Katharina Saunders koordiniert bei den Maltesern in Leipzig den Besuchs- und Begleitdienst. Foto: André Kempner
Katharina Saunders koordiniert bei den Maltesern in Leipzig den Besuchs- und Begleitdienst. Foto: André Kempner

Der Ehepartner ist gestorben, die Kinder und Enkel wohnen weit weg, die sozialen Kontakte sind überschaubar – viele ältere Menschen in Leipzig leben allein und fühlen sich einsam. Katharina Saunders will das ändern. Sie leitet seit knapp drei Jahren den so genannten Besuchs- und Begleitdienst der Malteser. Genau genommen ist sie eine Art Kupplerin. Die 34-Jährige bringt Ehrenamtliche mit älteren Menschen in der Stadt zusammen. Die Freiwilligen opfern ihre Zeit, um den Seniorinnen und Senioren zuzuhören, mit ihnen einen Kaffee zu trinken oder mit ihnen spazieren zu gehen.

Der Dienst läuft gut. In ihrem Büro in der Meusdorfer Straße in Connewitz schauen immer wieder neue Ehrenamtler vorbei. Aus den 18 Freiwilligen, die sie anfangs betreute, sind inzwischen 45 geworden. „Das sind alles Menschen, die sagen: Ich möchte mich freiwillig engagieren und in meiner Freizeit etwas Sinnstiftendes tun”, sagt Saunders. Das Erstauliche Ist: Aktuell gibt es mehr Ehrenamtler als Seniorinnen und Senioren.

45 Freiwillige für 32 ältere Menschen

Den 45 Freiwilligen stehen derzeit nur 32 ältere Menschen gegenüber, die besucht werden wollen. „Ich könnte noch zehn aufnehmen”, betont Saunders. „Da sind Menschen, die helfen wollen.” Sie glaube nicht, dass der Bedarf an diesen Treffen nicht besteht. Der Besuchsdienst sei vermutlich nicht bekannt genug. Oder die Hürden, bei ihr anzurufen, seien mitunter zu hoch, vermutet Saunders.

Gute Gespräche im eigenen zu Hause, ein Spaziergang ins Grüne, ein Besuch im Stadtcafé - unser Besuchs- und Begleitungsdienst steht allen Seniorinnen und Senioren offen, die Lust auf Geselligkeit und Austausch haben. Foto: Lena Kirchner
Gute Gespräche im eigenen zu Hause, ein Spaziergang ins Grüne, ein Besuch im Stadtcafé – unser Besuchs- und Begleitungsdienst steht allen Seniorinnen und Senioren offen, die Lust auf Geselligkeit und Austausch haben. Foto: Lena Kirchner

Ihr oberstes Ziel lautet: „Ich will der Einsamkeit alter Menschen entgegenwirken.” Einsamkeit belaste den Körper – physisch und mental. Die Koordinatorin ist gut vernetzt mit Seniorenbüros und -treffs in Leipzig. „So finden die Omis und Opis den Weg zu meinem Dienst.” Die alten Menschen rufen in der Regel bei Katharina Saunders an. Sie besucht sie dann zu Hause, erklärt den Dienst und vermittelt einen Ehrenamtler.

Häufig melden sich ältere Frauen

Am häufigsten melden sich bei ihr ältere Frauen über 80, meist verwitwet, die noch in der eigenen Wohnung leben. Warum vor allem Frauen den Weg zu ihr finden, dazu hat Katharina Saunders eine eigene Theorie. „Das Thema Einsamkeit ist schambehaftet”, sagt sie. Der Generation, die angesprochen wird, falle es oft schwer, Schwäche zu zeigen, insbesondere Männern. „Frauen springen eher über ihren Schatten und fragen nach Hilfe, weil der Leidensdruck höher ist”, glaubt Saunders. „Ich habe das Gefühl, die Männer leiden eher im Stillen.” Eine Ausnahme bildet die Mediensprechstunde, die die Malteser ebenfalls anbieten und bei der Ehrenamtler Senioren und Seniorinnen bei technischen Problemen am PC oder am Handy helfen. Dort tauchen auch häufiger Männer auf.

„Ich versuche, deren Lebenswelt und Alltag zu erfahren und ein Gefühl für deren Persönlichkeit zu bekommen.”

