Verleihung der Leipziger Lerche an Michael Maul in der LVZ-Kuppel. Foto: André Kempner
Verleihung der Leipziger Lerche an Michael Maul in der LVZ-Kuppel. Foto: André Kempner

Großer Bahnhof in der LVZ-Kuppel: Der Wirtschaftsverein „Gemeinsam für Leipzig“ hatte zum traditionellen Neujahrsempfang geladen. Wichtiger Programmpunkt: Die begehrte Auszeichnung „Leipziger Lerche“ wurde vergeben und zwar an den Bachfest-Intendanten Professor Michael Maul. Im Interview spricht er über die Strahlkraft des alljährlichen Musikfestivals.

Wie erleben Sie die verbindende Wirkung der Musik von Bach?

Professor Michael Maul: Ich bin viel in der Welt unterwegs und eines habe ich festgestellt: In 50, 60 Prozent der Fälle gibt es keine Reaktion, wenn ich davon berichte, aus Leipzig zu kommen. Aber der Name Johann Sebastian Bach sorgt fast immer für Begeisterung. Ein Beispiel: Ich gehe als Hobby und Ausgleich gern in die Wildnis und da war ich auch mal in New Mexico in den Badlands unterwegs. Dort bin ich mit einem Navajo ins Gespräch gekommen und der sagte sofort: Ah, the city of Johann Sebastian Bach! Ja, da gibt es eine unverminderte Strahlkraft des Namens Johann Sebastian Bach und seiner Musik. Und die verbindet sich beim Bachfest Leipzig mit der Authentizität der Orte, an denen der Komponist auch gearbeitet hat.

Dieses Konzept geht offenbar auf: Hat Sie das Rekordergebnis mit Besucherinnen und Besuchern aus 56 Ländern der Erde im letzten Jahr überrascht?

Nun ja, wir haben uns im Vorfeld vom Bachfest 2023 schon auf die Fahnen geschrieben, die Zahl von 50 Ländern zu überschreiten. Und ja, ich bin einigermaßen stolz darauf, dass wir bei der Internationalität des Publikums über der nationalen Benchmark Bayreuth stehen. Damit sind wir in dieser Hinsicht mit keinem anderen Festival mit klassischer Musik vergleichbar. Zum Glück wissen wir aber auch sehr viel über unsere Besucherinnen und Besucher: Wir erheben gesicherte empirische Daten und wissen ganz genau, worüber wir reden.

Verleihung der Leipziger Lerche an Michael Maul in der LVZ-Kuppel in Leipzig. v.l. Dr. Mathias Reuschel, Claudia Huke, Frank Wend Preisträger Michael Maul, Hannah Suppa und OBM Burkhard Jung bei der Preisverleihung. Foto: André Kempner
Verleihung der Leipziger Lerche an Michael Maul in der LVZ-Kuppel in Leipzig. v.l. Dr. Mathias Reuschel, Claudia Huke, Frank Wend Preisträger Michael Maul, Hannah Suppa und OBM Burkhard Jung bei der Preisverleihung. Foto: André Kempner

Was sind aus Ihrer Sicht weitere Faktoren, die das Bachfest zu einem internationalen Erfolg werden lassen?

Da ist eine wichtige Weichenstellung, die für einigen Jahren gegeben wurde: Ich bin seit 2018 Bachfest-Intendant und habe mich von Anfang an dagegen ausgesprochen, das Thema des Festivals aufzusplitten und über Johann Sebastian Bach hinaus auszudehnen. Vielmehr habe ich darüber nachgedacht, was man für ein Konzept erarbeiten muss, damit keine einzige Bach-Verliebte, kein einziger Bach-Verliebter auf der Welt an diesem Festival vorbeikommt. Dazu gehörte auch, die vor 2018 eher stiefmütterlich behandelten Wochentage weiter aufzuwerten mit Konzerten und Veranstaltungen: Mit der Idee, zehn Tage mit einem ganz dichten Programm anzubieten. Nun, diese Rechnung ist aufgegangen. Nicht zuletzt, weil mit der steigenden Internationalität des Publikums dieses immer jünger wird.

Gibt es diese Bachfest-Atmosphäre, die man eben nur in Leipzig erleben kann?

