Die Sonne glitzert auf dem Leipziger Auensee, ein paar Spaziergänger sind unterwegs an diesem sommerlichen Vormittag. Vereinzelt picknicken Familien auf den Wiesen. Sören Vogelsang sitzt auf seiner Lieblingsbank mit „dem besten Blick auf den See” – und entspannt. Am Auensee und im benachbarten Auwald geht der 38-Jährige gern spazieren. Das macht den Kopf frei für neue Ideen, die in frische Songtexte und Melodien münden. Vogelsang ist Liedermacher. Sein drittes Album ist gerade erschienen. Es heißt „Optimismus Prime” und ist das, wonach es klingt: sommerlich-leichte Kost für die Ohren, Texte mit einem Augenzwinkern, die meisten machen gute Laune.
„Ich war blockiert“
Dass Vogelsang so positiv auf das Leben blickt und das in seinen Liedern ausdrückt, hat mit einer Reise zu tun. Während der Coronazeit schrieb der Liedermacher keinen einzigen neuen Song, erzählt er. „Ich war komplett blockiert.” Doch dann besuchte er 2021 einen Musikerkollegen in La Palma auf den Kanaren. „Das war so eine schöne und entspannte Zeit”, berichtet er. Auf der Insel fiel die Schwere von ihm ab, sechs neue Lieder entstanden. „Und die waren alle grundoptimistisch.”
Es ist das erste Album, das nach sechs Jahren Pause auf den Markt kommt. Es folgt dem klassischen Singer-Songwriter-Stil mit Gitarre, aber diesmal sind noch mehr Instrumente zu hören. Dadurch wirkt das Ganze etwas poppiger als seine bisherigen beiden Alben. Das Lied „Danke” zollt seinen treuen Fans Tribut, „Nerd” zählt zu den witzigen Songs des Albums. Ein weiterer Titel handelt davon, das eigene Handy mal wegzupacken – ein bisschen moralischer Zeigefinger ist auch dabei.
Liebeslied Schaukeln
Seine beiden persönlichen Lieblingslieder sind zum einen „Schaukeln”, ein Liebeslied, zu dem er auch ein Video produziert hat. Seine Lieblingszeile darin lautet: „Waren all die Jahre für die Katz, denn im Tiefgefühlfach meines Lebens ist nicht mehr viel Platz.” Auf diese Wortneuschöpfung ist er ein bisschen stolz.
Den Song „Fleck” hat er zusammen mit einem Freund geschrieben. Es geht darum, „dass wir nicht perfekt sind, das unterscheidet uns von der KI”. Inspiration für seine Texte bietet vieles – eine skurrile Situation, ein besonderer Satz oder ein Gedanke im Kopf. In einem kleinen Notizbuch sammelt er seine Ideen. „Manchmal wird daraus ein Lied.” Der Musiker summt auch Melodien, die ihm durch den Kopf gehen, vor sich hin und nimmt diese dann mit dem Handy auf. Meistens entsteht zuerst der Text, danach die Musik, sagt er.
„Die Fans sind viel näher am Entstehungsprozess“
Die Produktion seiner drei Alben hat der Sänger teils via Crowdfunding realisiert. Bei der Produktion des ersten Albums ging ihm das Geld aus, so kam er auf die Idee, das Ganze über Spenden im Netz zu finanzieren. „Dadurch sind die Fans viel näher dran am Entstehungsprozess”, sagt er.
Ihre Namen stehen im Booklet, sie können Teil des Chors werden, wenn sie das möchten. Die Kosten für das neue Album lagen bei etwa 55 000 Euro. 24 000 Euro kamen durch die Crowd zusammen, einen Teil steuerte die Initiative Musik bei, den Rest der Musiker selbst. Dieser Mix funktioniert nur, weil Vogelsang schon eine gewisse Fanbase hat – vor allem im Netz. Und er tut einiges dafür.
„Ich kann mein Einkommen durch meine Fans generieren.”
„Wenn man heutzutage nur Musiker sein will, hat man verloren”, sagt der Liedermacher. Instagram, Facebook, Spotify und Co. – auf all diesen Kanälen ist Vogelsang präsent und vermarktet sich selbst. „Sonst findet man nicht statt.” Der Sänger ist im Netz sehr aktiv, er stellt Videos auf Youtube, streamt auf der Plattform Twitch jeden Dienstag live ein Konzert. Wer sich ein Lied wünscht, muss ein bisschen Geld in einen virtuellen Topf werfen. Er ist außerdem auf der Plattform Patreon angemeldet. Dort zahlen die Fans den Künstlerinnen und Künstlern in einer Art Abo einen bestimmten monatlichen Betrag. Er sagt: „Ich kann mein Einkommen durch meine Fans generieren.”
Fluch und Segen der Streamingdienste
Obwohl Vogelsang das Internet für seine Zwecke nutzt, steht er diversen Streamingdiensten kritisch gegenüber. Sie seien Fluch und Segen zugleich, findet der Sänger. Auf der einen Seite erreiche er über Spotify und Co. viele neue Leute, auf der anderen Seite verkaufen weniger bekannte Musiker wie er dadurch weniger CDs.
Das virtuell Gegenstück zu nur einer verkauften CD wäre es, wenn jemand auf Spotify sein Album etwa 500 Mal komplett durchhört. Doch wer macht das schon? 140 000 Klicks haben die Songs des neuen Albums bisher eingebracht. Vogelsang ist damit sehr zufrieden.