Die Ehrenamtler – „ein bunter Blumenstrauß an Menschen” – schaut sich Saunders vorab genau an. Von BWL-Studierenden über Berufstätige mit Familie bis zu Rentnern melden sich bei ihr Menschen in allen Lebenslagen. Wer sich im Begleitdienst engagieren will, wird zu einem Gespräch eingeladen. Wichtig sei vor allem, dass der Betreffende es ernst meint mit dem Engagement. Auch auf Seiten der Freiwilligen dominieren die Frauen. Es gebe keinen Kriterienkatalog, nach dem ausgewählt wird, wer am Ende ein „Paar” wird. „Man muss beide Persönlichkeiten kennenlernen”, sagt die Koordinatorin. „Ich versuche, deren Lebenswelt und Alltag zu erfahren und ein Gefühl für deren Persönlichkeit zu bekommen.” Sie glaube außerdem, dass sie über eine gute Menschenkenntnis verfüge und einschätzen könne, ob ein Paar harmoniert.

Räumliche Nähe ist wichtiges Kriterium

Eine wichtige Rolle spielt auch die räumliche Nähe. Wenn Senior und Freiwilliger nah beieinander wohnen, lassen sich die Besuche besser in den Alltag integrieren. Bisher haben sich alle Paare verstanden, die sie vermittelt hat. Beide treffen sich ein- bis zweimal wöchentlich für etwa zwei Stunden. Oft gibt es dann Kaffee und Kuchen. „Im besten Fall schaffen es die beiden auch mal aus der Wohnung raus und gehen spazieren”, sagt Saunders.

Das Problem ist: Seit der Corona-Pandemie haben viele ältere Menschen die eigene Wohnung kaum noch verlassen. „In der Corona-Zeit sind sie immer zu Hause geblieben. Das wurde dann zur Gewohnheit.” Doch wer selten raus geht, der baut körperlich schneller ab – und hat irgendwann sogar Angst davor. Hier will der Besuchsdienst gegensteuern.

Saunders besucht die Seniorinnen und Senioren

Katharina Saunders besucht die Seniorinnen und Senioren auch deshalb vorab zu Hause, um zu schauen, ob sie vielleicht anderweitig Hilfe brauchen, ob etwa ein Hausnotrufknopf sinnvoll ist. In ihrer Arbeit hat sie teils „krasse Altersdepressionen” erlebt. Solche Menschen übermittelt sie dann an einen Psychologen. Es gab schon Situationen, in denen ein Ehrenamtlicher überfordert war, weil es der besuchten Seniorin psychisch sehr schlecht ging. „Ich muss gucken, ob ich der ehrenamtlichen Person das zumuten kann”, so die Koordinatorin.

„Meine Aufgabe besteht auch darin, immer nach meinen Schäfchen zu schauen und zu gucken, ob es gut läuft oder nicht.” I

Die Freiwilligen sollen keinen Therapeuten oder Sozialarbeiter ersetzen. Bevor es losgeht, durchlaufen die Ehrenamtler deshalb einige Schulungen, lernen etwa Erste Hilfe und was mit einem respektvollen Umgang gemeint ist. Katharina Saunders ist als Ansprechpartnerin die ganze Zeit verfügbar. „Meine Aufgabe besteht auch darin, immer nach meinen Schäfchen zu schauen und zu gucken, ob es gut läuft oder nicht.” Ihr ist es wichtig, dass die Freiwilligem eigene Grenzen festlegen – und sich bei ihr melden, falls ihnen das Ehrenamt über den Kopf wächst. Eine Aufwandsentschädigung bekommen sie für ihr Engagement nicht. Nur das Bahnticket oder Sprit für den Besuch wird von den Maltesern bezahlt. Als Dankeschön lädt Saunders alle Freiwilligen dafür einmal pro Jahr zu einem „Helfer-Ausflug” ein, dieses Mal geht es ins Leipziger Panometer.

Dankbarkeit von Seiten der Senioren

Und dann ist da noch die Dankbarkeit vonseiten der Seniorinnen und Senioren. Die ist in der Regel nämlich riesig. „Für die ältere Dame oder den Herrn ist es unglaublich zu erfahren, dass es jüngere Menschen gibt, die ihnen unentgeltlich ihre Zeit schenken”, sagt Katharina Saunders. Regelmäßig bekommt auch sie Anrufe, in denen die älteren Menschen ihr für die Vermittlung danken, gehäuft geschieht das zur Weihnachtszeit. Manche Seniorinnen oder Senioren wollen den Ehrenamtlern sogar Geld geben. Das dürfen sie eigentlich nicht, betont Saunders. „Aber sie können sie natürlich zum Essen einladen.”

