Künstler Uwe Schürmann in seinem Atelier in der Könneritzstraße in Leipzig.
Künstler Uwe Schürmann in seinem Atelier in der Könneritzstraße in Leipzig.

Uwe Schürmann sitzt auf einer etwas abgewetzten Couch in seinem Atelier im Leipziger Westen, er ist umringt von Leinwänden, Farben, Pinseln – und steckt sich eine Zigarette an. Rauchen, ja, das ist sein Laster, sagt der Künstler. Auf einer Staffelei neben ihm steht ein Bild, das kleine kugelrunde Vögel zeigt. Die so genannten „Ballbirds” stammen aus der Feder des 65-Jährigen und haben inzwischen eine Art Kultstatus erlangt. Zahlreiche Bildergeschichten mit den niedlichen Gesellen hat er schon gemalt – die meisten als Auftrag.

Wer so ein persönliches Kunstwerk für einen lieben Menschen anfertigen lassen will, muss Schürmann ein paar Anekdoten oder Neigungen mitliefern, „ein bisschen Futter” eben, aus dem er die Geschichte strickt. „Am besten sind Insiderinformationen, zum Beispiel etwas Skurriles, etwa eine kleine Macke”, sagt der Künstler. Verschenkt werden die „Ballbird-Bilder” meist zu Geburtstagen, zur Verabschiedung von Kolleginnen und Kollegen oder Hochzeiten. Jedes ist ein Unikat und exakt auf die betreffende Person abgestimmt.

Die niedlichen Ballbirds malt Schürmann als Auftrag - etwa für Hochzeiten oder Geburtstage.
Die niedlichen Ballbirds malt Schürmann als Auftrag – etwa für Hochzeiten oder Geburtstage.

Schürmann erinnert sich an das Bild, das er zum Ruhestandseintritt einer Sparkassenchefin malen sollte. Ihr Büro war stets akkurat aufgeräumt. Einzig eine vermooste Colaflasche, mit der sie ihre Blumen goss, störte die Ordnung. Das Detail nahm Schürmann in sein Kunstwerk auf – der sympathische Makel fand großen Anklang bei der Beschenkten. Inzwischen bekommt Schürmann Aufträge aus der ganzen Republik. Es gebe allerdings Unterschiede zwischen Ost und West, hat der Künstler festgestellt. „Die Ossis haben hundertprozentiges Vertrauen in mich.” Kundinnen und Kunden aus den alten Bundesländern seien etwas vorsichtiger, wollten mehr mitreden.

Erfindung der „Ballbirds“ während Ausstellung

Dass seine „Ballbirds” mal so erfolgreich sein würden, hätte der Leipziger sich vor Jahren wohl nie ausgemalt. Erfunden wurden die kleinen Vögel während einer Ausstellung in einem Leipziger Möbelhaus. Schürmann zeigte dort einige seiner Arbeiten – und saß persönlich daneben für Fragen der Besucherinnen und Besucher. Ins Gespräch kam er jedoch vor allem mit vielen Kindern, die mit ihm plauderten, während die Eltern die Möbel begutachteten. Darunter war auch ein etwa dreijähriges Mädchen, das ihn fragte: „Kannst du mal einen Vogel malen?” Schürmann zeichnete einen kugelrunden Piepmatz mit dünnen Beinen.

Einige Kinder malten seinen Vogel nach. „Es entstanden plötzlich richtige Bildergeschichten”, erinnert sich der Künstler. Das war die Geburtsstunde der „Ballbirds”. Kurz darauf trudelten bei ihm die ersten Anfragen für personalisierte Bildergeschichten ein. Bis heute speist sich die Nachfrage nach den individuellen Kunstwerken aus Mundpropaganda. Daneben ist Schürmann auf einigen Märkten präsent – etwa auf dem Connewitzer Straßenfest oder verschiedenen Weihnachtsmärkten in Leipzig und Umgebung.

Auch wenn die Arbeiten Aquarellbildern ähneln, verwendet Schürmann für seine Vogelbilder chemische Farben, so genannte Kolorierfarben, mit denen früher die Schwarz-Weiß-Fotos nachträglich eingefärbt wurden. Als gelernter Fotograf hat er diese Farben irgendwann für sich entdeckt und verwendet sie in einer ziemlich einmaligen Technik – der fotochemischen Malerei. Für das aufwendige Verfahren nutzt er Entwicklerchemikalien. Angefertigt werden die Arbeiten in einer Dunkelkammer und im Anschluss „belichtet”. Dadurch verändert sich die Farbgebung. Die belichtete Malerei erscheint zunächst monochrom. Manche Werke färbt Schürmann nachträglich noch ein. Seine „Florenz”-Serie, Ansichten aus der italienischen Stadt, etwa entstand auf diese Weise.

