Zuerst betritt der Pilot mit seiner Fliegerbrille die Bühne, später kommt der Fuchs mit Hut, Schlips und Fell dazu und schließlich die Schlange, das Schaf und weitere. Es ist ein ständiger Wechsel der Accessoires, der Tonlagen, der Mimik. Das Bühnenstück „Der kleine Prinz” zählt 14 verschiedene Rollen.
David Leubner mimt sie alle selbst. „Das ist machbar”, sagt der Schauspieler und lächelt. „Man muss sich für jede Rolle ein Weltbild entwickeln, eine Stimme, eine Körperhaltung, Wünsche und Ziele.” Dann sei für das Publikum komplett ersichtlich, wer gerade spricht. Der kleine Prinz als Ein-Mann-Stück? David Leubner kann das.
Mit drei eigenen Produktionen steht der 33-Jährige derzeit ganz allein auf verschiedenen Bühnen der Stadt – unter anderem im DachTheater, im Neuen Schauspiel, im Budde-Haus, aber auch im Göschenhaus in Grimma. Neben dem Prinzen mimt er derzeit noch den unglücklich verliebten Werther und spielt die irische Tragikomödie „Kleingeld”. Einen Favoriten unter den dreien hat er nicht. „Ich mache jedes Stück zu meinem Lieblingsstück”, sagt Leubner. Und: Die Solo-Stücke werden ständig weiterentwickelt. „Ich bin manchmal selbst überrascht, was auf der Bühne passiert.”
Lacher aus dem Publikum beim Auftritt
Leubner ist immer wieder gespannt, wie das Publikum auf seinen Auftritt reagiert. Da öffnet Werther sein Herz, spricht über seine verzweifelte Liebe zu Lotte und plötzlich lacht jemand aus dem Publikum. „Von der Rolle gibt dann auch mal einen bösen Blick”, sagt Leubner. „Mich als Schauspieler freut’s, denn es heißt: Ich hab das Publikum.”
Dass der gebürtige Leipziger meistens solo auftritt, hat auch ganz praktische Gründe: In der freien Szene werden Proben nicht bezahlt. Der Schauspieler lebt nur von den Eintrittsgeldern. Bei einer Vorführung bleibt für einen allein eben mehr übrig.
Neue Stücke entwickelt Leubner gemeinsam mit dem Regisseur Bernd Guhr, den er noch aus der Schauspielschule kennt. Mit ihm diskutiert er den Text, den er auf die Bühne bringen will, die so genannte Strichfassung. Ein roter Faden müsse diese durchziehen, die Arbeit daran sei „nicht einfach”, gibt der Schauspieler zu. „Um die Lieblingsstellen wird gerungen.” Doch am Ende sei er es, der auf der Bühne steht und sich „mit dem Text wohl fühlen muss“.
Und wonach wählt er die Stücke aus? Klar, der Stoff muss ihn, den Regisseur und ein Publikum interessieren, die Rechte sollten frei sein, sonst muss Geld an den Verlag gezahlt werden. Bei einem Solostück sei es außerdem wichtig, dass nur eine Rolle die Handlung vorantreibt und etwas verhandelt. Leubner will zudem immer möglichst nah am Originaltext bleiben. Und der ist vor allem bei Klassikern nicht immer leicht verständlich.
Goethes „Die Leiden des jungen Werther” sei oft mit Vorbehalten konfrontiert und als dröger Schulstoff verschrien, sagt Leubner. Sein Anspruch besteht darin, die Themen dem Publikum wieder näherzubringen, denn er findet: „Da steckt nicht nur Leid und Traurigkeit drin, sondern auch sehr viel Hoffnung.”
Große Themen auf der Bühne
Freundschaft, Liebe, die Suche nach seinem Platz im Leben – es sind oft die großen Themen, die der Schauspieler auf der Bühne verhandelt. Die Suche nach Antworten auf nahezu philosophische Fragen sind es, die ihn letztlich zum Theater führen. David Leubner wächst in Leipzig auf, besucht eine Waldorfschule. In der 8. und 12. Klasse spielte er dort bereits ein bisschen Theater, mimt Kaspar Hauser – „die Rolle hatte fast keinen Text“. Leubner sagt rückblickend: „Da hatte ich schon Berührungspunkte mit dem Theater.”
Doch es steht noch längst nicht fest, dass die Schauspielerei sein Weg werden würde. Die Eltern sind keine großen Theatergänger. Leubners Mutter malt und töpfert gern, der Vater – beruflich Feuerwehrmann – spielt Flöte. Nach seinem Schulabschluss sucht Leubner nach einem Beruf, bei dem er mit Menschen zusammenarbeiten und gleichzeitig mit ihnen über die großen Fragen des Lebens sprechen kann. „Was ist Liebe?” „Wie wird jemand zum Mörder?” „Was ist richtig und falsch?”, zählt er auf.
Die Lehre zum Medizintechniker bricht er ab. Die Pausengespräche sind ihm nicht tiefgründig genug. Stattdessen klopft er bei der Leipziger Theaterfabrik an, fragt, ob er mal vorbeischauen kann – für eine Art Praktikum.
Als ein Mitglied des Ensembles krank wird, springt Leubner ein und wird schließlich fester Teil der Theaterfabrik. Es ist ein Umfeld, in dem er sich wohl fühlt. „Am Theater kommen verschiedene Generationen zusammen – das hat mich fasziniert.” 2015 geht das Haus pleite. Leubner beschließt, sich an einer Schauspielschule zu bewerben. Er will besser werden, auch sprachlich.
