Als Muslimin trägt die Studentin Aliyah Schau in der Öffentlichkeit das Kopftuch. Foto: Betty Einhaus
Als Muslimin trägt die Studentin Aliyah Schau in der Öffentlichkeit das Kopftuch. Foto: Betty Einhaus

Aliyah Schau trägt einen langen Rock, goldene Ohrringe – und ein schwarzes Kopftuch, das sie auf den ersten Blick als Muslimin kennzeichnet. Die Religion spielt im Leben der jungen Frau eine wichtige Rolle. Vor eineinhalb Jahren ist sie zum Islam konvertiert, da war sie knapp 17. Bereut hat sie diesen Schritt bislang nicht, auch wenn sich das Leben der gebürtigen Leipzigerin seitdem stark verändert hat.

Aliyah Schau pendelt nun zwischen zwei Lebenswelten – der als Studentin und der als gläubiger Muslimin. Wobei diese Welten eher fließend ineinander übergehen – und doch unterscheidet sich der Alltag der 18-Jährigen in vielerlei Hinsicht von dem der meisten Erstsemester-studierenden in Leipzig.

Vorlesungen werden parallel gestreamt

Seit Oktober ist Schau in Leipzig an der SRH Hochschule im Studiengang „Physician Assistant“ (PA) eingeschrieben, der eine Art verkürztes Medizinstudium umfasst. Die private Hochschule mit Hauptsitz in Heidelberg hat den neuen Standort erst im Herbst eröffnet. Das Gespräch findet in einem Besprechungsraum am neuen Campus in der Prager Straße statt. Nagelneue Stühle und Tische stehen in den relativ kleinen Hörsälen. ­

Aliyah_Schau studiert an der privaten SRH Hochschule in Leipzig - und zahlt dafür monatlich Studiengebühren. Foto: Betty Einhaus
Aliyah_Schau studiert an der privaten SRH Hochschule in Leipzig – und zahlt dafür monatlich Studiengebühren. Foto: Betty Einhaus

Einige Studierende sitzen in einem Aufenthaltsbereich. Ansonsten ist es für eine Hochschule auffallend ruhig. Das liegt auch daran, dass die Studiengänge hybrid angeboten werden. Wer will, kann die Vorlesungen einfach digital verfolgen. Aliyah Schau ist lieber vor Ort. In ihrer Wohnung könne sie sich nur schwer konzentrieren, weil sie dort sehr schnell abgelenkt sei.

Etwa die Hälfte, manchmal sogar zwei Drittel ihrer Kommilitonen aber sind digital zugeschaltet. Der Rest sitzt im Kursraum. „Wenn man mal krank ist und nicht die Energie hat, zur Uni zu fahren, dann ist das super praktisch”, findet die 18-Jährige. Nach ihrem ersten Semester an der Hochschule sagt sie: „Ich habe mich sehr gut eingelebt.” Mit dem Studiengang sei sie „super, super zufrieden”.

Zentrale Lage, kleiner Campus

Sie schätzt die zentrale Lage, den kleinen Campus und das familiäre Umfeld. Schau hat nur etwa 35 Kommi­­litonen. Der Bachelorstudiengang ist in Deutschland bislang wenig bekannt. In den USA ist der PA dagegen sehr weit verbreitet. Schau sagt, auch hierzulande sei der Studiengang im Kommen. Laut dem PA-Blog, der zentralen Informationsplattform rund um das Berufsbild des Physician Assistant, haben im Wintersemester in Deutschland über 1700 Erstsemester ein Studium zum Physician Assistant begonnen.

Die Absolventen übernehmen später Aufgaben, die von einem Arzt delegiert werden. Sie dürfen mehr als Krankenpfleger, haben aber weniger Verantwortung, weil das letzte Wort bei medizinischen Behandlungen immer ein richtiger Arzt hat. ­Aliyah Schau wollte ursprünglich gern Medizin studieren. Doch ihr Zweier-Abitur reichte nicht aus für den hohen Numerus Clausus, den der Studiengang verlangt. Gleichzeitig war Schau sich unsicher: Will ich eine richtige Ärztin sein? Der Job sei schließlich verbunden mit viel Stress und großer Verantwortung und sie würde dafür lange studieren.

