Beliebt und gefürchtet zugleich: Leipzigs „Gartensheriff“ Michael Baumann mit seiner Messlatte. Foto: André Kempner
Beliebt und gefürchtet zugleich: Leipzigs „Gartensheriff“ Michael Baumann mit seiner Messlatte. Foto: André Kempner

Michael Baumann läuft flotten Fußes durch die Leipziger Kleingartenanlage „Gartenfreunde Südost” – und schimpft. „Das war mal ein Garten wie gemalt, sauber und ordentlich”, sagt er und deutet auf eine Parzelle. „Der neue Gärtner lässt ihn verschlumpern.” Was den Vorstandsvorsitzenden aufregt: „Hier sind keine Beete angelegt, überall nur Müll und Schlumpereien.”

Einen Garten weiter pflanzt die Pächterin Tannen an – „strengstens verboten” – in der Parzelle daneben stehen die Koniferen viel zu hoch, in einem anderen ist der Zaun locker. Und dann entdeckt Baumann noch ein „Musterbeispiel von Scheißgarten“. Der Gartenchef wird laut: „Der ist dieses Jahr fällig, da gehe ich bis vor Gericht.”

Messlatte hat Kultstatus erlangt

Es wundert nicht, dass Baumann von sich sagt: „Ich bin einer der strengsten Gartenchefs in Deutschland.” Er läuft gern mit seiner selbst gebauten Messlatte durch die Anlage, um die Höhe der Hecken zu prüfen. 1,20 Meter sind erlaubt. „Das ist wie beim Friseur: Alles, was drüber guckt, muss weg.” Die Mess­latte hat inzwischen eine Art Kultstatus erreicht, wie der ­61-Jährige mit dem runden Bauch selbst.

Diverse Fernsehsender berichteten schon über ihn, die Bildzeitung legte ihm den Satz in den Mund: „Ich bin der Kleingartensheriff von Leipzig.” Das habe er nie gesagt, betont Baumann. Nach dem Beitrag habe es Tumulte im Verein gegeben. Heute lacht er über die Bezeichnung. Gartensheriff – das sei doch sympathisch.

Seit zwölf Jahren ist er Vorsitzender der „Gartenfreunde Südost“, beaufsichtigt 453 Gärten von 700 Mitgliedern. Baumann sagt, er achte nur auf drei Grundregeln: Die Höhe der Hecke muss stimmen, ein Drittel der Fläche muss mit Gemüse und Obst bebaut werden und er schaue auf die Sauberkeit im und vor dem Garten. „Wer diese drei Regeln einhält, der kann mit mir ein Pferd mausen gehen.” Da drücke er auch mal ein Auge zu, wenn die Laube größer ist als erlaubt.

Schönste Gartenanlage in Leipzig

2021 wurde seine Anlage als schönste in Leipzig ausgezeichnet, da habe man eben einen gewissen Anspruch. Gärten, in denen es „aussieht wie Sau”, da kennt er keine Gnade. Michael Baumann ist in seinem Verein längst nicht überall beliebt. Wer seinen Garten verwildern lässt, wird abgemahnt und einbestellt zur Sprechstunde. „Da waren wir im Vorstand in den letzten Jahren etwas nachlässig”, sagt Baumann.

Cooler geht es kaum: Der Kleingartensheriff düst zu für ihn geschriebener Rap-Musik durch die Anlage. Foto: Screenshot Instagram

Cooler geht es kaum: Der Kleingartensheriff düst zu für ihn geschriebener Rap-Musik durch die Anlage.
Foto: Screenshot Instagram

Aber: „Die Zügel werden dieses Jahr extrem angezogen.” Zwei Abmahnungen, dann wird gekündigt, so der Sheriff. 10 bis 15 Gärten stehen auf der Liste. „Du hast hier immer ein paar Arschlöcher.” Michael Baumann ist niemand, der ein Blatt vor den Mund nimmt. Er ist er da eher direkt.

