LEIPZIG. Lampenfieber über den Dächern von Leipzig: Nur noch ein paar Stunden, dann gehen Vater und Sohn Raschke auf die Bühne in der LVZ-Kuppelhalle. Im Gepäck haben sie mit ihren Bandkollegen von „Karussell“ eine besondere Überraschung: die Songs der neuen CD „Erdenwind“.
„Das wirklich Bemerkenswerte an der Sache ist, dass unsere Fans ja immer wieder nach neuen Songs gefragt haben“, überlegt Sänger, Texter, Haupt-Songwriter Joe Raschke – und wiederlegt dieses Klischee der alten Haudegen, die in der Vergangenheit zu Hause sind: „Auf den Konzerten wollten die nicht nur die alten Hits hören. Na ja, die Menschen, die zu unseren Konzerten kommen, sind etwas Besonderes.“
Womit er irgendwie schon das Geheimnis von „Karussell“ verraten hat – jener Band, die einst in einer Reihe mit DDR-Rockbands wie den Puhdys, Karat oder City genannt wurde. Von der Gründungsmitglied und Keyboarder Wolf-Rüdiger Raschke heute mit einer großen Gelassenheit sagt: „Beim Punkt Ostrock-Band sage ich: Wir sind es aufrichtig und wir sind es gerne.“ Wobei sich die Dinge ein wenig verschieben, kann man erfahren – da wird davon gesprochen, dass man auf einmal eingeladen wird nach Hessen. Oder nach Luxemburg und Belgien. „Karussell“ sind wieder auf dem Weg – vielleicht gerade deshalb, weil Wolf-Rüdiger Raschke sagt: „Wir waren schon einmal sehr populär, das müssen wir eigentlich nicht wieder sein.“
Es ist diese gewisse Entspanntheit, Gelassenheit, Lockerheit, die diese Band im Jahr 2018 auszeichnet. Dieses Wissen, dass man es niemanden mehr beweisen muss – außer den besonderen Menschen, die immer wieder auf die Konzerte kommen. „Joe war damals der Motor, der die ganze Sache wieder ins Laufen gebracht hat“, blickt Wolf-Rüdiger Raschke auf 2007 zurück. Auf jenes Jahr, in das „Karussell“ wieder in Schwung kam – mit eben dem Sohn Joe Raschke am Mikrofon. Und jetzt gilt: „Wir machen so lange Musik, so lange wir gesund sind.“
Was etwas damit zu tun hat, dass die sechs Musiker – neben den Raschkes sind dies Gründungsmitglied Reinhard Huth sowie Jan Kirsten, Benno Jähnert und Hans Graf – immer noch Dinge zu sagen haben. „Es gibt in Deutschland immer etwas mitzuteilen“, überlegt Wolf-Rüdiger Raschke. Mal ganz abgesehen davon, dass man mit der Musik so viel bewegen kann – der berührende Dokumentarfilm „Ela singt“ erzählt eine solche Geschichte, die für die Musiker eben auch eine neue Motivation war. Dabei gibt es bei „Karussell“ aber eine spannende Entwicklung: Der Staffelstab in Sachen Songwriting und Texten liegt mehr und mehr in den Händen von Joe Raschke …
Was dieser bestätigt – um umgehend darauf hinzuweisen, da „auch ein bisschen reingeschubst“ worden zu sein. Vor allem, was die Texte für „Erdenwind“ betraf: „Wenn man es mit einem Vorbild wie Kurt Demmler zu tun hat, wird es ohnehin richtig schwer.“ Um diese Last auf den Schultern zu verteilen, habe man mit den fertigen Kompostionen mal rumgefragt, bei Textern, bei Autoren, kurz – bei der schreibenden Zunft. „Aber am Ende habe ich schnell gemerkt, dass dies nicht funktioniert“, überlegt Joe Raschke und spricht von Ehrlichkeit, von Authentizität. Und davon, so manchen Text sogar im Studio zwischen Tür und Angel geschrieben zu haben – was Vater Wolf-Rüdiger lächelnd bestätigt.
Stichwort Studio: Das war – traditionell – wieder ein ganz besonderes. Eines, in dem Rockgeschichte in der Luft liegt. „David Bowie!“, meint Joe Raschke: „Danach hat uns jeder gefragt. Aber es stimmt: Diese Hansaton-Studios in Berlin sind etwas Außergewöhnliches. Ja, da liegt etwas in der Luft, so eine Inspiration, die man mitnehmen kann.“ Und Wolf-Rüdiger Raschke erzählt davon, dass man in den Kellern wunderbar stöbern kann, nach alten Moogs beispielsweise …
Denn dies zeichnet „Karussell“ auch im Jahr 2018 aus: Es geht um Authentizität. Darum, dass die Musik natürlich handgemacht ist (auch wenn manch neuer Sound seinen Weg auf die Platte gefunden hat und man die Möglichkeiten des digitalen Songwritings längst zu schätzen weiß). Und darum, dass da immer „Karussell“ drinsteckt, wenn „Karussell“ draufsteht. „Dieser Opener ‚Meine Stadt‘ ist unbedingt ehrlich: Leipzig ist meine Stadt. Und ich möchte mit diesem Stück das Lebensgefühl dieser Stadt treffen – in der leisen Hoffnung, dass es zu einer Hymne wird“, überlegt der Sänger und freut sich gewissermaßen über ein gelungenes Comeback: „Ja, diesen Song trage ich seit so vielen Jahren mit mir rum.“ Genauer gesagt, seit dem 14. Lebensjahr, verrät Vater Wolf-Rüdiger. „Jetzt habe ich ihn wieder zur Hand genommen und ihm einen ganz neuen Inhalt gegeben – das hat funktioniert“, und dann verrät Joe Raschke noch ein kleines Geheimnis: „Entschlackung! Ich habe den Song genommen und alles Unwichtige und Überflüssige weggeschnitten. Dies haben wir auf der ganzen neuen Platte gemacht – gerade auch bei den Arrangements.“ Vielleicht ist genau dies dann der wichtige Punkt, warum „Erdenwind“ so ehrlich klingt …
J. Wagner