Man merkt schnell, dass die Koordinatorin ihre Aufgabe mit viel Herzblut angeht. „Ich bin schon froh, dass ich bei den Malteser gelandet bin”, sagt sie. Es war keineswegs klar, dass Saunders sich mal genau an dieser Position wiederfinden würde. Rückblick: Geboren wird sie 1989 im polnischen Gliwice in Schlesien. Ihre Mutter ist Polin, der Vater ein kubanischer Gaststudent. Nach dem Mauerfall beschließen ihre Eltern 1991 nach Deutschland auszuwandern, mit Saunders Oma.

Fuß fassen die vier in Duisburg-Hochfeld – dort, wo sich eine polnische Community aus der Heimatstadt angesiedelt hat. „Für meine Eltern war das eine schwere Zeit”, sagt Saunders. „Sie hatten mehrere Job gleichzeitig, um unsere Familie zu ernähren.” Zu Hause wird anfangs Polnisch gesprochen. „Meinem Vater war das Thema Integration aber sehr wichtig”, sagt die 33-Jährige rückblickend. Und so unterhalten sich die Familienmitglieder fortan hauptsächlich auf Deutsch.

Master in Wirtschaftsgeografie

Als sie zehn Jahre alt ist, zieht die Familie nach Düsseldorf. Mit 20 macht Katharina Saunders Abitur. Sie zieht ins hessische Marburg zum Informatikstudium, merkt aber schnell, dass das nicht das richtige ist – und wechselt 2011 zu Humangeografie. Raumplanung und Stadtgeografie sind Bereiche, die sie interessieren.

2015 beginnt sie einen Master in Wirtschaftsgeografie und zieht ein Jahr später in ihre neue Wahlheimat – nach Leipzig. Saunders lernt die Stadt vorab durch Exkursionen zum Thema „Transformation“ kennen. Leipzig ist ein Paradebeispiel für städtebauliche Veränderung, Saunders gefällt es hier so gut, dass sie bleiben will. Während ihres Studiums hat sie verschiedene Nebenjobs, erstellt auch eine Zeit lang Verkehrsprognosen für eine Firma.

„Ich wollte einer Arbeit nachgehen, bei der ich Menschen, denen es nicht gut geht, unterstützen kann.”

2019 beendet sie ihre Masterarbeit, Anfang 2020 erreicht die Corona-Pandemie Sachsen – pünktlich zum Start ins Berufsleben. Bewerbungsrunden werden ausgesetzt, der Arbeitsmarkt verfällt in einen Dornröschenschlaf. 18 Monate lang ist Saunders nach dem Studium arbeitslos. „Das war richtig doof. Das hatte ich mir anders vorgestellt”, sagt sie heute. Sie fällt in eine Identitätskrise, reflektiert ihr Leben und merkt, dass sie lieber in einem sozialen Bereich arbeiten will. Datenanalysen, Texte verfassen, ein Bürojob – all das macht sie unglücklich. „Ich wollte einer Arbeit nachgehen, bei der ich Menschen, denen es nicht gut geht, unterstützen kann.”

Alltagsbegleiterin für einen Senioren

Sie sucht sich noch in der Pandemie ein Ehrenamt und wird eine Zeit lang Alltagsbegleiterin für einen Senioren. Statt Besuchen läuft vieles telefonisch, doch die Tätigkeit gefällt Saunders. Dann sattelt sie ein Praktikum beim Quartiersmanagement Leipziger Osten drauf, drei Monate Stadtteilarbeit, rein digital. Seit 2021 gehört sie zu den Maltesern, ist Teil der „Malti-World”, wie sie es nennt.

Saunders ist eine Frühaufsteherin. Sie liegt spätestens 21 Uhr im Bett, dafür trifft man sie acht Uhr morgens bereits im Büro an. Als Connewitzerin hat sie einen kurzen Arbeitsweg. Nach Feierabend geht Saunders meistens direkt vom Büro aus in den Park eine Runde spazieren oder fährt Fahrrad. „Das befreit meinen Kopf.” Seit März studiert die Koordinatorin berufsbegleitend soziale Arbeit an der Hochschule in Mittweida. Die nächsten vier Jahre muss sie Job und Studium unter einen Hut bringen – doch sie freut sich auf den neuen theoretischen Input.

Im Job konzentriert sie sich darauf, weiterhin gute Paare zu finden. Maximal 50 Ehrenamtler könne sie betreuen, sagt sie. Auf Seite der Seniorinnen und Senioren sei jedoch noch Luft nach oben. Neue Gesichter, die sich besuchen lassen möchten, sind gern gesehen. Gina Apitz

Der Kontakt zu Katharina Saunders, Koordinatorin Besuchs- und Begleitdienst der Malteser in Leipzig, ist möglich über die Tel: 01516 785 33 39, Mail: Katharina.Saunders@malteser.org

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