Hohe Nachfrage nach freien Gärten

Immerhin gebe es eine hohe Nachfrage nach freien Gärten im Verein. Zwei Jahre beträgt derzeit die Wartezeit. Wer eine ­Parzelle sucht, der schaut am besten persönlich im Büro von Baumann vorbei. In der Saison ist er meistens den ganzen Tag hier. Es gibt immer was zu tun. Auch wenn der Gartenchef manchen Kleingärtnern ein Dorn im Auge ist, es gibt viele, die sein Engagement schätzen. Baumann ist auch einer, der anpackt.

Als er vor zwölf Jahren den Vorsitz übernahm, krempelte er vieles um. „Verwaltungstechnisch war es hier wie im Mittel­alter”, erzählt er. Er kaufte einen großen Schrank, legte neue Akten an – und räumte auf. Er besorgte Fördergelder, baute einen Spielplatz, veranstaltete das erste Sommerfest. 350 000 Euro an Fördermitteln bekam er über die Jahre insgesamt von der Stadt Leipzig. „Das ist schon ’ne Leistung”, findet Baumann. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm schließlich nicht. „Ich hab den Laden übernommen und hier Schwung reingebracht.”

Gartenvorsitz ist ein Vollzeitjob

Seit Baumann am Ruder ist, hat sich tatsächlich viel getan. Das Vereinshaus wurde komplett saniert, eine Bücherhütte gebaut, der Spielplatz um ein Karussell erweitert. Die Kleingärtner feiern gemeinsam ein Kinderfest, das berühmte Sommerfest mit großer Tombola und Halloween. Zur Seniorenweihnachtsfeier kommen jedes Jahr 120 Mitglieder. Baumann hofft, dass es nicht mehr werden. Das sprenge sonst die Kapazität des Saals. „Dass ich so agil bin, hat mich beliebt gemacht im Verein.”

Für sein Ehrenamt bekommt er eine Aufwandsentschädigung von 180 Euro monatlich. Dabei sei die Tätigkeit in so einer großen Anlage genau genommen ein Vollzeitjob, findet der Gartenchef. Da er im Moment arbeitslos ist, kann er sich voll mit den Angelegenheiten des Vereins beschäftigen. Doch ab und an wird auch ihm das Ganze zu viel, gibt er zu. „Ich sitze manchmal da und heule.”

Einbrüche oder Vandalismus sind schmerzhaft

Was ihn schmerzt, sind Einbrüche oder Vandalismus. Kürzlich ist in der Anlage eine Laube komplett niedergebrannt. Zwei Jugendliche zerstörten nur wenige Woche zuvor Zäune und richteten einen Schaden von etwa 6000 Euro an. Sie traten die Zäune nieder und zerschnitten am großen Weihnachtsbaum vor dem Vereinshaus die Lichterketten.

Schweinerei: Am großen Weihnachtsbaum hinter dem Vereinshauswurden die Lichterketten zerschnitten. Schnipp! Foto: Screenshot Instagram
Schweinerei: Am großen Weihnachtsbaum hinter dem Vereinshaus wurden die Lichterketten zerschnitten. Schnipp!
Foto: Screenshot Instagram

Mit Hilfe eines aufblasbaren Weihnachtsmanns, den der Gartenchef als Falle drapierte, konnte er die 12- und 13-jährigen Täter auf frischer Tat ertappen. Die Kinder wollen den Schaden nun wieder gut machen. Sie haben sogar ein Schild aufgehängt, auf dem sie sich entschuldigen.

Die Story mit den jugendlichen Vandalen kann man sich inzwischen auch auf TikTok und Instagram anschauen. Seit einer Weile ist der Kleingartensheriff unter diesem Namen in den sozialen Medien aktiv. Das Team einer Fernsehproduktionsfirma unterstützt ihn beim Drehen der Clips, die dadurch professionell daherkommen und stets mit dem von Baumann erfundenen „Schnipp” enden.

„Die Leute wollen Krach und Krawall sehen. Da muss ich das Team ein bissel bremsen.”

