

Einige von Raachs Texten wurden schon in diversen Online-magazinen veröffentlicht. Eine Kurzgeschichte druckte kürzlich das Magazin der Technischen Universität Chemnitz ab. Motivation genug, weiterzuschreiben. Was die Wahlleipzigerin zudem sehr freut: Das Haus der Poesie in Berlin lädt sie im kommenden Jahr zu einer Schreibwerkstatt ein. Dann kann sie dort mit Profis weiter an ihren Texten tüfteln. Gina Apitz

Das vollständige Gedicht „Fluchtwegkenntnisse“ von Nina-Sophie Raach ist hier zu lesen: www.bundeswettbewerb-lyrix.de/wettbewerb/detail/unsere-gewinnerinnen-im-april

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here