Ein Mensch voller Selbsterkenntnis: Als Polizeiseelsorger, Gemeindepfarrer und engagierter Bürgerrechtler lebt Stephan Bickhardt ein Leben voller Kontinuität. Foto: J. Wagner

LEIPZIG. Eigentlich geht es um Kontinuität, findet Stephan Bickhardt – insofern ist dies bemerkenswert, weil sein Leben tatsächlich außergewöhnlich ist: Es führte ihn von der Bürgerrechtsbewegung in der DDR hin zum Polizeiseelsorger. „Aber eigentlich ging es immer um eine aktive Zivilgesellschaft. Und um eine sinnstiftende Kirche.“

„Damit lebe ich für mich die Kontinuität des Engagements für die Gesellschaft – vor und nach der Wende“, meint Stephan Bickhardt mit fester Überzeugung. Und ja, wenn man sich mal vertieft in die Geschichte des gebürtigen Dresdners, dann findet man genau dieses Engagement immer wieder – dann liegt dieser Schluss einfach auch ziemlich nahe: „In der DDR führte dieses Engagement nun mal in die Opposition zu dem bestehenden System.“

Was hinführt zu den Spuren, die Stephan Bickhardt in der Bürgerbewegung hinterlassen hat. Im kirchlichen Arbeitskreis „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ etwa, aus der die Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ entstand. „Und heute engagiere ich mich eben immer weiter“, so etwa im Verein Europa-Maidan-Leipzig, der sich auch für die Betreuung von traumatisierten Menschen aus Kiew, vom Maidan oder von der Krim kümmert. Und wenn er von diesen Projekten, von diesem neuen Engagement spricht, schwingt dann auch meistens noch etwas anderes mit – Glück.

Genau dieses Wort benutzt Stephan Bickhardt, wenn er über die Zeit der politischen Wende in der damaligen DDR spricht. Wenn er erzählt, bis auf den heutigen Tag darauf stolz zu sein, dass diese Wende friedlich erreicht wurde. „Das ist unser Vermächtnis“, überlegt er und ergänzt: „Wenn man dieses Glück einer friedlichen, demokratischen Wende selbst wahrgenommen hat, dann muss man auch für diese Dinge auf der ganzen Welt eintreten.“ Folgerichtig führte ihn das Leben dann auch nach Südkorea …

Und später bringt er seine Sichtweise noch einmal auf den Punkt: „Wir haben nun einmal diese ganz eigene ostdeutsche Prägung und ich finde, dass man diese auch als wichtigen Punkt in Europa einbringen kann. Der Ambivalenz dieser Worte in der aktuellen politischen Situation ist sich Stephan Bickhardt absolut bewusst – aber auch da setzt er darauf, diese Erfahrung des friedlichen Dialogs zu nutzen. Auch dort zu sprechen, wo es schwierig ist (diese Leidenschaft für schwierige Situationen spielt noch eine Rolle). Auch mit Legida. „Ein neues Projekt ist die Bürgerrechtsakademie, die noch gegründet werden soll“, ein praktisches Instrument, um die Idee, die Wirksamkeit von diesen Bürgerrechten zu transportieren, zu vermitteln. Ja, da findet sich doch immer wieder diese Verbindung zum DDR-Bürgerrechtler.

Enge Verbindung zum Glauben

Noch etwas ist ganz wichtig, um diesen Lebensweg von Stephan Bickhardt zu verstehen – diese enge Verbindung zum Glauben, zu Gott. Diese hatte er schon aus seinem Elternhaus mitgenommen und sie treibt ihn bis zum heutigen Tag an. „Nun lebe ich mein Engagement unglaublich gern in der seelsorgerischen Arbeit“, erzählt er und erklärt auch, wie er da vor mehr als zehn Jahren zum Polizeiseelsorger für den Bereich Leipzig wurde: „Ich wurde einfach gefragt, für welchen seelsorgerischen Bereich ich mich interessiere. Die Bundeswehr kam aus pazifistischen Erwägungen nicht infrage, aber dann habe ich mich spontan für die Polizei entschieden.“

Der Antrieb war eigentlich derselbe wie einst in den 80er-Jahren in der damaligen DDR – es sind die schwierigen, die unbequemen Sachen, die Stephan Bickhardt reizen. Und es sind schwierige, unbequeme Situationen, mit denen sich Polizisten – und damit auch er selbst – beschäftigen müssen. „Da sprechen wir von Menschen, die von einer Sekunde auf die andere mit schlimmen Verbrechen, mit Katastrophen konfrontiert werden.“

Es ist ein Dienst des Vertrauens, den er da leistet – als Ansprechpartner in vielen Gesprächen. Als einer, der zuhört – bedingungslos. „Seelsorge ist keine Mission“, unterstreicht er energisch.

Als Studentenpfarrer in Leipzig gelernt

Vieles von dem, was ihm heute in seiner Arbeit als Polizeiseelsorger zugute-kommt, hat er einst in Leipzig gelernt. Genauer gesagt als Studentenpfarrer in der Messestadt – das war er von 1995 bis 2006. „Da habe ich eigentlich erst erkannt, wie groß auch bei den jungen Menschen der Bedarf an diesen vertraulichen, privaten Einzelgesprächen ist“, überlegt er: „Genau diese Erfahrungen haben mich letztlich zur Seelsorge gebracht.“ Inklusive eines Prozesses der Selbsterfahrung (oder wie es Stephan Bickhardt mit einem Lächeln beschreibt: „Ich wurde vom Stürmer zum Verteidiger.“), der eben auch notwendig war: „Ehe ich anderen Menschen helfen kann, muss ich selbst erkennen, dass ich auch stetig an mir arbeiten muss.“

Eine unbedingte Hilfe ist dabei die Tatsache, dass es für Stephan Bickhardt auch noch eine Aufgabe neben der Polizeiseelsorge gibt. Die Aufgabe eines Gemeindepfarrers gibt die nötige Ruhe und den wichtigen Ausgleich. „Wenn es mir nicht so gut geht, muss ich einen Gottesdienst vorbereiten“, erzählt er und ergänzt: „Seit ich als Polizeiseelsorger arbeite, predige ich auch bewusster. Ich besinne mich auf die Menschen, für die ich predige – und ich erzähle auch von mir selbst. Ja, ich denke, da gibt es eine Transzendenz zwischen Seelsorge und Gemeindearbeit.“

Wenig überraschend ist dabei, dass Stephan Bickhardt von seiner Abneigung gegenüber hohen Kanzeln spricht: „Die sind mir immer suspekt. Ich begebe mich lieber unter die Menschen.“ Und nachdenklich ergänzt er abschließend: „Ich möchte mich als Theologe in die Gesellschaft einbringen. Und dies bedeutet eben auch, dass ich die Spannungsfelder in dieser Gesellschaft auch aushalten muss.“

J. Wagner

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