Parkeisenbahn-Chef Jürgen Braun mit der kleinen roten Elektro-Lok, die seit 30 Jahren im Dienst ist. Foto: André Kempner
Parkeisenbahn-Chef Jürgen Braun mit der kleinen roten Elektro-Lok, die seit 30 Jahren im Dienst ist. Foto: André Kempner.

Jürgen Braun steht neben der kastenförmigen roten E-Lok und lächelt. „Hier ist die Bremse, das ist der Notfallknopf, hier die Hupe.” Der 38-Jährige kann die Funktionsweise des Gefährts genau erklären. ­Immerhin ist er seit 28 Jahren bei der Leipziger Parkeisenbahn im Einsatz, mittlerweile Geschäftsführer des Vereins, der die Minibahn am Auensee betreibt.

Die Eisenbahn bestimmt fast sein ganzes Leben. Er ist hauptberuflich Lokführer, bewegt schwere Güter­züge von A nach B – und in seiner Freizeit auch die kleine Parkeisenbahn, die ihre Runden im Leipziger Norden dreht.

Im Winter ist der Fahrbetrieb eingestellt. Erst seit Anfang ­April rollen die Dampf- und die E-Lok wieder um den See – und lassen die Herzen von Kindern und Eisenbahnfans gleichermaßen höherschlagen. In der kalten Jahreszeit werden Teile der Gleise erneuert und die neuen Parkeisenbahner geschult. „Das ist ein bisschen wie in der Schule”, erklärt Jürgen Braun. „Die Kinder kommen am Wochenende hierher und werden mit Arbeitsblättern und anderem Unterrichtsmaterial auf ihren Einsatz vorbereitet.”

Eine Eisenbahn von Kindern für Kinder

Das Besondere: „Es ist eine Eisenbahn von Kindern für Kinder.” Den Fahrbetrieb stemmt vor allem der Nachwuchs. Die jungen Eisenbahner können hier alle möglichen Aufgaben übernehmen: Sie kurbeln Schranken herunter, verkaufen Fahrkarten und regeln die Abfahrten mit der typischen Eisenbahnerkelle. „Die Kinder lernen von uns den Bahnbetrieb von oben bis unten”, sagt der Vereinschef.

Ein Vereinsmitglied ist stets als Ansprechpartner und Aufsicht vor Ort. Und auch die Loks fahren dürfen nur Erwachsene mit einer entsprechenden Ausbildung. Mitmachen können Kinder ab der 4. Klasse. 39 kleine Eisenbahner werden in dieser Saison in den Betrieb eingebunden.

Abdampfen mit der Parkeisenbahn am Auensee in Leipzig: Hier haben die Kinder das Kommando. Foto: André Kempner
Abdampfen mit der Parkeisenbahn am Auensee in Leipzig: Hier haben die Kinder das Kommando. Foto: André Kempner

Wer als 18-Jähriger weitermachen will, wechselt vom Parkeisenbahner zum Betriebseisenbahner: Dann kann man Bahnhofsleiter oder Lokführer werden. Genau das war auch Jürgen Brauns Weg. Er fängt im Dezember 1997 bei der Parkeisenbahn an, da ist er zwölf Jahre alt. Ein Freund schwärmt damals von den kleinen Zügen. „Ich dachte, das ist cool.” Schon als Kind ist Braun technisch sehr interessiert. Ihn fasziniert alles, „was brummt oder eine große ­Maschine hat”.

Jürgen Braun bleibt der Parkeisenbahn treu

Doch der Start verläuft holprig: Sein erster Dienst bei der Parkeisenbahn überfordert den Jungen. Alles ist neu, er kennt die Abläufe in dem Gewusel nicht, traut sich nicht, jemanden anzusprechen. Nach zwei, drei Tagen läuft es besser. Jürgen Braun bleibt der Parkeisenbahn treu: Er übernimmt neben der Schule Dienste im Bahnhof, macht weiter, bis er das Abitur in der Tasche hat.

Nach der Schule lässt er sich bei der Deutschen Bahn zum Lokführer für den Güterverkehr ausbilden. Sein Credo: „Mit der Eisenbahn kennst du dich aus, dann machst du damit weiter.” 18 Jahre lang arbeitet er nun schon in dem Beruf, fährt „die ganz schweren Züge” durch die Republik. Nebenher engagiert er sich weiter bei der Parkeisenbahn, profitiert dort von seinem beruflichen Wissen. „Die Lok und die Bremsanlage funktionieren genauso wie bei einem großen Zug”, sagt er. Auch die Regelungen seien zu 75 Prozent dieselben. Ob große oder kleine Lok: „Die Signale sehen genauso aus.”

Fahrten mit der Güterlok sind häufig nachts

Zu seinem Arbeitsort nach Halle fährt der Lokführer mit dem Auto. „Wer beruflich Eisenbahn fährt, fährt privat nicht damit.” Häufig beginnt seine Schicht nachmittags und dauert zwischen sechs und 14 Stunden. Die Nachtarbeit mache ihm generell nichts aus, obwohl ihn vier Nachtschichten hintereinander mittlerweile schon anstrengen, gibt er zu. Der Vorteil der nächtlichen Fahrten: „Es ist mehr Platz auf der Schiene.”

