Bald ist wieder Himmelfahrt. Oder wie der Feiertag im Volksmund genannt wird der Vatertag. Für einen Leipziger ist dies ein besonders denkwürdiger Tag und zwar für den international bekannten Artisten Gerd Voigt. An diesem Vatertag fährt er seit dem Jahr, an dem Deutschland wiedervereinigt wurde, an die einst innerdeutsche Grenze, ins Eichsfeld.
Dahin, wo er einst vor vielen, vielen Jahren als Zugführer der DDR-Grenztruppen mit seinem Trupp und mit der MPi auf dem Kreuz ab und an durch den Stacheldraht kroch. Das war in den 60-er Jahren und der Anlass einer, der einer vorgezogenen Wiedervereinigung glich: Denn man traf sich jenseits des Eisernen Vorhangs mit Leuten vom Zoll und Bundesgrenzschutz, aber auch mit den Einwohnern von Wahnfried auf der grünen Wiese.
Treffen am Vatertag
Begonnen hatten diese Treffen – na klar! – an einem Vatertag, als Bundesgrenzschützer zu einem gemeinsamen Umtrunk einluden. „Mit, na los, ist doch Vatertag, da müssen wir zusammen mal ein Bier trinken,. So hatten sie uns auf ihr Terrain gelockt. Auf dem Etikett einer `West`-Bierflasche besiegelten wir mit unseren Namenszügen das gegenseitige Stillschweigeabkommen“, erinnert sich Gerd Voigt. Und fügt an, dass sie sich bald alle mit den Vornamen kannten, auf das gemeinsame Wohl tranken, sich gegenseitig fotografierten, Adressen austauschten in dem Glauben, dass das keiner merke. Schließlich hatten sie sich versprochen, es keinem zu erzählen.
Eine Prägende Begegnung im DDR-Gefängnis
Und tatsächlich war`s auch so – diese Geschichte vom „Grenzverkehr“ blieb vorerst geheim. Längst hatte Gerd Voigt seinen „Ehrendienst“ an der Grenze abgeleistet und arbeitete wieder in seinem erlernten Beruf als Möbeltischler. Bis er eines schönen Tages verhaftet wurde und ebenso wie seine Kameraden in den Knast wanderte: Die Sache war dann doch aufgeflogen. Immerhin, seine Zelle teilte der Leipziger mit einem ausgebildeten Artisten – was für eine Fügung.
Denn Gerd Voigt war selbst sportlich interessiert und beschlagen, fortan lernte er vom Zellenkameraden die Körperbeherrschung, das Rhythmusgefühl und das Konzentrationsvermögen eines Artisten. Er bestaunte sein Können und versuchte ihn nachzuahmen. „Ich hatte Feuer gefangen. Also nutzte ich jede freie Minute, meine Fingerfertigkeit zu verbessern und versuchte zu jonglieren“, erzählt er von den vielen Versuchen und wie er sich freute, wenn es doch mal klappte. Denn freie Minuten gab es im Knast mehr als genug.
Nach der Haft ging Gerd Voigt zunächst in seinen Beruf als Möbeltischler zurück – aber die Leidenschaft war entfacht: Er füllte seine Feierabende mit artistischen Übungen. Mit der Zeit wurde so aus dem Amateur, der zu Brigadefeiern und anderen Festlichkeiten für Unterhaltung sorgte, in den 70-er Jahren ein Artist mit amtlichen Berufsausweis. Fortan ging er mit weiteren Künstlern auf Tournee von Suhl bis Rostock, trat sogar auf einer Gala vor Erich Honecker auf. Nach der Wende machte er dies übrigens auch vor dem Bundespräsidenten Joachim Gauck im Schloss Bellevue.
Ein Gründungsvater vom Krystallpalast
Gerd Voigt zeigte sein Können am Baikalsee, in Sofia, Prag und Moskau, aber auch in Italien und Norwegen. Längst ist er ein gern gesehener Künstler in deutschen Varietés – mit einem ganz besonderen Verhältnis zum Leipziger Krystallpalast. Immerhin hatt er diesen neben den Hauptakteuren Katrin Troendle und Bert Callenbach – die er übrigens beide sehr verehrt – vor gut 25 Jahren mit aus der Taufe gehoben. Da ist er gern immer mal wieder zu Gast, um mit brennenden Kerzen zu balancieren, Gläser durch die Luft zu wirbeln, mit scharfen Säbeln zu hantieren oder auf Stelzen zu laufen …
„Wir liegen uns in den Armen, trinken eine Flasche Bier auf die deutsche Einheit und pflanzen unseren Baum.“
Engagement für den artistischen Nachwuchs
Bemerkenswert ist auch sein Engagement, im Krystallpalast während der Schulferien interessierten Mädels und Jungens für artistische Übungen zu begeistern. Und in der Jury der internationalen Talenteschau, die einmal im Jahr im Leipziger Varieté stattfindet, hat er auch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Erfreut ist er auch darüber, dass er ab und zu mit seinem Freund, dem Tauchaer Schnellzeichner Jo Herz, mit einem sehr vergnüglichem Programm auf der Bühne steht.
Der große Tag steht schon vor der Tür
Und am 18. Mai, zum Vatertag im Jahr 2023, steht wieder der große Tag an; dann trifft sich Gerd Voigt mit seinem Trupp an der einst innerdeutschen Grenze. Mit Joachim, Peter und Bernd. Seit ein paar Jahren ist auch der einstige Bundesgrenzschützer Rolf Beckmann von der Partie. Jener Mann, der sie mit auf westdeutschen Boden lockte.
„Das ist für uns jedes mal eine Freude, wenn wir uns begegnen. Wir liegen uns in den Armen, trinken eine Flasche Bier auf die deutsche Einheit und pflanzen unseren Baum. Bei unserem ersten Treff vor nunmehr dreiunddreißig Jahren hatten wir, um damit etwas Bleibendes zu schaffen, beschlossen, an der Stelle,wo wir gemeinsam unser erstes Bier tranken, alljährlich einen Baum zu pflanzen, Und so wächst und wächst unser nicht mehr zu übersehendes Wäldchen aus Tannen, Fichten, Kiefern. Das macht glücklich,“ freut sich der heute 77-jährige Gerd Voigt.
Traudel Thalheim