REGION. Viele Arztpraxen in Sachsen – nicht anders als im Landkreis Leipzig – arbeiten an der Belastungsgrenze und nehmen deshalb kaum noch Patienten an. Das geht aus einer wissenschaftlichen Untersuchung der Hochschule Zittau/Görlitz im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) hervor.
Die Autorin der wissenschaftlichen Untersuchung, Elisa Nerlich, kontaktierte im vergangenen Sommer verdeckt 200 Fachärzte im gesamten Freistaat und stellte dabei fest, dass jede fünfte Praxis keine Termine an neue Patienten vergibt. Wer Glück hat und aufgenommen wird, müsse in der Regel weit im Kalender vorblättern. Acht Wochen beträgt laut der Autorin die durchschnittliche Wartezeit. Am schwierigsten gestalte sich die Terminvereinbarungen dabei bei Neurologen und Hautärzten. 40 Prozent der Neurologen und 24 Prozent der Hautärzte hätten sie am Telefon abgewiesen. Und bei jenen Fachärzten mit freien Terminen hätten diese viele Wochen in der Zukunft gelegen. Bei Neurologen durchschnittlich 13 Wochen, bei Hautärzten zwölf. Kaum besser sei die Situation bei den Augenärzten. Wer bei diesen vorspricht, könne durchschnittlich nach elf Wochen auf Behandlung hoffen. Auf Basis der von der Autorin vorgenommenen Stichproben schaffe dies allerdings lediglich jeder zweite Neupatient. Knapp 400 Augenexperten gibt es unter den insgesamt 17 700 Ärzten im Freistaat, somit betreut statistisch jeder Augenarzt 10 000 potenzielle Patienten. Die meisten Praxen sind laut der Kassenärztlichen Vereinigung im Umkreis von Dresden (78) und Leipzig (66) registriert.
Während etwa für die 5000 Einwohner der im Landkreis Meißen gelegenen Gemeinde Nünchritz kein Augenarzt innerhalb der Kommunalgrenzen zur Verfügung steht, können die rund 29.000 Grimmaer im Stadtgebiet und den Ortsteilen aus deren fünf auswählen. Eine Nachfrage bei der in der Grimmaer Innenstadt praktizierenden Augenärztin Uta Kuhnert ergab, dass Neupatienten noch aufgenommen werden, sich aber mit einem Termin bis zum Sommer gedulden müssten. Ähnlich ist die Situation bei ihrer Bornaer Kollegin Andrea Möller, die Neupatienten ebenfalls bis zum Juli vertrösten muss.
Für die TK Sachsen liegt das Grundproblem der langen Facharzt-Wartezeiten darin, dass es junge Ärzte vorzugsweise in die Städte ziehen würde, zudem verknappten falsche Vergütungsanreize die Kapazitäten von Ärzten und belaste Bürokratie die Praxen zusätzlich. Deren Arbeitsbelastung ist laut der sächsischen Landesärztekammer sehr hoch. Die in der TK-Untersuchung in den Blick genommene Gruppe der niedergelassenen Fachärzte bilde diesbezüglich keine Ausnahme. „Die Gründe dafür sind vielfältig“, so Vizepräsident Uwe Köhler. Zum einen spiegele die Situation den Anstieg der Teilzeitarbeit und das Absinken der Jahresarbeitszeit als Folge des Arbeitszeitgesetzes wider. „Zudem ist die Zahl der niedergelassenen Ärzte mit eigener Praxis rückläufig, da junge Ärzte lieber in Anstellung arbeiten, darüber hinaus wächst der Behandlungsbedarf aufgrund der demografischen Entwicklung“, so Köhler. Hinzu komme, dass die Vergütung der Ärzte budgetiert sei. „Dies bedeutet, dass der Arzt ab einer bestimmten Anzahl an Patienten nicht mehr Geld bekommt, sondern gezwungen wäre, jeden weiteren Patienten umsonst zu behandeln“, verdeutlicht der Landesärztekammer-Vizepräsident und schränkt zugleich den Aussagewert der TK-Studie ein. „Die Landesärztekammer hält die attestierten hohen Hürden, einen Facharzttermin zu bekommen, für nicht ganz realistisch. Denn die zugrundeliegenden Testanrufe hatten immer nur Diagnosen zum Inhalt, die nicht akut waren und nicht sofort behandelt werden mussten. Mit einer dringlichen Überweisung des Hausarztes sähe die Wartezeit auf einen Facharzttermin, gleich in welcher Facharztgruppe, sicher ganz anders aus“, stellt Uwe Köhler klar. „Und mit Blick auf die europäischen Nachbarländer muss man auch sagen, dass die Wartezeiten in Deutschland noch vergleichsweise sehr kurz ausfallen.“ Tipp: Laut der Kassenärztlichen Vereinigung können Patienten mit Überweisung jederzeit die Terminservicestelle unter Telefon 0341-23493733 nutzen, die Facharzttermine innerhalb der nächsten vier Wochen vermitteln. Roger Dietze