Ob groß oder klein: Von der Technik unterscheiden sich die Loks nur wenig, sat Lokführer Jürgen Braun. Foto: André Kempner.
Ob groß oder klein: Von der Technik unterscheiden sich die Loks nur wenig, sat Lokführer Jürgen Braun. Foto: André Kempner.

In 50 Prozent aller Fälle löst er einen Zug ab, bei dem das Personal wechselt. Er läuft dann durch die Gleisanlage zu seiner Lok, übernimmt ein paar technische Handgriffe und verbindet die Lok mit den Waggons. Meistens macht ein Kollege vom Rangierdienst noch eine Bremsprobe. „Das Bremsen ist die Kunst bei der Eisenbahn”, sagt Braun. Denn der Lokführer befördert wahre Kolosse über die Schiene, die entsprechend schwerfällig sind.

Ein Güterzug mit einer maximalen Länge von 700 Metern darf ein Gewicht von bis zu 4000 Tonnen haben – Wagen und Ladung eingerechnet. Während ein ICE eine hohe Bremsleistung habe, betont Braun: „Ein Güterzug ist träge.” Bei einem Gewicht von durchschnittlich 1500 Tonnen pro Zug braucht er etwa zehn Kilometer, ehe er eine Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde erreicht.

Ein Kilometer Bremsweg

Gleiches gilt für das Bremsen: Ein Kilometer Bremsweg sei die Regel. Die Bremsanlage funktioniert über Druckluft. Es kann dadurch drei bis fünf Sekunden dauern, bis der Zug langsamer wird. „Die Kunst liegt darin, abzuschätzen, ob die Bremsung bis zum Bahnhof reicht”, sagt Braun. Als Lokführer müsse man immer zehn Sekunden im Voraus denken. Das sei aber eine Gewöhnungssache, findet er.

Braun befördert seine Züge von Halle aus bis nach Potsdam, Dresden, Frankfurt am Main, Würzburg oder Hannover. ­­Was viele nicht wissen: „Wir fahren einen ähnlichen Linienverkehr wie der Fernverkehr”, erklärt er. Der Vorteil: „Wir müssen uns nicht ganz so streng an den Fahrplan halten.” Eine Stunde Verspätung sei für einen Güterzug kein allzu großes Drama. Verärgert seien dann höchstens die Lieferanten, die auf ihre Waren warten. Dass sein Zug Verspätung hat, hängt auch damit zusammen, dass der Güterverkehr sich hinter den Personenzügen anstellen muss. Diese haben stets Vorrang.

Dieselben Problemen wie der Personenverkehr

„Aber wir kämpfen mit denselben Problemen wie der Personenverkehr – Personalknappheit und ein überaltertes Schienennetz.” Was er genau transportiert, weiß der Lokführer übrigens nicht. „Alles außer Lebewesen”, sagt Jürgen Braun. Das sei aus tierschutzrechtlichen Gründen verboten. Ansonsten sind die Waggons beladen mit Futtermitteln, Mehl, Getreide, Zuckerrüben, Rotwein, Chemikalien, Autos, Lkws, Baumaschinen, aber auch mal mit Militärgut wie Panzern.

„Das ist wie die Schachtel Pralinen bei Forrest Gump: Man weiß nicht, was drin ist.”

„Das ist wie die Schachtel Pralinen bei Forrest Gump: Man weiß nicht, was drin ist.” Braun bekommt nur die Infos, die für ihn relevant sind – etwa wenn er Gefahrgut transportiert, wenn die Höhe der Wagen für bestimmte Brücken problematisch ist oder wenn der Güterzug vom Militär begleitet wird. Auch das kommt manchmal vor.

Schon 20 Beinahe-Unfälle auf der Schiene

In seinen 18 Jahren im Dienst hatte der Lokführer noch keinen Personenunfall. „Aber nach dem 20. Beinahe-Vorfall habe ich aufgehört zu zählen.” Braun erlebt es immer wieder, dass Menschen kurz vor dem Zug über den Bahnübergang laufen. „Man darf sich darüber keine Gedanken machen”, sagt er und versucht, seinen Beruf mit Gelassenheit anzugehen. „Ein Gerüstbauer muss auch damit rechnen, dass er mal vom Gerüst fällt.” Statistisch gesehen tötet jeder Lokführer in seinem Berufsleben 1,6 Menschen.

Der Gefahr, dass sich jemand einfach vor seinen Zug wirft, sei er sich bewusst, aber eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nun einmal nicht. Denn klar ist: Rechtzeitig bremsen kann er in der Regel nicht. So hat Braun mit seinen schweren Zügen schon öfter aufs Gleis gefallene Bäume überrollt und auch Wildtiere überfährt er manchmal, wenn sie auf den Schienen stehen.

Trotz allem: Jürgen Braun ist jemand, der seinem Job mit Leidenschaft nachgeht. „Zu 95 Prozent bin ich gern auf Arbeit.” Neben seiner Vorliebe für Züge gibt es noch ein weiteres Interessenfeld in seinem Leben: alte Autos. In seiner Garage steht seit fünf Jahren ein Trabant, Baujahr 1988, an dem er herumschraubt und mit dem er am Wochenende übers Land knattert – „einfach zum Entspannen”. Gina Apitz

Weitere Infos unter: www.parkeisenbahn-auensee-leipzig.de

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here