Dass er mal hauptberuflich Musiker werden würde, zeichnete sich in seiner Kindheit noch nicht ab. Vogelsang wächst im Bonner Stadtteil Bad Godesberg und später in der Kleinstadt Bad Breisig am Rhein auf. „Ich komme aus einer komplett unmusikalischen Familie”, erinnert er sich. Als Kind zeigt sich früh sein Interesse am Theater. „Ich war der Klassenclown und der Lustige in der Familie.” Als seine Schule einen neuen Namen bekommt, ist er es, der auf der Bühne ein Gedicht dazu vorträgt. Lampenfieber kennt er nicht.
Beim Karneval mitgemischt
Als Jugendlicher mischt er beim Karneval mit, hält Büttenreden und gewinnt in kurzer Zeit mehrere Contests. „Ich hatte schnell ziemlichen Erfolg damit.” Pro Auftritt kassiert er 250 Mark. „Ich hab mir als 13-Jähriger eine goldene Nase verdient”, erzählt er und grinst. Als Jugendlicher taucht Vogelsang parallel in die Welt der Mittelaltermärkte ein. Er kämpft mit Gummischwertern bei Live-Rollenspielen. Als er einen Barden sieht, der mittelalterliche Lieder spielt, ist klar: „Das will ich auch.”
„Ich komme aus einer komplett unmusikalischen Familie.”
Seine Mutter hat noch eine alte Gitarre „aus Hippiezeiten” auf dem Dachboden, die komplett verstaubt ist. Sören Vogelsang sucht sich aus dem Internet die Akkorde raus, bringt sich selbst Gitarre spielen bei. In der Schule bescheinigen ihm die Lehrer zwar, er könne nicht singen. Doch mit Hilfe der Gitarre gelingt es ihm, gerade Töne zu schmettern. Er wird sogar Teil einer Musicalgruppe.
Nach dem Abi 2005 studiert er drei Jahre lang Schauspiel an einer privaten Schule in Berlin. Währenddessen macht er weiter Musik, wird Teil der Mittelalterband „Adivarius”. 2008 läuft er dann den Jakobsweg und überlegt, ob er nun Schauspieler oder Musiker sein will. Zu dem Zeitpunkt hat er schon eine Band mit Management und so steht fest: „Ich bin jetzt soweit gekommen, ich will das versuchen mit der Musik.”
2010 nimmt er sein erstes Solo-Album auf, seit 2011 kann er von der Musik leben. Vor sechs Jahren wird ihm die Metropole Berlin dann zu viel. Vogelsang reist durch ganz Deutschland, schaut sich in anderen Großstädten Wohnungen an – und wird in Leipzig fündig.
Zuhause in der Nähe vom Auensee
Seitdem wohnt der Musiker in der Nähe des Auensees. In 16 Minuten fährt er mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof. Er findet, das ist eine gute Anbindung. Mit dem ICE geht es dann regelmäßig nach Berlin – dort wohnt seine Freundin. In 20 Minuten düst er mit dem Rad in die City in den Biergarten.
Vogelsang fühlt sich in Leipzig sehr wohl. Und in seiner Wohnung. Denn dort verbringt er einen Großteil des Tages: „Künstlersein ist ein Bürojob”, sagt er. „90 Prozent der Zeit verbringe ich am PC.” Organisation, Social Media, Website, Booking – das alles findet am Rechner oder am Telefon statt. Seit 2019 hat Vogelsang ein eigenes Musiklabel und betreut 30 weitere Künstler, es ist sein zweites Standbein.
Digitales Festival „Sofa ohne Grenzen”
Auch das Streaming nimmt einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch. In der Corona-Zeit stellte er ein digitales Festival für Künstler auf die Beine und nannte es „Sofa ohne Grenzen”. Künstler wie Dota Kehr und Sarah Lesch spielten ihre Lieder, der Erlös für die Konzerte ging an „Ärzte ohne Grenzen”. So ein Festival würde Sören Vogelsang gern in Leipzig wiederholen – dann aber live vor Publikum, falls es dafür eine Förderung von der Stadt gäbe, sagt er.
„Mich überkommt es manchmal, dass ich total Bock hab, mal wieder in einem Ensemble zu spielen.”
Weitere Pläne sind der Aufbau einer Booking-Agentur, für die er aktuell noch Leute sucht. Im kommenden Jahr will er dann mit dem neuen Album auf Konzerttour durch Deutschland gehen. Deshalb sucht Vogelsang derzeit nach einer neuen Band-Besetzung. Und vielleicht sieht man den Sänger auch mal wieder auf einer Theaterbühne. „Mich überkommt es manchmal, dass ich total Bock hab, mal wieder in einem Ensemble zu spielen”, sagt er.
Wenn er eine Auszeit braucht, macht Vogelsang Hanteltraining zu Hause oder joggt eine Runde durch den Auwald. Und er verreist sehr gern. Afrika und Vietnam hat er schon erkundet. Vier Monate lang tourte er durch Argentinien und Chile, schlief auf den Sofas der Einheimischen. Doch es gibt noch einige Länder, die er gern mit dem Rucksack bereisen würde. „Island, Neuseeland, Philippinen und Indonesien”, zählt er seine Reiseziele auf. „Die Liste ist lang.” Und mit Sicherheit kommen ihm unterwegs wieder neue Ideen – aus denen frische Songs entstehen. Gina Apitz
Weitere Infos unter:https://soerenvogelsang.de