Einfach "hängengeblieben": Seit 15 Jahren ist Leipzig nun schon die Heimat von Elena Lorenzon, "weil die Stadt und die Leute hier so sympathisch sind". Foto: Jens Wagner

„Übernahmen haben irgendwie mein Leben bestimmt“, überlegt Elena Maria Pia Lorenzon mit einem Lächeln. Freundliche Übernahmen wohlgemerkt – in dem Sinne, dass sie als Schauspielerin einsprang, wenn es notwendig. In Aachen beispielsweise, beim bislang einzigen festen Engagement in einem Theaterensemble oder in der neuen Heimat Leipzig, als eine Rolle auf der Kabarettbühne frei wurde. Selbst der Platz am Gesangsmikrofon war irgendwie eine Übernahme …

Nun, sie weiß diese stetige Folge von Übernahmen auf jeden Fall zu schätzen. Weil jede einzelne dieser Übernahmen meist etwas unglaublich Wertvolles mit sich brachte: Neue Erfahrungen, neue Perspektiven, das Wachsen an neuen Herausforderungen, Entdeckungen und geweckte Leidenschaften. Sie kann sich beispielsweise noch gut daran erinnern, wie es war, zum ersten Mal mit der Band Monte Filet auf die Bühne zu gehen. Diese verblüffte Erkenntnis, „da muss ich ja als private Elena Lorenzon auftreten“. Keine Rolle, in die man schlüpfen musste oder, besser gesagt, konnte – so, wie sie es von den eigenen Musical-Erfahrungen kannte. Aber das Risiko hatte sich gelohnt, weil das Zusammenspiel mit den (aus ihrer Sicht großartigen) Musikern auch schon wieder neue Erfahrungen erschloss. Über den Zauber der Musik zum Beispiel, jene Kunst, „die mich ungemein berührt und bei der man direkt spürt, wie sich die Seele öffnet. Ja, ich liebe es zu singen“. Und mit einem versonnenen Lächeln blickt sie voraus auf den Rest dieses „komischen Jahres“ 2020 und überlegt: „Ich habe schon eine Menge Sachen im Kopf, die ich gern mal machen würde. Vielleicht auch in Sachen Musik.“ Denn daraus macht sie keinen Hehl – dieses Spielfeld Monte Filet vermisst sie schon …

Dafür dominiert im Hier und Jetzt die Bühne – mit einem gewissen Monte-Filet-Bezug, dies kann man nicht verhehlen. Beim „Ritter Unkenstein“, jenem Karl-Valentin-Stück, mit dem man Elena Lorenzon aktuell im Anker-Sommertheater erleben kann, hat Band-Mitstreiter Marco Runge inszeniert und steht auch mit auf der Bühne. Lichtblicke in einer „schlimmen Zeit“, überlegt sie: „Eigentlich hatte ich für mich dieses Jahr wunderbar geplant, alles hatte gepasst – und mit einem Schlag war alles weg.“ Nicht nur eine wirtschaftliche Katastrophe für die freischaffende Künstlerin, die offen und ungeschminkt über das Thema Existenzangst spricht: „Am Anfang habe ich mich regelrecht weggeschlossen.“ Inzwischen hilft eine andere Gewissheit – die Sicherheit darüber, dann doch alles richtig gemacht zu haben bei der Berufswahl: „Ich möchte keinen anderen Job machen. Und auch wenn ich natürlich einen riesigen Respekt habe vor diesen ganzen Streaming-Projekten – ich liebe das Live-Erlebnis.“

Dabei kann Elena Lorenzon auf etwas verweisen, was man gemeinhin als „richtigen Beruf“ bezeichnet – natürlich erlernt auf Wunsch der eigenen Eltern, die auf den Traum von der Bühne ganz klassisch mit dem Satz: „Lern erst mal was Ordentliches“ – in ihrem speziellen Fall war dies der Beruf der Fremdsprachenkorrespondetin – antworteten. Dabei war ihr schon in der vierten Klasse bewusst, dass es auf die Bretter, die die Welt bedeuten, hinauslaufen würde. Weil da die Rolle eines Engels in „Remus und Romulus“ war: „Ich kann es überhaupt nicht mehr beschreiben, was mich da so mitgenommen hatte – die Aufregung vor dem Auftritt, die ganze Atmosphäre hinter der Bühne, der Moment des Spielens. Aber ich war damals nicht sonderlich selbstbewusst und eines habe ich nie vergessen: Auf der Bühne fühlte ich mich frei.“ Ein Gefühl, das bis zum heutigen Tage anhält und das sie auf keinen Fall missen möchte.

