Der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer Im Güntz-Park in Leipzig Stötteritz. Im Hintergrund der Günz Turm, ein Überrest der Irren-, Heil- und Pflegeanstalt, die der Psychiater Günz im 19. Jahrhundert an diesem Ort betrieb. Im ersten Kapitel seines neuesten Buches spielt der Irrenarzt Güntz eine wichtige Rolle. Foto: Wolfgang Sens
Der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer Im Güntz-Park in Leipzig Stötteritz. Im Hintergrund der Günz Turm, ein Überrest der Irren-, Heil- und Pflegeanstalt, die der Psychiater Günz im 19. Jahrhundert an diesem Ort betrieb. Im ersten Kapitel seines neuesten Buches spielt der Irrenarzt Güntz eine wichtige Rolle. Foto: Wolfgang Sens

Das Werk ist gewaltig – nicht nur an Seiten (derer sind es rund 1040!), sondern auch an Inhalten: Mit „Die Projektoren“ hat Schriftsteller Clemens Meyer ein neues Buch vorgelegt, das für Aufsehen sorgt. Für Gesprächsstoff und inzwischen auch für jede Menge (preisgekrönten) Zuspruch: Der Leipziger stand damit auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2024, den Bayerischen Buchpreis gab’s dafür und obendrein erhält er den sächsischen Lessing-Preis 2025 für das Gesamtwerk. Ebenso wichtig sind die (Publikum-)Reaktionen, die er bei seinen Lesungen einsammelt …

„Für mich ist er ein literarischer Tausendsassa, der Schriftsteller Clemens Meyer. Ich verehre ihn und bin glücklich, im Leipziger Haus des Buches die Neuerscheinung seines Buches ’Die Projektoren’ und die Lesung mit erlebt und von ihm ein Autogramm ins Buch erhalten zu haben“, sagte Liane Schumann, die Botanikerin. Sie ist extra für diesen Termin aus Dresden gekommen. Und mit ihr waren es an die 300 Zuhörerinnen und Zuhörer, die dem Leipziger geradezu am Mund hingen und mit eintauchten in die fantasievoll ineinander verwobenen Geschichten des 20. Jahrhunderts.

Verwobene Geschichten

Denn genau diese verwobenen Geschichten erzählt „Die Projektoren“ schier im Überfluss: Von Karl May bis Gojko Mitic, von Krieg und Gewalt, aber auch von gewaltigen Utopien und großen Hoffnungen. Die Idee zu dem Buch sei ihm gekommen während einer Busfahrt mit dem Goethe-Institut durch Kroatien, erzählt Clemens Meyer von einer wichtigen Erkenntnis: „Da musst du noch mal hin.“ Gesagt – getan. Und so fuhr er mehrmals mit seinem alten Opel – Baujahr 1995! – auf den Balkan, besuchte die Film-Drehorte der beliebten „Winnetou“-Filme, die ja alle auch in der Nähe von jenen Orten lagen, an denen die Jugoslawienkriege tobten.

Das neue Buch von Clemens Meyer heißt "Die Projektoren". Repro: Verlag
Das neue Buch von Clemens Meyer heißt „Die Projektoren“. Repro: Verlag

Er recherchierte, schloss Bekanntschaften, hörte zu und sammelt – und auf einmal reihte sich schließlich Zeile an Zeile. An die acht Jahre habe er gebraucht, erzählt Clemens Meyer, bis zu jenem Tag, an dem „Die Projektoren“ auf dem Tisch lag – zunächst als Manuskript, dann als gedrucktes Buch; herausgegeben auch wieder vom renommierten Fischer Verlag. „Das war, das ist für mich wie Ostern und Weihnachten an einem Tag“, konstatiert er und erzählt von jenem Moment, in dem all die verlorenen Nerven, die er beim Schreiben gelassen hatte, all die schlaflosen Nächte sich nun in Freude verwandelten

Literarische Rückblende in die Wendezeiten

Ein Gefühl, dass er kennt. Dieses „Ostern und Weihnachten auf einen Tag“ erlebte er zum ersten Mal im Jahr 2006 mit seinem Erstlingswerk „Als wir träumten“. Mit einem Roman, der die Geschichte von Rico, Mark, Paul und Daniel erzählte. Jungen Menschen (die eigentlich noch beinahe Kinder waren), die in den wilden, wirren, anarchischen Wendezeiten im Leipziger Osten aufwachsen. Zwischen Autoklau, Alkohol und Angst, zwischen Wut und Zerstörung. Sie ziehen durch die Straßen, feiern, klauen, fahren ihr Leben gegen die Wand. Eine Geschichte, die durch Mark und Bein geht.

„Ich liebe Leipzig, den Osten. Stünz, wo ich wohne und arbeite.“

„Als ich hörte, dass der Fischer Verlag an meinem Roman interessiert sei, als ich schließlich dann das erste Exemplar schwarz auf weiß gedruckt in der Hand hielt, als die Wahnsinnskritiken erschienen – da war mir’s wie auf Wolke sieben.“ Da öffnete sich eine neue Welt: Der junge Clemens Meyer hatte sich bis dahin seine Brötchen als Bauhelfer, Möbelträger und Wachmann verdient. Mit dem ersten Honorar bestellte er sich kurzerhand eine Taxe, die ihn ins beste Hotel Berlins brachte – um dann da ein paar Tage „Lord Kacke“ zu spielen.

