Sie lebt seit zehn Monaten in Leipzig, hinterlässt an jedem Donnerstag musikalische Erinnerungsspuren am historischen Standort der Ez-Chaim-Synagoge und schätzt das Relaxte an der Messestadt: Die israelische Cellistin Ayala Sivan Levi. Foto: André Kempner

Leipzig. Es war die berühmte Liebe auf den ersten Blick. Und das Kribbeln ist immer noch da, verrät Ayala Sivan Levi: „Natürlich bin ich gern in Israel, bei meiner Familie – aber es ist auch immer wieder wunderbar, zurück nach Leipzig zu kommen.“ Die sächsische Stadt ist inzwischen seit gut zehn Monaten – ja, irgendwie schon – eine Heimat für die Cellistin, die hier zu vielen ganz neuen Ufern aufgebrochen ist.

Da ist – beispielsweise – jene kleine, aber bemerkenswerte Reihe an geschichtsträchtigem Platz: Jeden Donnerstagabend spielt sie auf jenem, heute so grauen Parkplatz, auf dem einst die Leipziger Ez-Chaim-Synagoge stand; damals bei der Eröffnung im September die größte orthodoxe Synagoge in Sachsen. Eine gleichermaßen spannende wie bewegende Erfahrung für Ayala Sivan Levi und dies nicht nur angesichts der Geschichtsträchtigkeit des Ortes.

„In Leipzig öffnen sich viele Dinge für mich“

Denn eigentlich ist es überhaupt nicht das Wesen der Musikerin, da ganz allein zu spielen, im Blickpunkt der Aufmerksamkeit, erzählt sie: „Ich habe beim Spielen in Ensembles und Orchestern nie ein Problem damit gehabt, mein Ego zurückzunehmen. Aber hier in Leipzig öffnen sich viele Dinge für mich. Ein Beispiel: In meiner israelischen Heimat habe ich nie traditionelle jüdische Musik gespielt, sondern immer nur europäische Musik, von Johann Sebastian Bach etwa.“ Das hat sich inzwischen gründlich verändert – gerade auch mit den kleinen Konzerten auf dem Parkplatz in Apels Garten, die im Zeichen der Erinnerung stehen. Der Erinnerung an eine Leipziger jüdische Gemeinde und damit an Menschen, die ausgelöscht wurden. Eine Erinnerung, formuliert von der Cellistin mit jener traditionellen jüdischen Musik, die sie gehört haben.

Wobei dies Erinnerungen weckt – gerade auch durch das wöchentliche Zusammenspiel mit den Originalaufnahmen vom damaligen Oberkantor Nathan Wilkomirski und den Lesungen. Erinnerungen an die eigene Kindheit. „Ich bin eigentlich kein sonderlich religiöser Mensch, aber ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Religion schon eine Rolle gespielt hat“, erzählt Ayala Sivan Levi und berichtet davon, wie die gelesenen Psalme die eigene Geschichte wieder ein wenig lebendig werden lassen. Was wiederum so trefflich einhergeht mit dem Anliegen dieser Gedenkveranstaltungen auf dem grauen Parkplatz: Denn auch hier geht es darum, Erinnerungen wieder lebendig werden zu lassen.

Erinnerungen, die es kaum noch gibt. Denn die Leipziger Ez-Chaim-Synagoge ist schon ein „lost place“, ein verlorener Ort, wie sie in ihren Recherchen feststellen musste. Es gebe kaum Dokumente oder Fotos, erzählt sie: „Das ist schon bemerkenswert: Bei vielen geschichtlichen Dingen wissen wir genau, wo die entsprechenden Denkmale stehen – aber hier ist die Erinnerung tatsächlich nahezu ausgelöscht.“ Was nicht nur die Leipziger Stadtgesellschaft betrifft, auch Ayala Sivan Levi lernte diesen grauen Ort erst kennen, als sie schon in der Stadt lebte. Was dann wiederum zur Leipziger Notenspur führt.

Denn natürlich war es eben auch dieser Ruf der Musikstadt, der sie nach Leipzig lockte. Die Originalität von Stätten wie der Thomaskirche („Für mich als Cellistin ist dieser Ort etwas ganz Besonderes.“), dem Schumann-Haus und dem Mendelssohn-Haus, die ja alle verbunden sind mit dieser Notenspur, über die sie auch folgerichtig schnell stolperte. „Als ich nach Leipzig gekommen bin, habe ich mich rasch nach musikalischen Projekten umgeschaut“, erzählt sie: „Und angestoßen von der Notenspur habe ich Prof. Werner Schneider geschrieben – das war auf Anhieb eine perfekte Sache.“ Inzwischen steckt Ayala Sivan Levi mittendrin in jenem Team, das die Festwoche zum 100. Geburtstag der Ez-Chaim-Synagoge ab 4. September vorbereitet.