Andererseits leuchtet da eine ganz eigene Getriebenheit auf, die bemerkenswert erscheint – denn im Gegensatz zu vielen anderen Kolleginnen und Kollegen ist Elena Lorenzon ganz schön zurückhaltend, wenn es um die „Droge Applaus“ geht. Um dieses berühmte Brot, an dem sich ein Schauspieler dem Vernehmen nach labt. Und das immer wieder den Hunger nach dem (haptischen) Auftritt entfesselt. „Ganz ehrlich?“, sagt sie nachdenklich: „Ich mach’ dies alles nicht für die anderen. Auch nicht für das Publikum. Klar ist es schön, wenn man mit seinem Spiel, mit seiner Kunst auch wahrgenommen wird. Aber ich mache dies alles nicht wegen des Beifalls.“ Mit einem Lachen ergänzt sie: „Andererseits habe ich einen ungemein hohen Anspruch an mich selbst: Eigentlich bin ich permanent unzufrieden mit meiner Leistung. Aber so ist es nun einmal: Die Gewissheit von Perfektion ist der künstlerische Stillstand.“ Daran ist bei Elena Lorenzon nicht zu denken – Stichwort Übernahmen. Kaum eine Herausforderung erscheint da zu groß. Auch, wenn mal die Kabarettisten der academixer anklopfen und nach der ersten Zusage der Schreck dann groß ist, wie sie mit einem herzlichen Lachen erzählt: „Diese vielen Dinge, auf die ich da achten musste! Ehrlich – ich habe mir schon gedacht: Das ist ja schlimmer als beim Abitur. Aber dann kommt der Kick, wenn es geklappt hat.“ Der nächste wichtige Punkt dieser bewußten und angestrebten Vielseitigkeit – „man läuft nicht Gefahr, sich festzulegen“. Wobei – so ein paar Lieblingscharaktere hat sie dann schon – „das Undenkbare, das Exzentrische, die Bösewichte, solche Rollen spiele ich richtig gern. Was mir wiederum wahrscheinlich nie liegen würde, wäre so etwas wie das Gretchen“.

Andererseits – irgendwie ist ja alles im Fluss. Gerade in den Zeiten von Covid-19, in denen auf einmal das reine Theaterspielen schon zur neuartigen Herausforderung wird. In der man wohlbekannte Theaterstücke neu bearbeiten und damit vielleicht auch ein wenig neu entdecken muss. Beim aktuellen „Ritter Unkenstein“, überlegt Elena Lorenzon, war dies nicht das große Problem (Masken sei Dank – mehr wird nicht verraten!): „Bei anderen Stücken stelle ich mir dies deutlich schwieriger vor. Andererseits ist es aber auch gerade bei einer Wiederaufnahme eines Stückes eine Chance, noch eine ganz andere Sicht auf die Dinge zu bekommen.“ Denn genau darum geht es schon – um die gewisse Unausrechenbarkeit, um das Aufbrechen des Gewohnten. „Casablanca Reloaded“, jener Dauerbrenner unter der Regie von Armin Zarbock, ist für Elena Lorenzon das perfekte Beispiel: „Jeden Abend ergibt sich da eine andere Farbe in der Inszenierung. Es gibt Leute, die bei den ersten Aufführungen auf dem Feinkost-Gelände dabei waren und bis heute zu dem Stück kommen. Und die sagen mir jedes Mal: Mensch, das war heute wieder etwas ganz Besonderes.“

Der Gedanke an „Casablanca Reloaded“ lässt die Schauspielerin aber auch aus einem anderen Grund lächeln: Es war das Stück, das sie endlich wieder zurückbrachte auf die so innig geliebte Bühne. Die diese ersehnte Freiheit wieder erlebbar machte. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen, wie Elena Lorenzon erzählt: „Schauspiel ist schon ein wenig wie Hochleistungssport. Beim ersten Abend mit ,Casablanca Reloaded’ war ich schon ganz schön außer Atem. Tja, die Corona-Pause – das war im letzten Jahr nicht so.“ Andererseits gab diese „schwierige Zeit“ wie bereits erwähnt schon mal die Gelegenheit, nachzudenken. Über Visionen und Optionen. „Ich möchte unbedingt wieder mit dem Tanzen anfangen“, überlegt sie: „Ich brauche das Gefühl der Bewegung. Und außerdem nimmt man beispielsweise aus dem Ballettunterricht die Körperbeherrschung mit, die auf der Bühne so wichtig ist.“ Wenn da nur ein Punkt nicht wäre: „Ich will immer alles sofort können. Ja, ich bin ein richtig ungeduldiger Mensch. Wahrscheinlich hat es deshalb auch mit dem Klavierspielen auf der Schauspielschule nicht so nachhaltig geklappt.“

Umso besser hat hingegen das „Hängenbleiben“ geklappt. Das Hängenbleiben in dieser Stadt Leipzig, die längst zur Heimat geworden ist. Weil Elena Lorenzon hier immer jenes Glück hatte, das gerade in diesem kreativen Beruf so entscheidend ist. Bei den Begegnungen mit den richtigen Leuten am richtigen Ort zur richtigen Zeit, beispielsweise. Oder weil Leipzig eben auch eine Stadt der Sommertheater ist, was ihr (und vielen anderen Kollegen) in diesen Corona-Zeiten so entgegenkommt. „Ich mache die Dinge eigentlich auch ungern an Äußerlichkeiten fest. Ich brauche diese großen Bühnenbilder nicht – auch wenn ich sie oft wunderbar finde. Für mein Spiel mag ich es reduzierter“, überlegt sie und ergänzt: „Irgendwie haben diese Zeiten auch eine schöne Botschaft: Theater kann überall stattfinden.“

Bleibt am Ende eigentlich nur eine Herausforderung, die auf den ersten Blick überraschend klingt. Mit Monte Filet hat Elena Lorenzon die Idee des (musikalischen) Improvisierens kennen und schätzen gelernt. „Aber beim Schauspiel habe ich davor echt noch ein wenig Angst“, meint sie: „Wenn ich mir Ensembles wie die Theaterturbine anschaue, habe ich immer gestaunt. Nur – diesen Schritt auf die Impro-Bühne habe ich tatsächlich noch nie getraut.“ Jens Wagner

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