LEIPZIG. „Unverhofft kommt oft“, diese alte Redensart hat dann doch ihre Wahrheit – dies weiß Christian Steyer nur zu gut. Seinerzeit auf der Suche nach fernöstlichen Atemtechniken, stieß er auf die Idee von Yin und Yang. Die Polarität der Welt – Grundmerkmal des Lebens.
Oh, diese Stimme! Diese tiefe, warme, beruhigende Stimme, die einen so schnell umfängt. Und die bei aller Ruhe doch ausgesprochen markant ist und immer wieder dafür sorgt, dass man schaut, wo sie herkommt, diese Stimme. Die einen aufhorchen lässt, weil sie so vertraut klingt, so bekannt. Na ja, sie ist ja auch unglaublich bekannt – immerhin leiht Christian Steyer schon seit dem Jahr 2003 der inzwischen schon regelrecht legendären Zoo-Doku-Serie „Elefant, Tiger & Co.“ seine unverwechselbare Stimme. „Schon ein Glück“, erzählt er, „dass ich da eben nicht einfach nur ein Manuskript vorlese, sondern auch meine Beobachtungen, meine eigenen Eindrücke mitschwingen können“.
Schnell wird klar, dass Christian Steyer – seines Zeichens ein wahres Multitalent als Sprecher, Schauspieler, Musiker und Komponist – sich viele Gedanken macht. Über die Stimme. Über das Sprechen. Über Kommunikation. Mit Begeisterung berichtet er von seinen Experimenten mit den Studenten am Berliner Jazz-Institut und der Schauspielschule „Ernst Busch“, in denen er die Wirkung von Stimme vermittelt. Und er macht sich vergnügt daran, solch ein Experiment vorzuführen – und wirklich, man ist erstaunt, wie sich Wahrnehmungen auf einmal verändern – „und dabei bin ich weder lauter noch schneller geworden“. Nicht einmal richtige Worte – dies sei auch erwähnt – hat er dabei benutzt.
Das Gedankenmachen zieht sich durch wie ein roter Faden: Christian Steyer ist einer, der über so vieles nachdenkt – seine Arbeit, aber auch über die Gesellschaft, in der er lebt und arbeitet. „Über das Leben nachzudenken war mir wohl schon immer ein Bedürfnis – ist mir aber im Laufe der Zeit mehr und mehr bewusst geworden“, erzählt er: „Ich glaube, das hab ich von meinen Eltern mitgenommen: Nachsinnen – – aber auch zu dem stehn, was man sagt. Vermutlich hilft es einem sehr, wenn einem das vorgelebt wurde…“
Vielleicht kann man auch die erwähnte Entdeckung von Yin und Yang noch besser verstehen, wenn man sich der Wachheit des Steyer’schen Geistes bewusst wird. Da gab’s ein Aha-Erlebnis, wie er erzählt: „Diese Vorstellung von Gegensätzen, die einander brauchen(!), von ‚Feinden’, die ‚Freunde’ sind, war mir eine ungeheure Entdeckung! Ich habe damit begonnen, meine Welt, mein Tun, mein Musizieren, meine Arbeit nach diesen schöpferischen Gegensätzen zu durchforschen.“ Dabei stieß er auf ein bemerkenswertes gegensätzliches Pärchen: aktiv und passiv. Und darauf, „dass das Passive in unserem Kulturverständnis eine negative Konnation hat!“.
Etwas, das ihn seither nicht loslässt – auch weil er darin einen gravierenden Irrtum entdeckt: „Passivität bedeutet eben nicht: faul sondern: wahrnehmend lebendig zu sein!“, erklärt er und ergänzt: „Es geht darum, nichts zu ‚machen’, sondern zuzulassen, dass etwas anderes – sei es ein Sonneuntergang, ein Buch, ein Freund, was auch immer, irgendein Ereignis – etwas mit einem macht!“ Es ist ein Nachdenken über Verletzlichkeit, das Christian Steyer umtreibt, auch darüber, sich selbst kennenzulernen – auch mit den eigenen Grenzen. „Um Ergebnisse geht es mir weniger, sondern um ein bleibendes Unterwegssein“, überlegt er mit einem Lächeln und ergänzt: „Ich muss mich angreifbar machen: Das ist die notwendige und einzige Voraussetzung dafür, dass ich mich entwickeln kann.“
Noch etwas fällt immer wieder auf – diese unglaublich enge Bindung zur Musik. Wenn Christian Steyer über das Leben spricht, über die Stimme und auch über das eigene Entwickeln, tauchen sie ständig auf, diese Begriffe aus dem Musizieren. Begriffe wie Rhythmus, Melodie, Harmonie, auch das Anschlagen einer Saite wird zum erhellenden Bild („Eigentlich kann es alles Mögliche sein, was eine Saite in einem zum Schwingen bringt, die vorher nicht – vielleicht noch nie – geschwungen hat“, überlegt er zum Thema Weiterentwicklung). Musik, sagt Christian Steyer, das sei für ihn der zentrale Punkt: „Mit Musik geht doch alles los – das war bei mir schon als Kind so.Und doch: so viel Musik hat mich gelangweilt! Zu oft fehlte da was! Etwas Unmittelbares. Ich wollte wohl mit Musik durch’s Leben fahren, tiefer ins Leben gelangen…“
Es verwundert da nicht, dass er sich neben seiner weithin bekannten Arbeit als Sprecher – auch für Hörbücher wie gerade für „Das musikalische Nashorn“ von Peter Hacks – immer wieder der Musik widmet, und da forscht, wo eigene Quellen zu finden sind – beispielsweise in alten Weihnachtsliedern, die er mit dem Berliner Solistenchor zu neuem Leben erweckt. Weil es spannend ist, auch ein bisschen schwierig! „Ich habe überhaupt kein Interesse daran, auf der Gospelwelle zu schwimmen. Ich lasse mich gern von Fremdem inspirieren, ja, doch im Eigenen z.B. Weihnachtsliedern wie ‚Maria durch ein’ Dornwald ging‘ ist ja Unglaubliches zu entdecken – über den religiösen Aspekt hinaus.“ Und schon ist man wieder mittendrin im Gespräch über die Gegensätze, z.B. darüber, „dass man keine Freude empfinden kann, wenn man die Traurigkeit nicht kennt“.
Dann hat man auch verstanden, was Christian Steyer meint mit dem Unterwegssein. Es ist kein Begriff im räumlichen Sinne, mehr eine Entdeckungsreise, ein bleibendes Erkennen. Dies, erklärt er schmunzelnd, sei durchaus eine schöne Seite des Älterwerdens, „wenn man sich darauf einlassen und die damit einhergehenden Irritationen zuzulassen vermag – die den Blick weiten können!“. Und dann lässt er beinahe beiläufig einen außerordentlichen Satz fallen, der die Rastlosigkeit im Leben von Christian Steyer so wunderbar beschreibt: „Nichtwissen (aber Wissenwollen!) hat viel größere Dynamik als das Wissen! (welches ohnehin immer begrenzt ist) – Und außerdem: man sollte gemachte Erfahrungen niemals mit absoluten Urteilen verwechseln.“
Dann kommt – ganz zum Schluss – noch eine große Überraschung: Eigentlich, denkt man, müsste sie doch gepflegt werden, diese Stimme. Christian Steyer lacht und verneint – um die Methoden klassischer Sprecherziehung hat er sich recht wenig geschert. Aber eines sei wohl wichtig: „Als Musiker hat man ein Gespür für den Rhythmus des Sagens. Und als Schauspieler eben auch ein Gespür für die Situation.“
J. Wagner