Längst angekommen in der Messestadt

Ja, sie ist längst angekommen. Und dies vermutlich irgendwie schon vor drei Jahren, beim Besuch bei einem Freund, der schon damals in Leipzig lebte. Der Moment der Liebe auf den ersten Blick, sagt sie und erzählt von der erlebten Begeisterung für diese deutsche Stadt. Aus der ganz schön schnell der Entschluss erwuchs, dem eigenen Leben eine neue Richtung zu geben: „Ich war damals Cello-Lehrerin in Israel, mit richtig vielen Schülerinnen und Schülern. Aber mit dem Lehren ist es so eine Sache: Es macht unglaublich viel Spaß, aber es ist eben auch sehr erschöpfend.“ Und dann meint sie nachdenklich: „Wenn man eine gute Lehrerin sein will, muss man auch mal Pausen machen. Als dann noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie dazukamen, war mir klar, dass ich mal etwas anderes machen muss.“

Diese Entschlossenheit, aber auch dieses Lauschen auf die eigene Intuition bestimmt das Leben von Ayala Sivan Levi schon von Kindesbeinen an. Die lebensverändernde Begegnung mit dem Cello ist gar nicht so lange her: „Klar, als Kind wollte ich Musikerin werden – aber damals habe ich Klavier und Gitarre gespielt. Mit 27 habe ich mir ein Cello von einem Freund geliehen, das war dann beinahe wie die Erfüllung eines Traums. Das Cello ist ja ein bemerkenswertes Instrument: Es ist groß und man umarmt es beinahe wie einen Menschen. Außerdem spürt man die Schwingungen im ganzen Körper, wenn man spielt.“ Kein Wunder, dass dann alles ganz schnell ging: Von den ersten Lehrstunden über die Jazzschule und die Jerusalem Music Academy bis nach Leipzig. Wow, manchmal muss sie sich kneifen: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in Leipzig Cello spiele.“

Auf der Suche nach dem eigenen Atelier

Und da ist ja noch diese Leipzig-Funktion als Inspiration, als künstlerischer Türöffner zu neuen Möglichkeiten. Inzwischen ist Ayala Sivan Levi auf der Suche nach einem Atelier, sie erkundet in Malerei und dem Herstellen kleiner Skulpturen ganz neue kreative Welten. Die kleinen, feinen Details liegen ihr besonders am Herzen, sagt sie: „Die Details machen die Schönheit doch aus.“ Eines scheint aber schon sicher: Die Musik wird immer eine Rolle spielen – weil sie so unmittelbar ist. Weil sie eine unmittelbare Kraft hat, um Grenzen zu überwinden. Auch eine Erfahrung, die sie in Leipzig gemacht hat, beim Spielen auf dem grauen Parkplatz. Und damit ganz direkt und unmittelbar die Herzen von Menschen erreicht hat, die zufällig vorbeikamen – und dann doch stehengeblieben sind.

Weil es da wirklich den Zauber des Moments gibt. Diese Einzigartigkeit eines Augenblicks in einem Konzert, der nicht wiederholt werden kann – weil es bei Live-Musik keine Wiederholungen geben kann. „Man muss diesen Moment unbedingt genießen“, findet Ayala Sivan Levi. Und wünscht sich deshalb, dass die Smartphones in der Tasche bleiben – ein Video, sagt sie, wird diesen einzigartigen Moment niemals festhalten können.

Es sind spannende Zeiten für die israelische Musikerin – das erwähnte 100. Jubiläum der Einweihung der Ez-Chaim-Synagoge steht schließlich vor der Tür. In der Festwoche wird sie dann jeden Abend spielen. Das neue Heimatgefühl hilft dabei, die Herausforderungen des Alltags zu stemmen: „Schon bei meiner Ankunft vor zehn Monaten hatte ich das Gefühl, hier genau richtig zu sein.“ Und mit einem Lächeln erzählt sie von ganz neuen Erfahrungen, von der Entspanntheit, die sie in der Messestadt kennengelernt hat. „Hier in Leipzig ist tatsächlich für mich alles ein wenig relaxter, das Leben hat nicht diese Geschwindigkeit wie in Jerusalem“, überlegt sie und erzählt vom eigenen Lieblingsplatz, dem Leipziger Südfriedhof. „Ich mag Nostalgie.“ Und zum Abschluss spricht Ayala Sivan Levi auch über die Normalität, als israelische Musikern nach Deutschland zu gehen. „Ich wurde da immer unterstützt“, sagt sie und ergänzt: „Ich komme ohnehin aus einer ganz schön international geprägten Familie: Mein Bruder lebt zum Beispiel in Spanien, aber meine Schwester ist noch in Israel, zusammen mit meiner großen Familie. Und zu der habe ich ja immer noch eine sehr enge Verbindung. “ Jens Wagner

Die Festwoche „100. Weihe-Jubiläum Ez-Chaim Synagoge“ findet vom 4. bis 11. September statt – mit Konzerten, Videoprojektionen am historischen Synagogenstandort, Vorträgen, einem Bürgerbegegnungsfest im Kolonnadenviertel am 10. September und einer liturgischen Feier ebenfalls am ehemaligen Synagogenstandort. Informationen zum Programm unter www.notenspur-leipzig.de/juedische-notenspuren/

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