Die Leipziger Grundschullehrerin Sonja Wollmann hat schon drei Jahrgänge an Schülern eingeschult – jede Klasse sei anders, sagt die 35-Jährige. Fotos: André Kempner
Die Leipziger Grundschullehrerin Sonja Wollmann hat schon drei Jahrgänge an Schülern eingeschult – jede Klasse sei anders, sagt die 35-Jährige. Fotos: André Kempner

Am 3. August war es so weit: Knapp 40.000 Kinder wurden in Sachsen eingeschult. Ein aufregender Tag für die Erstklässler und deren Eltern, aber auch für Lehrerinnen und Lehrer, die in viele neue Gesichter blicken. „Eine erste Klasse zu bekommen, ist immer wieder aufregend und anders”, sagt Sonja Wollmann, Lehrerin an der Franz-Mehring-Grundschule in ­Leipzig-Stötteritz.

Drei Klassen hat sie in ihrer elfjährigen Laufbahn bereits eingeschult. Sie kennt den kleinen Festakt, der für Eltern und deren Schützlinge organisiert wird, genau. Eine Kollegin – meist die Musiklehrerin – führt mit ihrer Klasse dann ein Musical auf. Die Schulleiterin sagt ein paar Worte, bevor die Kinder mit ihren Klassenlehrern erstmals das Klassenzimmer betreten und dort eine halbe Stunde lang unterrichtet werden. Mancher Erstklässler verkraftet die Trennung von den Eltern nicht. Hier und da fließen Tränen. Ein ­Kuscheltier kann helfen, weiß Wollmann. „Man findet meistens einen Kniff, um die Hürde zu meistern.”

Über 100 Kinder werden dieses Jahr an ihrer Schule eingeschult – insgesamt sind es dann fünf erste Klassen. Ihre Zuckertüten bekommen die Schulanfänger deshalb zu Hause von den Eltern überreicht. „Sonst würde das den ganzen Vormittag dauern“, sagt Sonja Wollmann und lacht.

Wollmann arbeitet zunächst als Vertretung

Die zweifache Mutter freut sich, nach zehn Monaten Elternzeit nun wieder vor einer Klasse zu stehen. „Ich blicke dem Schuldienst wieder freudig entgegen.” Zunächst übernimmt die 35-Jährige vertretungsweise eine zweite Klasse von einem Kollegen. Das Lehrer-Kollegium startet schon eine Woche vor den Schülerinnen und Schülern. In dieser sogenannten Vorbereitungswoche stehen viele Konferenzen an, es werden Wandertage und andere organisatorische Dinge besprochen.

Wenn es am Montag dann losgeht, versuchen die Lehrerinnen und Lehrer ihren Klassen einen sanften Einstieg aus den Ferien zu ermöglichen. „Da hat man erst mal Zeit, sich zu erden.” Es werden Erlebnisse ausgetauscht, Schulbücher ausgeteilt und der Stoff aus dem Vorjahr wiederholt. „Dann versuchen wir die Schüler daran zu erinnern, wie Unterricht funktioniert”, sagt Wollmann. In der Regel blickt die Lehrkraft am ersten Schultag in viele begeisterte Gesichter. „Die meisten kommen nach den Ferien sehr freudig zurück in die Klasse”, spricht sie aus Erfahrung. Viele Schülerinnen und Schüler seien neugierig und wollen wissen, was in den neuen Büchern steht. „Und sie freuen sich auch, ihre Freunde wiederzusehen.”

Wenn Sonja Wollmann eine erste Klasse übernimmt, trifft sie die neuen Schülerinnen und Schüler schon vorab bei einem Kennenlern-Nachmittag. Dort versucht die Lehrerin, sich ein Bild von den Kindern zu machen – und abzuschätzen, ob es eventuell einen Förderbedarf hat. Hat einer ihrer künftigen Schützlinge etwa Probleme mit der Konzentration, kann er oder sie schon vor Schulstart einmal wöchentlich in die Vorschule kommen und wird so schon vor Schulbeginn unterstützt.

