Den etwas Älteren sind der Name und das Werk Gerhard Vontras sicher noch bekannt, für die 1990 geborene Kunsthistorikerin Anne Oswald wurde sein Oeuvre zur Entdeckung. Besonders fasziniert zeigt sie sich von der künstlerischen Meisterschaft des Schnellzeichners, dessen Porträts zu einem seiner Markenzeichen wurden. Foto: Ralf Miehle

Altenburg. Er malte und zeichnete an 365 Tagen im Jahr, ohne sein Skizzenbuch ging er nie aus dem Haus, und das bis ins hohe Alter jenseits der 80: Gerhard Vontra. Anno 2020 würde der in Altenburg geborene und lange hier lebende Künstler 100 Jahre alt. Aus diesem Grund widmet das Residenzschloss der Skatstadt dem bis in unsere Tage bekannten und geschätzten Milieuzeichner gegenwärtig eine Sonderausstellung, die im Schloss- und Spielkartenmuseum Altenburg noch bis zum 25. Oktober zu sehen ist.

Fällt der Name Gerhard Vontra, dann werden bei manch älterem Zeitgenossen ganz sicher Erinnerungen wach, und manch einer findet in seinem Bücherregal vielleicht noch ganz rasch das eine oder andere von ihm illustrierte Werk. Für Kuratorin Anne Oswald hingegen, Jahrgang 1990, geriet der Auftrag, dem Altenburger Maler und Zeichner eine Geburtstagsschau auszurichten, zu einer Erstbegegnung mit dessen Oeuvre. Rasch aber faszinierten Leben, Werk und (Langzeit-)Wirkung jenes Mannes sie in einer Weise, die sie immer tiefer eintauchen ließ in die Materie, und für sie steht fest: „Diesem Abriss über sein Leben muss noch manche Vertiefung folgen, wir sehen die Ausstellung als den Anfang für etwas größeres.“

Als viel zu umfangreich für nur eine einzige Präsentation, noch dazu im begrenzten Areal der ehemaligen herzoglichen Wohnräume im Schloss, erwies sich die Materialfülle im Laufe der die Exposition vorbereitenden Recherchen, die immer weitere Schätze ans Licht brachte. Dabei sah es anfangs keineswegs danach aus, als Anne Oswald ihre ersten Schritte auf dem für sie neuen Altenburger Terrain unternahm.

Geboren und aufgewachsen in Halle an der Saale widmete sich die frisch gebackene Abiturientin nach ihrer Schulzeit zunächst einem Bachelorstudium an der Dresdner Technischen Universität – mit Hauptfach Kunstgeschichte und Architekturwissenschaften und Geschichte im Nebenfach. Für den Master wechselte sie dann an die Leipziger Universität, wo sie ihr Wissen im Bereich der Kunstgeschichte weiter vertiefte und sich diesbezüglich hier schwerpunktmäßig ins 19. und 20. Jahrhundert vertiefte. Während ihrer Studienzeit absolvierte sie zudem zahlreiche Praktika, unter anderem am Leipziger Panometer, am Naturkundemuseum der Messestadt und am Festspielhaus in Dresden-Hellerau. „Ganz viel, bunt gemischt“, habe sie während jener Jahre gemacht und in unterschiedlichste Bereiche hineingeschnuppert, denn ihr war auch klar: „Man braucht eine umfassende Praxiserfahrung, um überhaupt die Chance zu erhalten, in einem Museum Fuß fassen zu können.“

Klar geworden war ihr während der Studienjahre in Dresden und Leipzig auch, dass sie sich vom ursprünglichen Anliegen, später einmal vorrangig kuratorisch tätig werden zu wollen mehr und mehr in Richtung Museumspädagogik orientiert hatte („Ich brenne für die Museumspädagogik“). Daher sucht sie nach dem Masterabschluss im Januar 2019 gezielt nach solcherlei Stellen und wird unter anderem bei einer Ausschreibung für das Altenburger Schloss- und Spielkartenmuseum fündig, wo eine Wissenschaftliche Volontärin für Bildung und Vermittlung gesucht wird. Anne Oswald überzeugt im Bewerbungsverfahren und darf in der Skatstadt am 2. Januar dieses Jahres beginnen. Auf zwei Jahre ist jenes wissenschaftliche Volontariat befristet.

Schon im Bewerbungsverfahren hatte man ihr gesagt, dass sie jene Gerhard-Vontra-Ausstellung federführend betreuen würde, gemeinsam mit dem Direktor des Altenburger Schlossmuseums, Uwe Strömsdörfer, den sie sozusagen als fachkundigen und erfahrenen Mentor an ihrer Seite hatte.

Anne Oswald beginnt sofort, nachdem sie Kenntnis von ihrer künftigen Aufgabe erlangt hat, mit den ersten Nachforschungen. „Wie man das so macht: erst einmal online Orientierung suchen, prüfend, welche Lektüre zur Verfügung stünde“, erinnert sich unsere Gesprächspartnerin an ihre ersten Schritte, sich dem Thema und der Hauptperson anzunähern und erzählt auch von ihrer alsbald sich einstellenden Enttäuschung.

„Es zeigte sich, dass es keine größeren Abhandlungen zu Vontra gab, keine Ausstellungskataloge.“ Kurzum: das weite Feld, das Thema an sich zeigen sich bis heute als im Grunde gänzlich unerforscht.

