Simon Ernst ist der Käpitän des SC DHfK Leipzig, Foto: Christian Modla
Simon Ernst ist der Käpitän des SC DHfK Leipzig, Foto: Christian Modla

Sie sind schon eine echte Erscheinung, die Rückraumspieler im Handball. Mit seinen 1,97 Metern überragt auch ein Simon Ernst alle Umstehenden auf seinem Weg hinein ins Café Dankbar. Denn die Aufgabe auf seiner Position beim SC DHfK Leipzig lautet: höher Springen als der (ebenfalls großgewachsene) Gegner, Tore werfen oder verhindern.

Für Simon Ernst war der Herbst unabhängig von seiner Rolle und dem doppelten Espresso, der alsbald vor ihm steht, eine schwierige Zeit. Als Profisportler in der Handball-Bundesliga ist er im Normalfall zum Spielen (und Siegen) verdammt, ein Rädchen in einer fein geölten Maschinerie, die Mannschaft heißt. Doch im November pendelte er zwischen Reha, Athletik- und Krafttraining und der Arena Leipzig hin und her, seiner damaligen Verletzung geschuldet: eine Schambeinentzündung plus Anriss des Adduktorenmuskels.

„Eigentlich ist alles in Ordnung“, versichert der 29-Jährige. „Das schockt mich mit meiner Verletzungshistorie mit drei Kreuzbandrissen nicht so richtig. Gleichzeitig nervt es natürlich tierisch.“ Weil er bis zu seinem Ausfall lange fit war, dreieinhalb Jahre kein Spiel mehr verpasst hat: „Dann tut es einfach weh, an der Seite zu sitzen.“ Besonders in schwächeren Phasen.

Handballist Nummer eins im Leben

Für Normalsterbliche lässt sich eine solche Situation kaum vorstellen. Handball ist für Menschen wie Simon Ernst die meiste Zeit die Nummer eins im Leben, das Team so etwas wie eine Zweitfamilie. Fast jeden Tag verbringen die Sportler miteinander – Training, Kabine, am Wochenende Spiele, Turniere, Meisterschaften. Dazu das unbeschreibliche Gefühl „auf der Platte“ zu stehen. Tausende Menschen, die einen anfeuern, bejubeln, ihre Emotionen mit einem teilen, man selbst im Adrenalinrausch, im direkten Wettbewerb mit dem Gegenüber. Und am Ende ein Übermaß an Gefühlen. Egal, ob Sieg oder Niederlage.

Leipzigs Lukas Binder, Melsungens Rogerio Moraes Ferreira, Leipzigs Simon Ernst (l-r) beim Achtelfinale des SC DHfK Leipzig gegen den MT Melsungen im Dezember 2023. Foto: Christian Modla
Leipzigs Lukas Binder, Melsungens Rogerio Moraes Ferreira, Leipzigs Simon Ernst (l-r) beim Achtelfinale des SC DHfK Leipzig gegen den MT Melsungen im Dezember 2023. Foto: Christian Modla

Bei Verletzungen oder in der Reha sind Sportler jedoch oft allein unterwegs. Kämpfen sich mühsam wieder zurück in den Sport, bei Kreuzbandrissen monatelang. Diese Phasen psychisch zu überstehen, dürfte meist die größte Herausforderung sein. Im Fall Simon Ernst kam das Ende jedoch bald: Anfang Dezember gelang der Wiedereinstieg, mit langsamer Leistungssteigerung.

Dreifach gerissenes Kreuzband

Um einen zentralen Teil seines Körpers muss sich Simon Ernst jedoch keine Sorgen mehr machen: sein innerhalb von zweieinhalb Jahren dreifach gerissenes Kreuzband im rechten Knie. Denn nach zweimaliger operativer Rekonstruktion fehlte die Überzeugung, diesen Weg ein drittes Mal zu gehen. „Ich habe dann peu à peu das Training wieder gesteigert, und habe gemerkt: Okay, du kannst wieder laufen, kannst wieder springen, Richtungswechsel gehen“, beschreibt der im nordrhein-westfälischen Düren geborene Spieler den Prozess. Nun spielt er einfach ohne Kreuzband.

Profisport ohne ­Kreuzband: Extra-Schichten schieben

Wie soll das gehen? Am Belastungslimit als Profisportler? „Ich bin damit bisher ganz gut gefahren“, entgegnet er. Natürlich müssten die Strukturen im Knie – Muskeln, Bänder, Sehnen – mehr abfangen und stabilisieren. Dafür hat der Mannschaftskapitän eine eigene, lange Warm-Up-Routine entwickelt. Linienläufe in verschiedensten Ausführungen, zahlreiche Dehnübungen und kraftvolle Bewegungen mit mehr oder weniger elastischen Bändern spult der 29-Jährige diszipliniert ab. Erst rund 20 Minuten später startet die eigentliche Erwärmung mit seinen Teamkollegen. „Bei meiner Verletzungsgeschichte führt da kein Weg herum“, sagt Ernst, der an seinem rechten Bein stets eine lange, weiße Bandage trägt.