Teilnahme an Zeichenzirkeln

Seine kreative Ader entdeckt der gebürtige Leipziger schon als Kind. Zu DDR-Zeiten nimmt er regelmäßig an Zeichenzirkeln teil, tüftelt in der Werkstatt seines Vaters an eigenen Projekten. Schürmann senior ist Fotografenmeister mit einem Geschäft auf der Georg-Schumann­Straße. Der Junior nutzt Vaters Drechselbank für verschiedene Bastelarbeiten – etwa für persönliche Geschenke für die Familie. Uwe Schürmann absolviert zunächst eine Lehre als Koch. Erst nach seiner Armeezeit bekommt er die Chance, sich im Bereich Fotografie ausbilden zu lassen, sein eigentlicher Herzenswunsch. Er macht eine Lehre zum Fotografen, sattelt ein Meisterstudium in Potsdam oben drauf und übernimmt schließlich das Fotogeschäft seines Vaters.

Dann kommt die Wende und die Zahl der Fotografen in der Messestadt steigt kontinuierlich an, die Konkurrenz nimmt zu. „Es gab viele alte Handwerker und viel junges Volk, Diplomfotografen von der Hochschule für Grafik und Buchdruck”, erinnert sich Schürmann. Also beginnt der gelernte Fotograf, Bilder zu malen – und zwar komplett autodidaktisch. Bald zeigt er seine fotochemische Malerei in ersten Ausstellungen. Vor allem Krankenhäuser interessieren sich dafür.

Aufnahme in den Bund der Bildenden Künstler

Doch manche Kuratoren lehnen seine Bilder ab, weil er „nicht bei diesem oder jenem studiert hat”, sagt er. Dennoch wird er in den Bund der Bildenden Künstler aufgenommen – obwohl ihm das fachliche Studium fehlt. Dass er es trotzdem in den Künstlerverband geschafft hat, darauf ist Schürmann noch immer stolz. Heute hat er im Schnitt fünf, sechs Ausstellungen pro Jahr im gesamten Bundesgebiet und verkauft seine eigenen Arbeiten.

Die nächste Schau findet am 20. März im Zentrum für Implantatdiagnostik in Leipzig statt, ein ganzes Jahr werden seine Bilder dort zu sehen sein. Nebenher übernimmt der gelernte Fotograf immer wieder Fotoaufträge, gestaltet die Ballbirds und in der Zeit vor Weihnachten außerdem eigene Pyramiden in minimalistischem Design. Auf einer Holzplatte gruppiert Schürmann dafür größere und kleinere selbst gefertigte Häuser, die auf die Platte geklebt werden und durch ihre Form noch entfernt die Anmutung einer Weihnachtspyramide haben.

„Ich gerate zeitmäßig und mental manchmal an meine Grenzen.”

Das Naturholz – etwa Nussbaum, Eiche, Buche oder Esche – wird nicht bemalt, nur gewachst und geölt. Auf einem Weihnachtsmarkt im Leipziger Westwerk zeigte er vor einigen Jahren zehn dieser Kreationen das erste Mal. „Nach einer Stunde waren alle Einzelstücke verkauft”, sagt Schürmann. Über die Jahre verbesserte er seine Technik, probierte neue Varianten aus. „Ich betrachte die Pyramide anders, weil ich nicht aus dem Tischlermetier komme”, sagt er. Genau das sei von Vorteil. Zwischen 65 und 70 Pyramiden fertigt der Künstler pro Jahr an – und die sind meistens schnell vergriffen. „Zu Weihnachten bin ich ausverkauft.”

Jahrelange Tüfetelei an einem Bild

Derzeit ist Schürmann viel in seinem Atelier, schraubt und klebt an den Pyramiden oder „steht einfach mal an der Staffelei und malt in Ruhe etwas“. An einem Bild kann der Künstler mitunter Jahre tüfteln. „Ich schaue es mir an und verändere immer mal wieder etwas daran.” Wenn Schürmann nicht in seinem Atelier ist, liest er viel – über Astrophysik, Philosophie, Politik und Geschichte – oder schaut Dokumentationen über das Weltall, verrät er. Und dann ist da noch seine dreijährige Enkeltochter, die den Opa gehörig auf Trab hält. „Ich gerate zeitmäßig und mental manchmal an meine Grenzen”, gibt der 65-Jährige zu. In einem Jahr etwa will er so langsam in den Ruhestand wechseln. Kreative Projekte wird er aber wohl weiterhin umsetzen. Die Fotografie will er hingegen einschränken. „Aber die Ballbirds“, sagt der Künstler, „die werde ich wohl weitermachen, bis mir der Pinsel aus der Hand fällt.“ Gina Apitz

Weitere Infos: www. ballbirds.de

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