Eigentlich ist es ihr etwas unangenehm. „Ich möchte nicht so sehr im Mittelpunkt stehen“, sagt sie etwas verhalten, in sich gekehrt. Doch die Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom Tanzkurs im Komm-Haus in Leipzig-Grünau lassen sich nicht beirren, nehmen sie in ihre Mitte und gratulieren Hannelore Gröbel in diesem Tag zum Geburtstag.
Und weshalb müsse denn da noch über sie geschrieben werden, fragt sie bescheiden? Auf die Gegenfrage, wer denn in dieser Runde auch noch 94 Jahre alt geworden sei, schmunzelt sie verlegen in sich hinein und sagt: „Na ja, niemand.“ Hannelore Gröbel ist seit 24 Jahren aktive Tänzerin in diesem Kreis.
Nina Werner-Pivovarova (73) leitet ihn und ist beeindruckt: „Es ist überwältigend, wie Hannelore hier bei der Sache ist“, schwärmt die gebürtige Kiewerin, die sei über zwei Jahrzehnten in Leipzig lebt. Auch für sie ist die agile Seniorin eine Ausnahme: „Sie ist voll bei der Sache und für so manch Jüngere ein wahres Vorbild. Mit viel Willenskraft und Disziplin meistert sie jede Woche die anderthalb Stunden Tanz mit Musik.“ Es sei eine wahre Freude sie in der Runde immer wieder begrüßen zu können, sagt die diplomierte Choreografin.
Eine Blumen-Überraschung zum Ehrentag
Das sehen ihre Tanzfreundinnen und -freunde offensichtlich genauso. Hatten sie ja schließlich zu ihrem Ehrentag eine Blumenüberraschung vorbereitet. Und Hannelore Gröbel genießt das wöchentliche Beisammensein. „In der Gemeinschaft zu sein, ist ein herrliches Gefühl“, sagt die gebürtige Leipzigerin, die einst in Leutzsch und Plagwitz wohnte und jetzt in Grünau ihr zu Hause hat. „Es macht mir großen Spaß. So habe ich meine Abwechslung und jede Woche auch ein Ziel vor den Augen“, meint sie.
Tanzen hat sich bei ihr offensichtlich zu einer Art Lebenselixier entwickelt. „Es aktiviert den Kopf“, sagt sie und ergänzt: „Immerhin muss man sich die Schrittfolgen einprägen.“ Und nicht nur das: „Zugleich werden die Gelenke in Takt gehalten, die Beweglichkeit stimuliert und trainiert. Bei den rhythmischen Aktionen werden faktisch alle Glieder in Anspruch genommen“, betont Hannelore und unterstreicht dies mit einem verschmitzten Lächeln auf ihrem Gesicht. Nicht zuletzt verspürt sie die Musik dabei als ein angenehmes Erlebnis. „Das ist mehr eine Art herrlicher Nebeneffekt“, fügt sie rasch hinzu.
Vom Seniorenheim bis ins Komm-Haus getanzt
Seit 1998 ist sie tänzerisch unterwegs. Erst im Senioren-Heim in Grünau, wo ihre Mutter lebte, dann in der Paulus-Kirche. Und schließlich im Komm-Haus. Zwischenzeitlich ist sie sogar in zwei Tanzkursen zugange gewesen – „19 Jahre lang zweimal wöchentlich“. Das Treffen im Komm-Haus hat ihr aber einen besonderen Schub verschafft. „Ich hatte 2021 einen doppelten Beckenbruch. Danach war es ein regelrechter Kampf, wieder in Bewegung zu kommen.“
Mit Nina Werner-Pivovarova hat sie nunmehr eine fantastische Unterstützung erfahren: Es sei gleich wie eine Art Reha-Training und Therapie-Tanz gewesen. „Sie macht das wirklich richtig gut“, lobt Hannelore und meint dennoch gleich selbstkritisch: „Allerdings fehlt mir seit der Verletzung ein bisschen die frühere Schnelligkeit. Na ja, auch das Alter macht sich eben bemerkbar.“
Ans Aufhören hat sie niemals gedacht
Ans Aufhören habe sie aber nie gedacht. „Auf keinen Fall“, sagt sie recht vehement. Das Tanzen sei für sie eine Willensfrage. „Und diese beantwortet sie mit einem erstaunlichen Durchhaltevermögen und einer enormen Durchhaltekraft“, weiß Petra Gläser (69) zu berichten, die Hannelore Gröbel auf dem Weg zum Kurs seit fünf Jahren begleitet. „Sie reißt mich schon irgendwie mit, und das in ihrem Alter“, freut sich die Betreuerin.
Von einem inneren Schweinehund, der sie vom rhythmischen Bewegen abhält, mag die leidenschaftliche 94-jährige Tänzerin nichts wissen. „Den gibt es nicht – zumindest nicht, was das Tanzen betrifft“, fügt Petra hinzu. Da sei Hannelore Gröbel eisern. Nicht zuletzt, weil die Lehrerin ihre Sache bravourös meistere, „und mich das Tanzen glücklich macht“, strahlt sie. Und dass sie jeden Tag spazieren geht, „um meine Glieder fit zu halten“, verstehe sich von selbst. „Man muss schon etwas für seine Gesundheit tun.“ Und mit dem Tanzen noch ein Sahnehäubchen drauf setzen.
Körperliche Fitness tut immer gut
Solche Glücksgefühle zu vermitteln – das ist auch das Bestreben von Nina Werner-Pivovarova. „Ganz gleich, wie alt man ist, körperliche Fitness tut immer gut“, ist die Mutter dreier Kinder überzeugt. Es mache ihr Freude, anderen zu helfen, sich wohler zu fühlen und das noch dazu bei schönen musikalischen Klängen. Für sie steht außer Zweifel: „Gruppen-Tanz macht gesund.“
Während sie das sagt, lächelt sie wie zur Bestätigung. „Die Konzentration auf die Melodien und den Tanz ist ein erholsames Training und zugleich gesund für Knie, Hüfte, Arme und Beine und nicht zuletzt den Rücken.“ Medizinische Tänze – so nennt sie das, was sie seit über zehn Jahren in vier verschiedenen Kursen in und um Leipzig anbietet. So neben dem Leipziger Bürgerverein Messemagistrale im Komm-Haus, oder im sachsen-anhaltischen Kötzschau oder in Lützen.
Eine Tänzerin mit einer großen Fangemeinde
Ihre Fangemeinde ist also gewaltig. Und Hannelore Gröbel ist die älteste unter ihnen, „aber mit bewundernswerter Energie. Daran sollte sich so mancher ein Beispiel nehmen“, sagt die Choreografin. Nicht zuletzt an deren Konsequenz: „Mit dem Tanzkurs werde ich nie aufhören, so lange es geht“, pflichtet die 94-Jährige bei.
Übrigens: Neue Mitstreiter beim Tanzkurs im Grünauer Komm-Haus sind gern gesehen. Er findet dienstags von 14 bis 15.30 Uhr statt. Ulrich Langer