Während dieser Zeit erkennen die Lehrkräfte manchmal schon, ob ein Kind einen sogenannten sonderpädagogischen Förderbedarf hat – und können gegensteuern. Das Kind kann dann bei einem Logopäden beispielsweise Aussprachefehler beheben oder in der Ergotherapie seine Feinmotorik verbessern. „Wir versuchen außerdem Kinder, die mehr Unterstützung brauchen, auf die Lehrkräfte zu verteilen”, erklärt Wollmann.

Die ersten Wochen sind anstrengend

Fest steht: Die ersten Wochen mit Schulanfängern seien „deutlich kräftezehrender” als mit älteren Schülern, gibt die Lehrerin zu. Routinen in der Klasse müssen sich erst ent­wickeln und sie muss die unterschiedlichen Charaktere der Schülerinnen und Schüler erst einmal kennenlernen. Gleichzeitig habe sie immer eine große Vorfreude auf neue Erstklässler, sagt Wollmann, „weil jede Klasse ihre eigenen Stärken hat”. Doch wo diese liegen, das sei stets ein Blick in die Glaskugel: Manche Klassen entwickeln schnell einen sehr großen Zusammenhalt, bei anderen harmoniere es anfangs nicht so gut. An ihrer Schule sitzen häufig 27 Schülerinnen und Schüler in einem Klassenraum – das ist das Maximum – darunter extrovertierte und schüchterne Kinder, die eher die Ruhepole sind. Deshalb sei die Sitzplatzverteilung enorm wichtig, betont Wollmann. Jeder müsse mit seinem Nachbarn klarkommen.

Man darf nicht vergessen: Der Wechsel vom Kindergarten, wo den ganzen Tag gespielt wird, zur Schule, wo Konzentration gefragt ist, sei groß. „Der Bruch kommt bei den meisten Schülern nach drei, vier Wochen”, weiß Wollmann. Dann nämlich realisieren die Kinder, dass Schule ihr neuer Alltag ist. Die Lehrerin versucht aber, den Übergang vom Kindergarten langsam zu gestalten. In der ersten Klasse gibt es zum Beispiel anfangs keine festen Pausenzeiten. So können sich die Kinder langsam an die neue Struktur gewöhnen.

„Der Unterricht ist in der ersten Klasse noch ganz anders geplant”, so Wollmann. Es gebe viel mehr Bewegungsangebote als in der vierten Klasse. Bewegungsspiele, Buchstaben mal aufs Papier, dann an die Tafel schreiben und Kniebeuge zwischendurch – all das wird in den Unterricht integriert. „Erstklässler müssen heute keine 45 Minuten lang stillsitzen.” Das sei anders als noch vor 20, 30 Jahren, betont Wollmann. Es gebe weniger Frontalunterricht, dafür mehr Gruppenarbeit und offene Angebote.

Dennoch ist der Lehrerin klar, dass sie bei 27 Schülerinnen und Schülern nicht jedem gerecht werden kann. Die Schulleitung versucht zwar, vor allem in den ersten Wochen, auch mal zwei Lehrkräfte in eine Klasse zu stecken. Größtenteils aber steht Sonja Wollmann allein an der Tafel. Über ein Programm an der Leipziger Universität kommen derzeit zwei-, dreimal pro Woche Studierende in verschiedene Klassen, um im Unterricht zu unterstützen. „Darüber sind wir sehr glücklich.”

Die letzten Schulanfänger, die Wollmann unterrichtete, „waren für mich die anspruchsvollste Klasse”, auch weil viele Kinder extra Unterstützung brauchten. Wird bei einem Erstklässler ein Förderbedarf diagnostiziert, etwa ADHS oder eine Verhaltensauffälligkeit, kommt für eine Stunde pro Woche eine Fachkraft von einem Förderzentrum in den Unterricht. Doch das sei ein Tropfen auf dem heißen Stein, findet Sonja Wollmann. „Eine der größten Herausforderungen besteht darin, Inklusion reibungslos ablaufen zu lassen.”