„Als wir träumten“wurde zum Bestseller

Konnte er aber auch, denn sein Buch wurde zum Bestseller und „Als wir träumten“ erlebte ein paar Jahre später in Leipzig sogar seine Filmpremiere. Inzwischen sind viele weitere Filmpremieren dazu gekommen – beispielsweise jene von „In den Gängen“ zu den 68. Filmfestspielen in Berlin. In ihr wird eine zarte Liebesgeschichte erzählt zwischen einem schweigsamen Gabelstaplerfahrer in einem Großmarkt und einer verheirateten Kollegin.

Dabei hat das Medium Film den Schriftsteller nicht mehr losgelassen: Quasi „nebenher“ schrieb und schreibt Clemens Drehbücher für Kinofilme und Krimis für „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Dabei hat er manchmal sogar auch eine kleine Rolle.

Und die Geschichten kommen an – die verfilmten Drehbücher erreichen im Fernsehen immer hohe Zuschauerzahlen: So etwa „An der Saale hellem Strande“ oder „Der Dicke liebt“, der im April dieses Jahres gesendet wurde; entstanden auf Basis einer Kurzgeschichte aus dem Band „Die Nacht, die Lichter“. Aktuelle Info: Vier weitere Krimi-Folgen, die im Erzgebirge handeln, sind auch schon im Kasten, wie man so schön sagt. Ach ja: Und fürs Theater schreibt der Leipziger auch noch.

Lesen als Leidenschaft

Woher nimmt der Meyer nur diese Inspirationen? Er lacht und hat sofort eine Antwort parat: „Aus dem Alltag. Ich gehe mit offenen Augen durchs Leben und wie`s so ist, kommt mir blitzartig immer wieder eine Idee.“ Dazu kommt: Gelesen hat er schon immer viel. Als Kind Märchen und Abenteuergeschichten, später klassische Erzählungen und Romane, auch jene vom Leipziger Schriftsteller Werner Heiduczek.

Erinnerten gemeinsam an Werner Heiduczek: Traudel Thalheim und Clemens Meyer. Foto: Dr. Katja Münchow

Erinnerten gemeinsam an Werner Heiduczek: Traudel Thalheim und Clemens Meyer.
Foto: Dr. Katja Münchow

„Er ist mein bester Freund gewesen“, blickt Clemens Meyer heute zurück. Seine lebensbestimmende Art, seine Ehrlichkeit, sein Mut zur Wahrheit haben ihn immer beeindruckt – auch heute noch. Oft haben sich die Beiden getroffen und gerade, viel hat Clemens Meyer dabei von ihm gelernt: „Wir haben über Gott und die Welt gesprochen, über den Glanz und das Elend des Schreibens … Er fehlt mir sehr.“

Nun, es ist eine Vermutung, aber wahrscheinlich hätte Werner Heiduczek zum neuen, über 1040 Seiten starken Buch „Die Projektoren“ von Herzen gratuliert – wohl auch mit dem Spruch: „Junge, mach weiter so.“ Na ja, mit Lob wird ja derzeit nicht gespart: „Der Tagesspiegel“ bescheinigt dem Clemens große Erzählkunst und „Die „Zeit“ schreibt, dass ihm zweifellos ein literarisch hochgebildeter Roman gelungen sei. Der „Spiegel“ spricht von dem rührendsten und grausamsten Roman der Saison, die „Sächsische Zeitung“ meint, so müsse Literatur sein: verstörend, überwältigend, hinreißend.

Nach dem Schreiben kommt das Touren

Nach dem Schreiben kommt das Touren: Zahlreiche Lesungen mit seinen „Projektoren“ hat Clemens Meyer in den vergangenen Monaten schon hinter sich gebracht. Sie führten ihn von Frankfurt am Main über München, Graz, Wien, Salzburg bis hin nach Berlin. Und von Basel bis Hamburg. Selbst über den deutschsprachigen Raum hinaus reicht das Interesse: So geht`s unter anderem nach Den Haag, nach London und selbst bis nach New York.

Ein Termin, auf den sich der Schriftsteller besonders freut – hat er doch in NYC schon öfter seine Zelte aufgeschlagen. „Ich habe Freunde in dieser ’irren’ Stadt. Und jedes Mal fasziniert mich New York. Aber da länger zu leben, das wäre nicht mein Ding. Ich liebe Leipzig, den Osten. Stünz, wo ich wohne und arbeite. Mit all den netten Menschen, den schönen Ausflugslokalen, in die ich ab und an auch mal einkehre.“

Gut, da ist die Leidenschaft des Schreibens. Aber da ist auch seine Liebe zu Pferden im Allgemeinen und zu Pferderennen im Besonderen: „Mein Opa hat mich schon als Knirps mit auf die Pferderennbahn genommen. Dabei wird’s immer bleiben, ob ich nun selbst ein Pferd habe oder nicht“, sinniert Clemens Meyer. Und irgendwie auch darüber, dass er solch ein Mammut-Werk wie „Die Projektoren“ wohl nicht noch einmal schreiben werde. Traudel Thalheim

Clemens Meyer ist nach wie vor auf Lesereisen unterwegs. Die Termine gibt es hier.

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