Er steht als Schauspieler auf der Bühne, er führt Regie, er verfasst eigene Stücke, die nicht nur beim Schreiben, sondern bereits bei der Vor-Recherche zu oftmals regional verwurzelten Themen reichlich Aufwand mit sich bringen, er moderiert dann und wann Veranstaltungen, so unter anderem die jährliche Eröffnungsgala – und er leitet seit der Spielzeit 2017/2018 das Schauspielensemble des Theaters Altenburg-Gera als deren Schauspieldirektor: Manuel Kressin, der 2009 zum hiesigen Bühnenverbund stieß.
An diesem Sonntag nun, dem 2. April, steht der Vielbeschäftigte erneut in Doppelfunktion im Programmheft, wenn am Abend um 18 Uhr das von ihm verfasste Schauspiel „Liebe macht frei“ seine Altenburger Premiere erleben wird. Diesmal fungiert er als Autor und als Regisseur. Das Stück widmet sich vornehmlich dem Umgang mit Homosexualität in der Zeit des Nationalsozialismus, bleibt jedoch keineswegs nur ein historischer Rückblick (wir berichteten).
Thema bewegt seit Langem
„Die Idee trage ich schon sehr lange mit mir herum. Im Grunde seit dem Jahr 1997. Damals kam ich ins Gespräch mit einem Herrn, der mir davon erzählte, dass er nach §175 inhaftiert gewesen war und anschließend auch in der Bundesrepublik deshalb im Gefängnis saß“, erinnert sich der 1978 in West-Berlin geborene und dort aufgewachsene Manuel Kressin zurück an jene Anfänge seiner Beschäftigung mit dieser Materie. „Ich war gerade im Abitur und wir hatten sehr viel über die NS-Zeit im Unterricht verhandelt. Dieses Thema war mir allerdings damals unbekannt. Zu dieser Zeit wollte ich Drehbuchautor werden und hatte den Plan, dass dieses Thema mein erstes Drehbuch werden sollte.“
Wie lange Manuel Kressin an der jetzt zur Aufführung gelangenden Stückvorlage gearbeitet hat, das kann er nicht genau sagen: „Als ich 1997 anfing, gab es sehr wenig über das Thema zu finden. Jener Paragraph war erst 1994 abgeschafft worden, weshalb sich Betroffene nicht öffentlich darüber geäußert hatten. Immer, wenn irgendwo etwas auftauchte, hab‘ ich es erst einmal für mich archiviert. Als es konkret wurde, das Stück zu realisieren, sind Dramaturgin Dr. Sophie Oldenstein und ich noch einmal intensiver auf die Suche gegangen, haben Gedenkstätten besucht und auch vom Schwulen Museum in Berlin Informationen erhalten.“
„Wir hatten eine ausgesprochen positive Resonanz auf die Produktion.“
Auch bei diesem Stück, so wie bereits bei Vorgängern aus der Feder von Manuel Kressin, legte der längst hier vor Ort Verwurzelte Wert auf regionale Bezüge. Er wurde auf die Lebensgeschichte des Meuselwitzer Rudolf Brazda aufmerksam. „Auf ihn bin ich zufällig gestoßen“, erzählt unser Gesprächspartner. „Wie gesagt, hatte ich immer mal wieder Berichte darüber gesammelt. Ich hatte mir das Buch über ihn gekauft und war doch sehr überrascht, als ich auf der ersten Seite las, dass Herr Brazda aus Meuselwitz stammte. Daraufhin dachte ich mir: Dann solltest du das Projekt wohl endlich realisieren.“
Gesagt – getan: Die Arbeit nahm ihren Lauf. Und doch erzählt Manuel Kressin in seinem Werk nicht die Biografie von Rudolf Brazda. „Wir erzählen ohnehin nicht die Geschichte einer bestimmten historischen Person. Die vielen Schnipsel unterschiedlicher Lebensläufe haben wir zu fiktiven Charakteren zusammengefasst. Es gibt aber immer wieder Bezüge zu seiner Biografie.“
Musik kommt eine zentrale Rolle zu
Auch Musik spielt eine gewichtige Rolle in diesem Schauspiel „Liebe macht frei“. Sie stammt von Schauspielkapellmeister Olav Kröger, mit dem der Schauspielchef, Autor und Regisseur bereits reichlich Erfahrungen im gemeinsamen Miteinander gesammelt hat.