Auf TikTok sah sie einen Clip über einen ­PA-Studenten und dachte: „Das ist genau der richtige Mittelweg.” Dass die SRH-Hochschule ausgerechnet in Leipzig einen neuen Standort eröffnete, war für sie praktisch. So konnte sie nach dem Abitur nahtlos mit dem Studium beginnen. Dafür reichte sie eine Bewerbung mit Lebenslauf ein, hatte ein Gespräch mit den Studiengangsleitern und unterschrieb den Studienvertrag.

Zwei Nebenjobs für den Lebensunterhalt

Nach einem Semester als Studentin sagt sie ehrlich: „Ich müsste auf jeden Fall mehr lernen.” Doch dafür genügend Zeit zu finden, sei nicht immer leicht. Aliyah Schau braucht zwei Nebenjobs, um das Studium zu finanzieren, denn für die private Hochschule fallen Studien­gebühren an. An einer staatlichen Hochschule in der Region wird der Studiengang derzeit nicht angeboten. Schau sagt, sie komme nicht aus einer wohlhabenden Familie.

„Ich investiere in meine Bildung und zahle das gern.”

Ihre Mutter habe sie und ihren kleinen, zwölf Jahre jüngeren Bruder allein großgezogen. Mit Bafög, Kindergeld, Unterhalt und den beiden Jobs schafft sie es, ihren ­Lebensunterhalt zu bestreiten. Eigentlich fallen monatlich 690 Euro Studiengebühren an. Schau hat mit der Hochschule vereinbart, dass sie nur 450 Euro monatlich zahlt und den Rest nach Ende ihres dreijährigen Studiums begleicht, wenn sie einen Job hat. Die junge Frau ist überzeugt, dass sich der Aufwand lohnt: „Ich investiere in meine Bildung und zahle das gern.”

Ein Vorteil der Studienstruktur: In der Regel hat Schau eine Woche lang Vorlesungen und eine Woche freie Zeit fürs Selbststudium im Wechsel. Dafür gibt es keine klassischen Semester­ferien, wie an staatlichen Hochschulen üblich. Die freien ­Wochen nutzt Schau zum Arbeiten – sie serviert Essen im VIP­Bereich der Red-Bull-Arena und geht putzen in einer Arztpraxis.

Lieblingsfächer sind Pathologie und Anatomie

Jetzt im März stehen die ersten Prüfungen an. In ihren Lieblingsfächern wie Pathologie und Anatomie fühlt sich Schau gut vorbereitet, in anderen Bereichen wie „naturwissenschaftliche Grundlagen” weniger.

Nach ihrem Abschluss könnte Aliyah Schau sich vorstellen, in der Notaufnahme eines Krankenhauses zu arbeiten. „Der Alltag dort ist sicher hart, aber ich denke, es gefällt mir.” Nach dem Bachelor will sie noch einen Master draufsatteln, sich spezialisieren und ihre Berufschancen erhöhen.

Kein typisches Studentenleben

Nach dem Abitur ist Schau von zu Hause ausgezogen und wohnt jetzt mit ihrem Kater in einer eigenen kleinen Wohnung in Böhlitz-Ehrenberg, im selben Haus, in dem auch ihre Mutter und der Bruder leben. Sie wollte gern ihre eigenen vier Wände haben, schätzt aber die räumliche Nähe zu ihrer Familie. Ein typisches Studentenleben mit wilden WG-Partys führt Aliyah Schau jedoch nicht.

Als Muslimin ist Alkohol für sie tabu, eine Disco würde sie nicht betreten. Schau sagt, sie sei groß geworden mit dem Glauben an Gott. Das Christentum habe in ihrer Familie eine gewisse Rolle gespielt. „Ich war schon immer sehr, sehr interessiert an Religion.” In der Schule hörte sie im Religionsunterricht sehr genau zu, informierte sich auch über das Judentum und den Islam.

„Ich habe mich als Mensch charakterlich nicht verändert, ich habe jetzt nur andere Anschauungsweisen.”

Während der Abiturprüfungen hatte sie sehr viel Stress. Hinzu kamen familiäre Probleme, auch mit ihrem Vater. „In dieser Zeit hat mir der Islam sehr viele Antworten gegeben.” Der Koran half ihr in dieser schweren Zeit. Er vermittele klare Regeln, an denen sie sich orientieren könne – und eröffne ihr die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Muslime. „Der Islam gibt mir einen Leitfaden für mein Leben”, sagt die junge Frau. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens.”