Anfangs, sagt der 61-Jährige, wusste er nicht genau, worauf er sich einlässt. Aber die Filmerei habe ihm sofort Spaß gemacht. Besonders gut laufen Clips, in denen Baumann sich über Schlampereien in der Gartenanlage aufregt. „Die Leute wollen Krach und Krawall sehen”, weiß der Gartenchef. „Da muss ich das Team ein bissel bremsen.”

Von zwei Berliner Rappern bekam Baumann neulich einen Kleingartensong zugeschickt, den der Sheriff dann frei interpretiert hat, indem er als „MC Schnipp“ mit Käppi, Sonnenbrille und rotem Trainingsanzug durch die Anlage rappte. Den Clip sahen auf Instagram 2600 Leute. 18 000 Menschen folgen ihm auf der Plattform, etwa 20 000 tun das auf TikTok, 6000 auf Facebook und 1500 auf Youtube. Im vergangenen Monat wurden seine Videos auf allen Kanälen sieben Millionen Mal aufgerufen. Der Gartensheriff ist auf dem Weg zum Internet-Star.

Fokus der Videos liegt auf dem Gartenchef

Thomas Niemann, Mitarbeiter der Produktionsfirma, sagt, man wolle „den Leuten online einen Mehrwert bieten”. Es gehe darum, Wissen über den Verein und Hintergründe zu vermitteln, aber auf eine spaßige Art und Weise. So stapft der Garten­sheriff auch mal als „Graf ­Heckula” durch die Anlage und vermisst die Höhe der Pflanzen. Derzeit liegt der Fokus auf dem Gartenchef selbst, der gerade beim Abspecken begleitet wird.

Das Team filmt ihn beim Ausräumen des eigenen Kühlschranks und beim Training im Fitness-studio. Im Frühjahr sollen dann wieder verstärkt Gartenthemen in den Fokus rücken. Auf sein Abnehmprogramm bekommt Baumann sehr viele positive Reaktionen. Bei anderen Clips schlagen ihm dagegen teils aggressive Töne entgegen. „In TikTok ist mehr Hetzerei, bei Instagram ist es etwas seriöser”, hat Baumann festgestellt. Im Netz wird der Gartenchef auch mal als Blockwart oder Stasi-Spitzel beschimpft.

Hasskommentare im Netz moderieren

Die Moderation der Kommentare übernimmt für ihn die Produktionsfirma. Vier Leute arbeiten im Hintergrund und wollen aus dem Spaßprojekt nach und nach etwas Professionelles machen. Die Clips mit Baumann sind für die Firma auch ein Experiment, wie sich ihre Arbeit zukünftig gestaltet. „Wir müssen zusehen, dass wir uns transformieren”, sagt Mitarbeiter Thomas Niemann. „Wir müssen damit irgendwann auch Geld verdienen”, ergänzt Firmenchef Peter Wiese.

Das sei allerdings ein langer Prozess. Kooperationen mit Werbefirmen könnten die ­Videos des Gartensheriffs künftig lukrativ machen. Davon profitiere der Gartenverein, sagt Thomas Niemann. Kürzlich veröffentlichten sie ein Video über einen verwilderten Garten, der übernommen werden konnte. 25 Interessenten meldeten sich, ein Paar mit Kindern bekam die Parzelle – und die Anlage ist um einen Schmuddelgarten ärmer.

Ein Punkt, den Michael Baumann von seiner Liste streichen kann. In wenigen Monaten beginnt die neue Gartensaison und der Gartensheriff hat dann wieder alle Hände voll zu tun. In seinem Büro stapeln sich bereits die Preise für die Tombola zum Sommerfest. Die Bestellungen für Rindenmulch, den die Gärtner im Frühjahr auf ihren Beeten verteilen, laufen gerade ein. Und sein eigener Garten? Michael Baumann grinst. Mit dem habe er am wenigsten Arbeit, gibt er zu. „Um den kümmert sich meine Frau.” Gina Apitz

www.kleingartensheriff.de

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