Nun, alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe, erzählen mir von einer ganz besonderen Nähe zwischen den Künstlerinnen und Künstlern sowie dem Publikum. Das hat wohl auch etwas mit der funktionierenden Infrastruktur zu tun – damit, dass man alle wichtigen Veranstaltungsorte zu Fuß erreichen kann. Ich denke, dass hier ein weiterer wichtiger Punkt zum Tragen kommt: Hinter dem Bachfest steht in der Organisation eine Institution mit der absoluten Kernkompetenz Bach.

In Leipzig ist man manchmal ganz erstaunt, wie international bedeutend das Bachfest ist. Müsste man da nicht in der Stadt ein noch größeres Bewusstsein für das Festival schaffen – etwa mit Angeboten wie der BachStage?

Diese ist ja keine neue Erfindung. Und auch nicht die Idee, ein kostenfreies Angebot für alle auf den Markt zu bringen. Und ja, das ist für mich total wichtig: Damit erreichen wir mit dem Bachfest Menschen, die sonst eine Schwellenangst haben vor den ehrwürdigen Konzertplätzen. Oder die Bach eigentlich mögen, aber sich das Bachfest nicht leisten können. Zudem ist es auch total wichtig, den genialen Komponisten Johann Sebastian Bach auch mal ein wenig vom hohen Sockel zu holen: Viele der Probleme, die der Mensch Johann Sebastian Bach in seiner Zeit hatte, findet man heute immer noch wieder. Das meine ich auch, wenn ich von der größten Bach-Selbsthilfegruppe der Welt spreche: Man kann, man darf, man muss über Bach diskutieren und dies am besten beim Bachfest Leipzig nach dem Konzert an der Bar oder sonstwo.

Spannend ist, dass es in den nächsten Jahren noch einige Jubiläen zu feiern gibt …

Das wird auch auf jeden Fall passieren – zum Beispiel das Jubiläum 300 Jahre Johannes-Passion im Jahr 2024. Die wollen wir unter anderem im kommenden Jahr am Eröffnungsfreitag, 7. Juni 2024, auf der BachStage auf dem Marktplatz aufführen – barrierefrei, also mit einer Darstellung in Gebärdensprache. Mit einer klar ausgesprochenen Einladung an alle, mitzusingen.

Bemerkenswert sind auch immer die programmatischen Klammern, die dem Bachfest eine Richtung und eine Struktur geben – 2024 lautet das Motto ja dann „CHORal TOTAL“. Wie entstehen diese Ideen?

Meine Philosophie ist klar: Am Anfang steht immer das Motto. Auf dieser Idee baue ich das Programm auf – immer im Austausch in unserer Institution. Das ist vielleicht auch die Besonderheit, die das Bachfest ausmacht: Diese konzeptionelle Stringenz in einem Festival zu erreichen ist gar nicht so einfach, wenn viele Akteure involviert sind. Wir hingegen haben diese Klaviatur mit ganz viel Kompetenz im Haus, auf der wir spielen können.

Wie lässt sich dieser Anspruch mit dem Gedanken Nachhaltigkeit vereinbaren?

Ja, dieses Problem haben wir auch schon gesehen: Wir wollen die ganze Welt an die originären Wirkungsstätten von Johann Sebastian Bach locken. Und das Streben nach Internationalität geht ja auch auf. Welche Kompensation ist da denkbar? Weil mich dieses Problem nicht losgelassen hat, bin ich auf die Suche nach Partnern gegangen – und auf die Stiftung Wald für Sachsen gestoßen.

Da passte alles zusammen: Eine Fläche am Störmthaler See – auch ein Ort, an dem Bach gespielt hatte – war für die Renaturierung rasch gefunden, nun wird dort „Ein Wald für Bach“ aufgeforstet. Es steht uns gut an, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Und zwar so, dass es nicht nur ein Feigenblatt ist. Es gibt die Idee, das 25. Bachfest unter das Thema Transformation zu stellen: Zum einen kann man künstlerisch viel machen, andererseits wäre es auch ein Ansatz, bei der Organisation und Durchführung das Bachfest in Richtung Klimaneutralität voranzubringen. Interview: Jens Wagner

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