Ausbildung an der Theaterakademie
Die Theaterakademie Sachsen, die in Delitzsch sitzt, nimmt ihn an. Im Unterricht lernen die Schauspielschüler Ballett, Gesang und Fechten und bekommen Sprechunterricht. Leubner sagt, es war „eine spannende Zeit“. Jedes Wort einer Szene wird auseinandergenommen. Und: „Man lernt, seinen Körper einzusetzen.” Im Stück Woyzeck spielt er den Doktor. Die Geschichte hat ihn nachhaltig beeinflusst. Er merkt: „Manche Menschen haben vielleicht keine Wahl, wenn sie zum Mörder werden.” Es ist für Leubner eine Zeit der persönlichen Weiterentwicklung, er gewinnt neue Blickwinkel.
Nach dem Ende der dreijährigen Ausbildung werden die Absolventen der Akademie drei Monate an den Landesbühnen Sachsen engagiert. Die Kooperation soll den Start in den Beruf als Schauspieler erleichtern. Leubner hat seither immer wieder Gastspiele an verschiedenen Häusern.
Drei Jahre lang betreut er in Leipzig-Wahren eine Theatergruppe, die aus Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren besteht. Die Truppe bringt jeweils zu Weihnachten ein neues Stück auf die Bühne. Leubner leitet die jungen Leute an, schreibt den Text, führt Regie und kümmert sich um das Bühnenbild. Ein Herzensprojekt, das in der Corona-Krise sein Ende findet. Die Pandemie-Jahre sind für Leubner – wie für viele Kulturschaffende – eine harte Zeit. Viele seiner Verträge mit Theatern werden aufgelöst oder verschoben. Leubner lebt so sparsam wie er kann. „Was man nicht ausgibt, muss man nicht verdienen”, lautet sein Credo in dieser Zeit.
Während Corona-Zeit Stücke vorbereitet
Und er nutzt die nahezu auftrittslosen Jahre, um seine aktuellen Stücke vorzubereiten. Derzeit versucht Leubner, an den Landesbühnen wieder Fuß zu fassen. Erst kürzlich stellte er sich Döbeln und beim Ensemble Gera-Altenburg vor. Sich immer wieder ins Gespräch bringen und Eigenwerbung machen – das gehört zum Leben als freier Schauspieler dazu.
Und David Leubner zählt zu der umtriebigen Sorte. Er versucht, Kontakt zu halten mit den verschiedenen Häusern, hängt Plakate zu seinen Stücken auf, verteilt hunderte Flyer und schreibt einen Newsletter an seine treuen Fans. Sein Engagement in eigener Sache zahlt sich aus: „Inzwischen kennen mich viele Theater”, sagt er. „Überall, wo ich gespielt habe, durfte ich nochmal kommen.”
„Man lernt, seinen Körper einzusetzen.”
Auch wenn das Publikum mitunter überschaubar ist. Bei einem Auftritt im soziokulturellen Zentrum Mühlstraße spielte Leubner vor gerade mal zehn Leuten. Manchmal bekommt er aber auch eine unerwartet große Resonanz. Als er an der Kirchenruine Wachau die Premiere des Werthers auf die Bühne bringt, spielt er vor 100 Gästen – sein bisher größter Erfolg.
Inzwischen kann Leubner von der Schauspielerei leben, auch wenn er nach wie vor sparsam ist. Mit seiner Freundin lebt er in einer gemeinsamen Wohnung in Lützschena. „Da kann ich ungestört meine Texte im Grünen lernen.” Zu seinen Auftritten fährt er stets mit dem Fahrrad – bei Wind und Wetter. Fest steht: Leubner ist ein Draußen-Mensch.
Langstrecken-Wandern als Leidenschaft
Nach einem Schuljahr in Großbritannien wandert er von Wales aus in sieben Monaten zurück nach Hause, da ist er 16 Jahre alt. Leubner war auch schon sechs Wochen lang auf Kuba wandern, kürzlich auf Mauritius und zuletzt lief er auf dem Jakobsweg von Leipzig nach Eisenach. Als er auf der Felsenbühne Rathen in der Sächsischen Schweiz einen Auftritt hat, sucht er sich danach in den Wäldern eine Bofe – das ist ein Felsvorsprung, unter dem man schlafen kann – und übernachtet dort. „Am nächsten Tag bin ich wieder zur Bühne zurückgewandert”, erzählt er, „und hatte wieder einen Auftritt“.
Welches Stück der Schauspieler als nächstes auf die Bühne bringt, ist noch offen. Er liest gerade das Dschungelbuch und findet, es gebe dort tolle Themen: „Freundschaft, Zugehörigkeit, Mut.” Schon in der Planung ist dagegen das Stück „Norway.today”, das den Selbstmordversuch eines jungen Mädchens thematisiert. Dafür versucht Leubner aktuell Fördermittel zu bekommen. Beim Leipziger Theater Adolf Südknecht ist er jetzt für ein Jahr engagiert worden. Seine Karriere stehe noch ganz am Anfang, sagt er, aber: „Es wächst.”
Und das liegt nicht zuletzt an der Rastlosigkeit des jungen Mannes. Neulich hat er am Leipziger Hauptbahnhof einen leeren Glaskasten entdeckt. Leubner rief beim Management an und schlug vor: „Ich räume die Ecke auf.” Im Gegenzug erlaubte der Bahnhof, dass er dort ein Kunstprojekt installiert, das Lust aufs Theater macht. Aus rotem Stoff nähte Leubner einen Vorhang, dahinter sind typische Theater-Requisiten zu sehen, die auf seine Stücke verweisen. Wer bei einem kleinen Quiz mitmacht, kann sogar Freikarten gewinnen – und den Schauspieler dann mal in Aktion erleben.Gina Apitz
Mehr Infos unter: www.theater-im-herzen.jimdosite.com