Manchmal stößt man im Leben ganz unverhofft auf Dinge, die einen einfach nicht mehr loslassen. In einem Reiseführer zum Beispiel – so erzählt Inès Keerl: „Schon 2007 waren wir unterwegs in Südafrika: Dort habe ich in diesem Buch fünf Sätze über Catharina Ustings gefunden.“ Und diese knappen fünf Sätze über diese historisch belegte Persönlichkeit sollten ihr Leben verändern: Getrieben von Neugier und Wissensdurst machte sich die Drehbuchautorin daran, das Schicksal der Frau aus dem 17. Jahrhundert weiter zu erforschen – und in Romanform zu bringen.
Romandebüt erschien zur Leipziger Buchmesse
Pünktlich zur Leipziger Buchmesse lag ein erstes Ergebnis vor: „Die Löwin vom Tafelberg“ heißt der (Premieren-)Roman aus der Feder von Inès Keerl, der bei dieser passenden Gelegenheit vorgestellt wurde.
Was schon auch für ein wenig Bauchkribbeln sorgt: „Vor etlichen Jahren habe ich mit einer Kollegin ein Kochbuch herausgebracht, da waren wir auch schon auf der Leipziger Buchmesse zu Gast. Aber diesmal ist es doch etwas ganz anderes, wenn man mit seinem ersten eigenen Roman dabei ist“, und damit auch dem kompletten Programm inklusive zweier Lesungen auf dem Festival „Leipzig liest!“ und einem Meet & Greet auf der Buchmesse. Ein Auftakt nach Maß, könnte man sagen.
Der ist ganz bewusst gewählt – genau genommen ist der Roman schon seit mehr als drei Jahren fertig. Und eine Veröffentlichung war eigentlich auch schon fest avisiert, „aber dann kam Corona“, blickt Inès Keerl auf das Frühjahr 2020 zurück: „Mit einem Mal hatten sich alle Pläne zerschlagen, die Veröffentlichung musste verschoben werden. Und ich muss zugeben: Das hatte mich damals schwer getroffen.“ Inzwischen schaut sie ein wenig anders auf die Dinge: Eigentlich sei es schon ganz gut gewesen, „Die Löwin vom Tafelberg“ nicht mittenrein in die „Schockstarre der Pandemie“ zu veröffentlichen: „Irgendwann sagte mal jemand zu mir: Bloß gut! Wenn man keine Lesungen machen kann, sollte man einen Roman nicht veröffentlichen.“
Lesungen in der Heimatstadt Leipzig
Nun folgt der neue Anlauf im Jahr 2023: Das druckfrische Buch hat die Autorin schon in der Hand, die Lesungen in der Heimatstadt Leipzig sind terminiert, die ersten Feedbacks hat sie sich auch schon eingesammelt im digitalen Raum. Die fallen durchweg positiv aus, erzählt Inès Keerl: „Ehrlicherweise muss ich eines sagen: Mein Buch habe ich nach dem Verschieben der Veröffentlichung gut anderthalb Jahre nicht mehr gelesen. Erst nach einem intensiven Lektorat bin ich noch einmal kurz rangegangen – und hatte im Vorfeld schon eine Menge Bammel. Aber dann kamen so viele spannende Fragen von den Leserinnen und Lesern, vor allem dazu, was nun eigentlich Fiktion und was Realität ist.“
Denn das Romandebüt bewegt sich auf historischem Terrain – und zwar auf nachweislich belegtem historischen Terrain. Die Heldin Catharina Ustings aus Lübeck hat tatsächlich gelebt und auch ihr Weg nach Südafrika ist historisch belegt. Fluch und Segen zugleich, erzählt Inès Keerl: „Zwischendurch habe ich beim Schreiben nicht nur einmal gedacht: Hätte ich doch mal einen einfachen Liebesroman geschrieben!“ Denn auf der einen Seite gab die Geschichte der historischen belegten Catharina Ustings eine gewisse, hilfreiche Struktur – andererseits stellte sich aber auch schnell heraus, dass die Autorin viel, viel, viel Zeit in die Recherche investieren musste: „Ich musste erst einmal die ganze Geschichte und die ganzen Geschichten in den Archiven erforschen, ehe ich meine eigene Geschichte entwickeln konnte.“
„Ich konnte mich richtig reinarbeiten“
Im Rückblick ist sie eigentlich ganz froh über diese gewisse Naivität, mit der sie an das Romanprojekt rangegangen ist: „So konnte ich mich richtig reinarbeiten. Und Dinge kennenlernen: Zum Beispiel, dass so viele Dinge, die heute für uns Normalität sind, damals im 17. Jahrhundert ganz anders waren: Meine Romanfigur ist zum Beispiel Analphabetin, weil in dieser Zeit nur wenige Menschen lesen und schreiben konnten.“
Stichwort schreiben: Geschrieben – im literarischen Sinne, wohlgemerkt – hatte Inès Keerl schon immer gern, „aber es stand eben die Frage, was will man denn eigentlich schreiben? Und obendrein gab es stets die Ansage: Vom Schreiben kann man nicht leben“. So kam es, wie es kommen musste unter dem Stern des „Lern erst mal was Ordentliches“: Nach der Kindheit in Düsseldorf folgte das Studium der Betriebswirtschaft in Koblenz und die Arbeit in einer Unternehmensberatung. Bis auf einmal die passende Idee kam: Wie wäre es denn mit dem Schreiben von Drehbüchern? Davon müsste man doch leben können? Gedacht, getan – 1997 startete Inès Keerl an der Drehbuchwerkstatt in München ihren zweiten Karriereweg.