Ein weiterer Knackpunkt: die Akzeptanz für die Lehrerin. „Es ist schon wichtig, dass man als Lehrerpersönlichkeit selbstbewusst vorne steht”, sagt Sonja Wollmann. Man sollte wissen, was man will und gemeinsame Regeln aufstellen, an die sich alle halten. „Ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin sorgt dafür, dass erst gar keine Situationen entstehen, in denen die Klasse aus den Fugen gerät.” Dies gelänge auch, wenn der Unterricht so konzipiert ist, dass wenig Langeweile entsteht. Trotzdem hat auch Wollmann immer mal wieder Kinder, die in der Klasse für Wirbel sorgen. „In meiner letzten Schulanfängerklasse musste ich sehr viel Zeit investieren, um eine funktionierende Unterrichtsatmosphäre zu schaffen”, sagt sie. „Ich hatte da wirklich zu kämpfen.”

Der Vorteil als Klassenlehrerin: Nach ein paar Wochen weiß Wollmann, wer die Streithähne der Klasse sind und wie sie ihnen begegnet. „Man wird ein Team und kennt die Klasse.” Doch besonders Fachlehrer haben es oft schwerer, Disziplin einzufordern. „Manchmal sind die Kinder der eigenen Klasse bei einem anderen Lehrer nicht mehr die Kinder, die man kennt”, sagt die Pädagogin.

Durch ihre Erfahrung der vergangenen elf Jahre bereite sie ihren Unterricht heute anders vor als in ihrer Anfangszeit, sagt sie. Sie kenne bei bestimmten Themen die Schwierigkeiten der Schüler. Dennoch: Die große Spannbreite an Auffassungsgabe sei ebenfalls eine Herausforderung. „Ich versuche den Unterricht so zu differenzieren, dass ich für die starken Schüler immer etwas in petto habe.” Schwächere Schüler lädt sie im Gegenzug nachmittags zum Förderunterricht ein. Und: Die starken Schüler helfen den schwächeren im Unterricht. „Allein kann ich das in der Klasse gar nicht händeln.”

Lehrerin ist ihr Traumberuf

Trotz der Herausforderungen, die der Job mit sich bringt, ist Lehrerin nach wie vor Sonja Wollmanns Traumberuf. Das war er genau genommen schon immer. Ein Rückblick: Geboren wird die ­35-Jährige in Berlin. Nach der Wiedervereinigung zieht die Familie ins sachsen-anhaltische Stendal, dort wächst Wollmann auf. In den Ferien besucht sie als Grundschülerin oft ihre Cousine in Nordrhein-Westfalen und „hospitiert” dort im Unterricht. „Ich fand es immer schön an der Schule”, sagt sie rückblickend und lächelt. Ihr Berufswunsch steht fest: Sie will unterrichten, schreibt sich nach dem Abitur an der Uni in Erfurt für das Grundschullehramt ein und belegt als Wahlfach Französisch. Während des Studiums unterrichtet sie zeitweise an Schulen in Belgien und Genf und absolviert nach ihrem Abschluss den zweijährigen Vorbereitungsdienst an der Franz-Mehring-Grundschule in Leipzig. Das Kollegium gefällt ihr, sie kann bleiben und engagiert sich seither auch in der Partnerschaft mit Frankreich, bei der regelmäßig Schüleraustausche stattfinden.

Das Schönste an ihrem Beruf sei die Ehrlichkeit der Kinder, sagt Wollmann. Wenn sie sich freuen oder ärgern, dann zeigen sie echte Emotionen und seien „zum Teil noch sehr begeisterungsfähig”. Wenn die Schulanfänger ihre ersten Wörter lesen und schreiben lernen, sind sie meistens „Feuer und Flamme”. Und das ist auch für die Lehrerin jedes Mal wieder ein tolles Gefühl. „Es wird nicht langweilig.” Gina Apitz

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