LEIPZIG. Der Typ kommt lässig rüber. Dreitagebart, Kapuzenjacke, Berliner Schnauze. Wenn man mit ihm redet, hört er aufmerksam zu. Er nimmt sich selbst nicht zu ernst, wirkt authentisch. Kurzum: Er passt zu seinem neuen Job als neuer Cheftrainer der BSG Chemie Leipzig. Miroslav Jagatic (42) hat die ersten 100 Tage in Leutzsch hinter sich. Zeit, ihn näher kennenzulernen.
Der gebürtige Bosnier, der in Soltau geboren wurde und in Berlin-Kreuzberg aufwuchs, war den Leipzigern zunächst relativ unbekannt. Seine bisherige Karriere als Fußballer und Trainer fand bislang vor allem in Berlin statt – und in Myanmar. In dem südostasiatischen Land, auch als Burma bekannt, arbeitete Jagatic für anderthalb Jahre als Co-Trainer der Nationalelf unter seinem Mentor Gerd Zeise, bis er 2017 die VSG Altglienicke übernahm.
Als Spieler sammelte er Erfahrungen unter anderem bei Spandau, Zehlendorf und den Reinickendorfer Füchsen. Dreimal war er als Spieler auch in Leutzsch: „Einmal nur auf der Bank, einmal eingewechselt, einmal wurde ich schon in der 16. Minute auf der Trage rausgetragen. Da hatte mich Golowan umgetreten, damit war das Spiel Geschichte“, erinnert sich der Schwarzschopf. Den Fußball-Osten kennt er aus jener Zeit. Als Stürmer gelangen ihm einmal zwei Fallrückziehertore in einer Saison – „eines in Erfurt, eines bei TeBe“. Mit Anfang 20 beendete eine schwere Verletzung seine Karriere, als er gerade auf dem Sprung in die Zweite Bundesliga stand.
Danach ging das Kicken nur noch im Amateurbereich – dafür entdeckte Miro den Trainerjob für sich. Erste Station: Trabzonspor Berlin. Eine wilde, eigentlich unbeherrschbare Truppe mit der ungezähmten Power stolzer türkischer Jungs. Jagatic, selbst in einer Clique voller Araber, Türken und Russen groß geworden und mit dem Slang der Straße vertraut, meisterte die Herausforderung. „Ich hab die Mannschaft als Tabellenletzter mit fünf Punkten übernommen. Am Ende hatten wir 42 Punkte“, erzählt er. Die größte Aufgabe bestand darin, das Temperament seiner Spieler zu zügeln und in konstruktive Bahnen zu lenken. Psychologie – ein großes Thema im Fußball.
Bei Chemie hat er mit ausuferndem Ego und Temperament eher nicht zu kämpfen. „Die Jungs hier sind relativ pflegeleicht, vor allem sehr selbstkritisch“, sagt der Coach. Trotzdem hat er eine neue Kultur mitgebracht, denn es wird nunmehr ausgiebig gesprochen und erklärt auf dem Leutzscher Rasen. Chemie ist sein bisher populärster Verein, doch der damit verbundene Druck stört ihn nicht: „Den hat man doch immer, egal, in welcher Liga man spielt. In Altglienicke, wo gestandene Ex-Profis und Nationalspieler verpflichtet wurden, gab es zwar nur 200 Zuschauer, aber ebenfalls Druck. Gleiches mit der Nationalmannschaft Myanmars, als man in Beirut, Singapur oder Goa vor großen Kulissen spielte.
Nach 100 Tagen und acht Spielen unter Jagatics Ägide hat Chemie Tabellenplatz eins inne und nur vier Punkte abgegeben. Zwei Unentschieden und sechs Siege stehen zu Buche. Was auffällt: Dieser Trainer kommuniziert viel und gern. Er weiß, was er am Traditionsverein Chemie hat. Er ist ehrgeizig und will seinen Weg gehen. Gern auch einmal länger als auf seinen bisherigen Stationen möglich.
Bisher pendelt er zwei- bis dreimal die Woche von Berlin, bodenständig mit dem Zug. Die Zeit in der Bahn nutzt er optimal: „Da kann man sich entspannt Gedanken machen über die Mannschaft, das nächste Spiel und alles drumherum“. Damit es auch klappt mit den Punkten, dem Gewinnen und dem großen Ziel Regionalliga. Denn menschlich passt es jetzt schon zwischen Miroslav Jagatic und der BSG Chemie.
Jens Fuge