„Die Stärkung der Beinmuskulatur ist für mich ein großes Thema. Ich kenne inzwischen alle Baustellen, an denen ich arbeiten muss.“

Neben den typischen Kraft- und Athletikübungen, absolviert er zusätzlich ein eigenes Programm. „Die Stärkung der Beinmuskulatur ist für mich ein großes Thema. Ich kenne inzwischen alle Baustellen, an denen ich arbeiten muss. Eine große ist die Oberschenkel-Rückseite. Die kurze Erklärung ist: Bei einer der OPs wurde da eine Sehne herausgenommen, weshalb ich nun besonders darauf achte.“ Der Mehraufwand lohnt sich: Durch ein zielgerichtetes Training hat der Abwehrspezialist, statt seine Karriere beenden zu müssen, sogar zurück in die deutsche Nationalmannschaft gefunden.

Kein Teil des Kaders bei Heim-Europameisterschaft

Für die derzeitige Heim-Europameisterschaft in Deutschland aktuell stattfindet, reichte es aber nicht mehr. „Natürlich ist es schade, dass ich es nicht in den finalen Kader geschafft habe“, sagt er.“ Gleichzeitig freue ich mich für meine Leipziger Teamkollegen und für die deutsche Mannschaft, wenn sie erfolgreich sind.“ Hauptrunde erreicht, überzeugende Auftritte, Niederlage gegen Frankreich – irgendwelche Verbesserungsvorschläge? „Mit Ratschlägen aus der Ferne halte ich mich lieber zurück.“

Einfach ist sein Weg bis Nach Leipzig und ins Nationalteam nicht gewesen: Bei den Füchsen Berlin, seiner letzten Station vor Leipzig, erlebte der U18-Europameister von 2012 und Herren-Europameister von 2016 eine sportlich schwierige Phase nach seiner Genesung. Bei starker Konkurrenz kam er über Kurzeinsätze meist nicht hinaus, dann wurde sein Vertrag nicht verlängert. Im Sommer 2021 heuerte ihn der SC DHfK an. „Klar, manche würden das als Schritt zurück bezeichnen. Aber ich bin hier super happy!“ Zusammen mit Lucas Binder führt er nun die Mannschaft das zweite Jahr in Folge als Kapitän an, sein Arbeitsvertrag wurde erst im Herbst bis 2026 verlängert. Läuft also.

Liebe zu Leipzig: „Bin ein Großstadtmensch“

Was ihm neben seiner sportlichen Situation gut gefällt, ist Leipzig an sich. „Ich bin ein Großstadtmensch“, betont Ernst. „Ich mag es, wenn etwas los ist. Vielleicht bin ich da durch meine Jahre in Berlin auch versaut.“ Er gehe einfach gerne raus, Essen, auf Konzerte, was Kulturelles, schaue sich anderen Sport an. „Das ist hier alles möglich. Und ich kann nur mit dem Fahrrad unterwegs sein, es sind kurze Wege.“ Trotzdem biete Leipzig viele verschiedene Stadtteile mit jeweils eigenem Charakter, verschiedene „Kieze“. Am liebsten verbringt er seine Zeit auf der Karl-Heine-Straße, geht im Rosental spazieren oder genießt die Atmosphäre auf der Sachsenbrücke. „Und ich gehe gerne im Mala essen, in Reudnitz“, regionale, saisonale, vegetarische Küche – genau sein Ding.

Dieses Jahr wird Simon Ernst dann 30 Jahre alt. Das bedeutet im Handball noch lange kein Karriereende. Aber man macht sich so seine Gedanken. „Auf meiner Position gibt es rechnerisch 36 Arbeitsplätze in dieser Liga“, sagt er. Aus dem Nachwuchs und ganz Europa drängen Talente und Topspieler in den Rückraum nach. Die Konkurrenz ist groß. „Ich bin einfach sehr glücklich und dankbar, dass ich bisher schon zehn Jahre in der Bundesliga spielen durfte, bis Vertragsende dann zwölf. Das ist eine ganz schöne Strecke!“ Und spricht für Disziplin und Qualität eines Simon Ernst, dieses Leistungslevel stets aufrechterhalten zu können.

Natürlich denke er jetzt noch nicht ans Aufhören. Dafür gehe es ihm zu gut, sind die Leistungen zu konstant. Aber naiv wolle er auch nicht sein. Neben dem Sport absolvierte Ernst bereits einen Bachelor im Internationalen Management per Fern-Uni, im Oktober legte er seinen Master in Digitalem Management nach. „Das hat sich ein bisschen gezogen“, gibt er zu. Klar, unter den Umständen eines Profisportlers. Man müsse sich immer wieder selbst motivieren, nach dem Training noch durchzuziehen. „Wenigstens ein paar Stunden.“ Aber über Disziplin verfügt einer wie Simon Ernst.

Thomas Bothe

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