Schau trägt das Kopftuch

Seit sie konvertiert ist, trägt Schau das Kopftuch und betet fünfmal am Tag Richtung Mekka. Das Gebet sei für sie eine Zeit, in sich zu kehren, den eigenen Kopf für zehn Minuten auszuschalten. „Beten ist ein bisschen wie Yoga.”

Auch in der Hochschule gibt es auf ihre Anfrage hin seit einer Weile einen Gebetsraum, den Studierende aller Religionen nutzen können. An vielen Stellen beeinflusst der Islam ihren Alltag. Während des Fasten­monats Ramadan etwa isst und trinkt Schau von Sonnenauf- bis untergang nichts. Sie dachte, es würde schwer werden, den ganzen Tag nichts zu sich zu nehmen. „Aber eigentlich ist es wie verlängeres Intervall-Fasten“, sagt sie. „Das ist auch gesund.“

Für ihre Mutter sei ihr Übertritt in den Islam allerdings ein Schock gewesen. Ihre Entscheidung habe diese anfangs befremdlich gefunden, sie aber schließlich akzeptiert. „Ich habe mich als Mensch charakterlich nicht verändert, ich habe jetzt nur andere Anschauungsweisen.” Mit der Vollendung des 14. Lebensjahres gilt in Deutschland eine uneingeschränkte Religionsmündigkeit. Das bedeutet, jeder hat das Recht, aus der bisherigen Gemeinschaft oder Konfession auszutreten, als auch das Recht zu konvertieren.

Einzig ihr Vater reagierte nicht gut auf ihr Entscheidung für den Islam. Beide haben generell ein schwieriges Verhältnis zueinander. Die Familie des Vaters, die in Thüringen auf dem Land lebt, kam mit ihrer Veränderung dagegen gut zurecht. „Meine Verwandten haben mir gesagt, sie sind stolz auf mich.”

Kopftuch schützt Aliyah Schau

Das Kopftuch trägt Schau ganz bewusst, um ihre Religion nach außen zu repräsentieren. Und: „Es schützt mich auch”, hat sie festgestellt. Seit sie es trägt, gab es kein Catcalling (sexuell anzügliche Rufe) mehr in der Öffentlichkeit. Gleichzeitig aber wird das Tuch von anderen Menschen öfter kommentiert.

Erst kürzlich bekam sie auf dem Weg zur Arbeit einen blöden Spruch hinterhergerufen. Schau fragte: Was hast du gesagt? Die Person schwieg. Schon öfter wurde sie von Fremden für ihr gutes Deutsch gelobt, weil diese annehmen, dass sie Ausländerin sei. Aliyah Schau sagt, sie habe kein Problem mit Nachfragen, der Ton sei entscheidend.

Aliyah Schau besucht regelmäßig eine Moschee - hier ist sie in Istanbul unterwegs. Foto: privat

Aliyah Schau besucht regelmäßig eine Moschee – hier ist sie in Istanbul unterwegs.
Foto: privat

Sie weiß, dass der Islam von vielen Menschen kritisch betrachtet wird. Die Religion sei aber nicht gefährlich, sagt sie, wenn man sich näher mit ihr befasse. Um das schlechte Image zu verbessern, verhalte sie sich in der Öffentlichkeit anderen Menschen gegenüber besonders höflich und freundlich. „Ich will zeigen, dass wir Muslime gute Menschen sind.”

Hauptsächlich Kontakt zu anderen Muslimen

Auch wenn sie noch einige Freunde hat, die nicht den Islam vertreten: Hauptsächlich trifft sich Schau mit anderen Muslimen, vor allem Frauen aus der ­al-Rahman-Moschee in Gohlis, die sie regelmäßig besucht. In den Schwesterngruppen essen und beten die Frauen gemeinsam oder gehen zusammen shoppen. Seit einer Weile lebt Aliyah Schau in einer festen Partnerschaft. Sie sagt, sie sei so etwas wie verlobt und betont, dass sie sich den jungen Mann selbst ausgesucht hat. In einigen Jahren wollen beide heiraten und eine Familie gründen.

Bis dahin konzentriert sie sich auf ihr Studium. Wenn sie neben dem Lernen für ihre Hochschulstudium, den beiden Jobs und der muslimischen Gemeinde noch Zeit findet, kocht und backt sie gern, erzählt sie – oder geht mit ihrem Kater an der Leine draußen spazieren. Einen Wunsch will sie sich demnächst noch erfüllen: Sie will mit dem Boxen anfangen. Gina Apitz

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