Probe des TDJW zur Geschichte der Leipziger Meuten am Lindenauer Markt Foto: Hannes Kleischmidt

Wann wird Unangepasstheit zu Opposition, wann Opposition zu Widerstand? Im Nationalsozialismus formierten sich viele Gruppen, die sich nicht mit der staatlich verordneten Jugendkultur identifizierten. Sie wurden „Meuten“ in Leipzig, „Mobs“ in Dresden, „Fahrtenstenze“ in Essen und „Edelweißpiraten“ am Rhein und an der Ruhr genannt. Kleidungsstil, Musik und Freizeitaktivitäten schweißten sie zusammen. Durch ihr unangepasstes Auftreten und teils widerständiges Handeln gerieten sie ins Fadenkreuz von Gestapo und NS-Justiz.

Neuer Gedenkort „Meuten Memorial“

Kurz vor dem 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges weihte die Stadt Leipzig mit dem Theater der Jungen Welt (TDJW) am 24. April den neuen Gedenkort „Meuten Memorial“ ein. Das Leipziger Jugendparlament hatte den Gedenkort initiiert. Bereits im Jahr 2022 beschloss der Stadtrat deshalb, einen Gedenkort zu erschaffen. Das erinnerungskulturelle Projekt ist auch eine Auseinandersetzung mit gegenwärtigen politischen Ereignissen.

Am Lindenauer Markt wurde am 24. April der neue Gedenkort „Meuten Memorial“ eingeweiht. Foto: TdJW
Am Lindenauer Markt wurde am 24. April der neue Gedenkort „Meuten Memorial“ eingeweiht.
Foto: TdJW

„Eine lebendige Erinnerungskultur bedeutet, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verknüpfen. Mit dem ’Meuten MemoriaI’ erinnern wir an den Mut junger Menschen, die sich gegen das NS-Regime stellten. Ich bin dankbar, dass junge Leipziger Initiativen Ideen für diesen neuen Gedenkort auf dem Lindenauer Markt entwickelten. Denn nur im Dialog mit jungen Generationen können wir die Erinnerung in die Zukunft tragen. In einer Zeit, da unsere Demokratien massiv unter Druck geraten, da Antisemitismus und Rassismus salonfähig werden, hören wir nicht auf, die Realität des NS-Regimes zu zeigen und die Fragilität unserer Demokratien sichtbar zu machen. Das ist unsere Verantwortung“, sagt Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke.

„Sounds of resistance“ dreht sich um jugendlichen Widerstand

Um einen Entwurf für den maßgeblich vom Referat Strategische Kulturpolitik der Stadt Leipzig finanzierten Gedenkort zu erarbeiten, wandte sich die Stadt Leipzig an das Theater der Jungen Welt (TDJW). Das Team um Intendantin Winnie Karnofka initiierte dafür zusammen mit der Jungen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg das vierteilige Projekt „Sounds of resistance“, das sich übergeordnet mit dem Thema des jugendlichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus beschäftigt und dessen zentraler Ausgangspunkt das „Meuten Memorial“ ist. Der Einstieg in das Projekt war die Einweihung des Gedenkortes am 24. April.

Gemeinsam mit den Designern Marvin Schwark und Ezra Dilger vom Kollektiv Plus X, einem Zusammenschluss von Leipziger Gestalterinnen und Gestaltern, entstand der Entwurf für das „Meuten Memorial“, das interaktive Elemente beinhaltet. Dabei war das TDJW sowohl mit dem Dezernat Kultur als auch mit dem Jugendparlament sowie dem Stadtbezirksbeirat Leipzig Alt-West im Austausch.

Premiere der begehbaren Konzertinstallation

Ein Jahr lang arbeitete eine Gruppe junger Menschen am Theater der Jungen Welt (TDJW) Leipzig zur Geschichte der Leipziger Meuten sowie zu Jugendkultur und Widerstand – damals und heute. Zum partizipativen TDJW-Ensemble „Wilde Bühne“ gehört auch Patricia Mogk: „Als Leipzigerin hatte ich noch nie vorher von den Jugendlichen der Leipziger Meuten gehört. Das macht es für mich so spannend. Sie wehrten sich gegen ein System ohne krass widerständig zu sein, also ohne politische Anschläge zu verüben. Stattdessen zeigten sie beispielsweise mit ihrer Kleidung, dass sie mit dem System nicht einverstanden sind.“

Zusammen mit anderen Jugendlichen performt Patricia Mogk unter Leitung von Regisseur und Musiker Schorsch Kamerun sowie mit Ensemblemitgliedern des TDJW noch bis zum 29. April in zehn Vorstellungen auf dem Lindenauer Markt. Der Eintritt ist kostenfrei, eine Anmeldung ist jedoch notwendig (kartenanfragen@tdjw.de oder 0341.486 60 16). Die Konzertinstallation ist für alle ab 13 Jahren.

Begehbare Konzertinstallation

Für die „Wilde Bühne“-Produktion wählt Schorsch Kamerun die Form der begehbaren Konzertinstallation im öffentlichen Raum. Dabei bewegt sich das Publikum ausgerüstet mit Funkkopfhörern frei über den Lindenauer Markt. Um es herum entfaltet sich eine Collage aus Szenen, Interventionen, Texten und Musik: Schorsch Kamerun und PC Nackt schreiben für die Performance Songs, die sich auch aus der Arbeit mit den Jugendlichen, ihren Haltungen und Ideen entwickeln.

Gemeinsam mit einer dreiköpfigen Band vertonen sie die Aufführungen. Dabei ist Kamerun als Künstlerischer Leiter des Projekts biografisch selbst stark durch die Selbstbehauptung jugendlicher Subkultur im öffentlichen Raum geprägt: „Mein Grundthema, das mich ständig umtreibt, ist pauschal ausgedrückt die Auseinandersetzung mit Autoritäten und die finden wir selbstverständlich in diesem Thema. In den Anfängen jugendlichen Widerstands auch in der NS-Zeit geht es ja auch erstmal darum, sich zu verhalten, zu dem was man vorfindet an autoritärem, normiertem System und wie man damit umgeht.“

Ein digitales Archiv wird die Ergebnisse des Projekts „Sounds of resistance“ sammeln und kann in Zukunft durch neue Projekte zum Thema auch durch Schulklassen und andere Gruppen erweitert werden.

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