Von München ging es direkt nach Leipzig
Womit Leipzig ins Spiel kommt. Denn es gab ja tatsächlich mal eine Zeit, in der die Serie „In aller Freundschaft“ – heute medialer Exportschlager Nummer 1 der sächsischen Metropole – ganz arg schwächelte. Der Zufall brachte den Produzenten Oliver Vogel und die frischgebackene Drehbuchautorin Inès Keerl auf einer Party zusammen: „Das war damals ein tolles Team. Mit einer wunderbaren Aufbruchstimmung – auch wenn es superanstrengend war“, erinnert sie sich an ihre Zeit als „IaF“-Dramaturgin: „Damals bin ich auch mit einer gewissen Naivität an die Sache herangegangen, die letztlich schon geholfen hat. Und obendrein habe ich die Erfahrung gesammelt, dass man vom Schreiben tatsächlich auch leben kann.“
Der Schritt von West nach Ost war für sie übrigens keine sonderlich große Herausforderung: Auch als Düsseldorferin kannte sie Sachsen ganz schön gut – dank der Familienmitglieder des Vaters in Bautzen. Und der Fahrten alle Jahre wieder zum Weihnachtsfest gen Osten: „An eines kann ich mich noch gut erinnern: Die Grenzkontrollen waren für mich als Kind ganz schrecklich. Die Hunde, die Männer mit den Spiegeln, die unter das Auto geguckt haben.“ Nach einer Pause ergänzt sie: „Ansonsten bekommt man als Kind vieles ja nicht mit. Erst später ist mir dann aufgefallen, dass dies alles eine seltsame Sache ist: Wir konnten nach Sachsen fahren, die Bautzener uns aber nicht besuchen.“
Fluch und Segen zugleich
Interessanterweise war die gesammelte Erfahrung in Sachen Drehbuchschreiben für die literarische Arbeit an einem Roman auch wieder – na klar – ein Fluch und ein Segen zugleich. Klar, da war diese (positive) Routine im Schreiben und Geschichten-Entwickeln, gesammelt in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten, „und ich habe dann auch schnell gemerkt, dass man auch in einem Roman sehr strukturiert arbeitet: Auch hier schreibt man in Kapiteln und damit ja auch in Szenen.
Andererseits gibt es einen riesengroßen Unterschied zwischen Romanen und Drehbüchern: In einem Roman muss erst einmal eine Umgebung schaffen und alles gut beschreiben. Damit habe ich mich schon ein wenig schwer getan.“
Der Trick war Disziplin, Struktur, Konzentration, Ausdauer. Vom sagenumwobenen Musenkuss, der aus dem Nichts Inspiration schenkt, hält Inès Keerl nicht sonderlich viel – sie setzt lieber auf das kontinuierliche, stete Festhalten der Gedanken. „Wenn man nicht diszipliniert schreibt, verliert man das Buch, die Figuren“, überlegt sie: „Und dies gilt gerade bei historischen Stoffen.“ Der Lohn dieser Mühen: Versteht man Schreiben als einen Beruf, kommt man auch hinein in eine Dynamik, in der auf einmal der Roman mit seinen Figuren ein bemerkenswertes Eigenleben entwickelt – zumindest ist dies die Erfahrung der Autorin mit „Die Löwin vom Tafelberg“.
Mit viel Disziplin beim Schreiben dabei
„Ich brauche diese Struktur, diese Ausdauer – und es müssen auch nicht immer die tollsten Sachen beim Schreiben rauskommen. Denn danach kommt der Prozess des Überarbeitens und Verdichtens, der macht ja auch richtig Spaß“, berichtet sie über die Entstehungsgeschichte des 448 Seiten von „Die Löwin vom Tafelberg“.
Das Verrückte: Der zweite Band der Geschichte von Catharina Ustings ist auch schon geschrieben, am dritten Buch arbeitet Inès Keerl gerade. Und dies alles, weil ihr diese fünf Seiten im Reiseführer nicht aus dem Kopf gegangen sind: „Die Geschichte muss einfach raus. Inzwischen gibt es dazu auch einen Instagram-Account: Ich habe so viel zu diesem Buch noch zu erzählen. Das macht inzwischen richtig Spaß.“
Wobei sie – natürlich – immer noch und stetig auf der Suche nach Drehbuchideen ist. Was aus Inès Keerl inzwischen eine aufmerksame Beobachterin gemacht hat, die mit offenen Augen durch ihre Heimatstadt Leipzig geht. „Verlorene Lebenszeit gibt es für mich nicht“, sagt sie mit einem Lächeln. Und ergänzt, dass sich diese Beobachtungsgabe und dieses Denken in Bildern letztlich auch für das Romanschreiben nutzen ließ: „Da habe ich immer mit Fotos gearbeitet, die ich mir angeschaut habe: So konnte ich mir ein haptisches Bild von meinen Protagonisten machen“.
Jens Wagner
Infos: www.ineskeerl.com