Doch dann erwies es sich als Glücksfall, dass sich die Witwe des Künstlers, die heute 85-jährige Stefanie Vontra, als bereitwillige Kooperationspartnerin der geplanten Sonderschau zu Leben und Werk ihres Mannes zeigte. Sie gewährte dem Duo Anne Oswald und Uwe Strömsdörfer Einblicke in seinen Nachlass und sein ehemaliges Atelier und empfing die kleine Altenburger Delegation in ihrem Haus in Prerow. Dorthin hatte sich der eigentlich in Altenburg lebende Gerhard Vontra ab den 1950er Jahren in jedem Sommer zu Arbeitszwecken zurückgezogen, ab 1990 lebte er aus gesundheitlichen Gründen ausschließlich in jenem Ort auf dem Darß. Drei Erkundungstage im Februar brachten also fürs Team des Schlossmuseums die grundlegende Wende in der Materiallage, denn ab dato sah man sich einer überbordenden Fülle an Zeichnungen, Gemälden und auch Biografischem gegenüber. Mit der Konsequenz, dass man nunmehr vor der Qual der Wahl stand, welche der zahllosen Exponate in der Ausstellung Platz finden sollten, welche wohl am besten geeignet sein würden, um einen erzählerischen Einblick in das Leben eines bemerkenswerten Mannes und Künstlers zu gewähren.

Glücklicherweise hat Gerhard Vontra zu seinen Lebzeiten nicht nur alles akribisch gesammelt, was seinen Werdegang und seinen Alltag betraf und unter anderem ausführlich Tagebuch geführt. Er ordnete zudem sein gesamtes Werk thematisch und halbwegs chronologisch, so dass ein Rundgang durch sein Reich der Nachwelt einen beinahe lückenlosen Nachvollzug seines Lebens zwischen 1920 und seinem Sterbejahr 2010 ermöglicht. (Was es seinem noch von ihm selbst eingesetzten Nachlassverwalter und der noch ausstehenden Kunstgeschichtsforschung recht leicht machen dürfte, die notwendige Aufarbeitung eines Lebenswerks zu vollenden.)

Chronologisch nähert sich auch Kuratorin Anne Oswald in ihrer aktuellen Altenburger Ausstellung dem Menschen und Künstler und gab ihrer Exposition den Titel: „Gerhard Vontra. Bin ich. – Zum 100. Geburtstag des Malers und Zeichners“.

Ein erster Raum befasst sich mit den Anfängen in Altenburg, mit Kindheit und Studienjahren in Leipzig und München, die immer wieder von Zwangseinsätzen als Soldat im Zweiten Weltkrieg unterbrochen werden. Ein zweiter Raum erzählt vom steinigen Beginn in den 1950er Jahren, in denen der damals noch Unbekannte gezwungen ist, „Klinken zu putzen“. Der freischaffende Maler wird Mitglied im Bund Bildender Künstler Leipzig und im Verband der Journalisten der DDR. Mehr und mehr gewinnt Vontra als Pressezeichner und Illustrator Anerkennung und ein immer breiteres Publikum, seine Milieuzeichnungen werden zum Markenzeichen und finden sich später über viele Jahre hinweg in auflagenstarken Presseerzeugnissen wie dem „Eulenspiegel“ oder der „Berliner Zeitung“.

Von eher Ungewöhnlichem erzählt ein dritter Raum im Altenburger Residenzschloss: von Vontras ausgiebigen Seereisen in alle Welt, damals zu DDR-Zeiten wohlgemerkt keineswegs eine Selbstverständlichkeit, nicht einmal für einen Mann, der auch im journalistischen Bereich tätig war. Ursprünglich hatte Gerhard Vontra Schiffsingenieur werden wollen, bevor er seine Leidenschaft für das Malen und Zeichnen entdeckte.

An seiner Begeisterung für die Seefahrt aber hielt er zeitlebens fest und bereiste ab den 1970-er Jahren auf Frachtschiffen des VEB Deutsche Seerederei Rostock ferne Länder, bis nach Kuba oder Indien. Vier Reisen, manche bis zu vier Monaten lang, wurden es schließlich insgesamt, auf denen Gerhard Vontra als Zeichner das Leben der Bordbesatzungen mit seinem Zeichenstift gewohnt akribisch und in genauester Beobachtung festhielt. Selbst in jenen hochdramatischen Momenten im Januar 1976, als er während einer Seereise nach Japan den Untergang des DDR-Küstenmotorschiffes „Capella“ während eines der schlimmsten Orkane des 20. Jahrhunderts mit eigenen Augen miterleben musste. Momentaufnahmen jenes Kapitels seines Lebens finden sich wie viele andere Impressionen in der Sonderschau. Und mehr noch ließ sich Anne Oswald einfallen, um das Bild jenes Mannes vor den Augen der Ausstellungsbesucher auferstehen zu lassen: Unter anderem führte sie ein Interview mit der Witwe des Künstlers, das per Video nun ebenso mitzuerleben ist wie Erinnerungen, die das Altenburger Künstlerehepaar Karin Kundt-Petters und Heinz Petters, die über viele Jahren mit Vontra befreundet waren, beitragen.

Interaktive Angebote, eine Selfiestation und manches mehr bereichern das Ausstellungsangebot zusätzlich, ebenso ein breit gefächertes Begleitprogramm, das auf den Internetseiten des Residenzschlosses Altenburg einsehbar ist. Ralf Miehle

Informationen: www.residenzschloss-altenburg.de

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