„Ja, in der Tat: Olav Kröger und ich haben ja schon mehrfach miteinander gearbeitet und haben da eine sehr schöne Vorgehensweise gefunden. Neben den Songs, die für das Stück vorab von ihm komponiert wurden, hatte er einzelne musikalische Themen im Kopf. Diese hat er während der Proben ausprobiert, angeglichen, verworfen oder neu gemacht“, beschreibt Manuel Kressin die Entstehungsphase. Und er ergänzt: „Wir wollten nicht einfach nur Songs haben, sondern einen richtigen Soundtrack, der einzelne Szenen untermalt. Entstanden ist dabei eine Art Symphonie. Wir hatten eine ähnliche Vorgehensweise bei der Produktion ‚Menschen im Hotel‘. Olav Kröger ist da einfach genial, weil er auf die szenische Entwicklung sofort reagiert und einen feinen Spürsinn hat, welche Musik eine Szene unterstützen und bereichern kann oder wo sie eher störend wirken würde.“
Zeitgeist einfangen
Angestrebt wurde vom Duo Autor/Regisseur und Komponist, in der Musik zu dieser Inszenierung den Zeitgeist der beginnenden 1930-er Jahre aufzufangen. „Daher klingt vieles nun so, als sei es damals komponiert worden. Die freche, lebensfrohe Tanzmusik steht einer bürgerlichen gegenüber. Jedoch nicht puristisch, sondern sehr vielfältig. Einzig das ‚Lila Lied‘ von Mischa Spoliansky, das damals als eine Art Hymne galt, stammt nicht aus Olav Krögers Feder“, verweist Manuel Kressin auf eine einzige Ausnahme bei der Musik zu seinem Stück.
Nun also gelangt das Stück, das im Juni 2022 seine Uraufführung an den Bühnen der Stadt Gera erlebte, nach Altenburg. Gespannt darauf dürfte nicht nur das hiesige Publikum sein, auch die Macher und Akteure. Welche Resonanz haben sie vor Jahresfrist bei den ersten Vorstellungen in der Nachbarstadt erleben können?
Positive Resonanz
„Wir hatten eine ausgesprochen positive Resonanz auf die Produktion“, sagt Manuel Kressin. „Ich habe mehrere Zuschriften vom Publikum bekommen, die den Abend sehr berührend fanden. Manche waren dabei, die offen sagten, dass sie erst skeptisch waren und dann doch sehr in die Geschichte gezogen worden sind. In einigen Vorstellungen waren auch Schulklassen und -kurse, die dem Stück sehr gebannt folgten. Ich bin mit einem Lehrer aus Gera gut befreundet, dessen Klasse in dem Stück war. Er erzählte mir, dass die Nachbereitung sehr spannend gewesen ist, und die Klasse sehr froh war, das Stück gesehen zu haben.“
Begleitende Angebote für Schulen
So wie es sich in Gera bereits gezeigt hat, wären das Stück, sein Inhalt, die Thematik und der historische Bogen, der geschlagen wird, ganz sicher ein denkbarer (und dankbarer) Stoff auch für Schulen und Jugendliche im Altenburger Land. Dem kam Manuel Kressin nur zustimmen.
„Wir bieten zu dem Stück (wie zu allen Stücken, die einen pädagogischen Mehrwert haben) an, dass unsere Theaterpädagoginnen vorab in die Schulen kommen oder auf Anfrage auch nach dem Vorstellungsbesuch eine Nachbereitung in den Schulen machen. Wenn Schulen daran interessiert sind, können sie sich gerne bei unserer Schulreferentin melden“, so Manuel Kressin.
Abschließend aber sei nun endlich die anfangs nur indirekt aufgeworfene Frage aufgegriffen: Wie schafft er das alles? Den beständigen Spagat zwischen den administrativen Aufgaben als Schauspieldirektor und Mitglied der Theaterleitung – und andererseits als Schauspieler selbst auf der Bühne zu stehen, als Regisseur zu arbeiten und „nebenbei“ auch noch als Autor aktiv zu werden? Das alles klingt in manchen Arbeitsphasen nach einem 48-Stunden-Tag, muss ja aber praktisch irgendwie funktionieren?
„Zu meiner Schauspielausbildung sagte ein Dozent zu mir: ‚Du entscheidest dich hier nicht für einen Job, sondern für ein Leben!‘“
„Ich muss gestehen, dass ich gerade diese Vielfalt sehr spannend finde. Ich würde wohl jeweils das andere vermissen, wenn ich plötzlich nur noch eins davon machen müsste“, entgegnet Manuel Kressin und hat zudem noch eine Replik zur Hand, die seinen Berufsweg und seinen Alltag bis heute begleitet: „Zu meiner Schauspielausbildung sagte ein Dozent zu mir: ‚Du entscheidest dich hier nicht für einen Job, sondern für ein Leben!‘“
Genau das Richtige wohl für den inzwischen 44-Jährigen: „Ich habe unglaublich Spaß an diesem Leben und genieße beides sehr. Ja, es erfordert ein gewisses Maß an Organisationstalent, aber ich bilde mir ein, das alles ganz gut unter einen Hut zu bringen.“
Neue Pläne
So also wird man Manuel Kressin auch künftig nicht nur als Darsteller auf der Bühne oder mit Inszenierungen seiner Regie-Handschrift erleben können, sondern irgendwann auch ein neues Stück aus seiner Feder kennenlernen dürfen – vermutlich wieder auch mit Lokalkolorit und regionalen Bezügen? So wie bei seinen Szenenfolgen „Barbarossa ausgeKYFFt“ oder „Als der Herzog über den Herzog herzog“, an die sich mancher Theaterbesucher erinnern wird.
„Auf jeden Fall möchte ich mich weiterhin auch mit lokalen Themen befassen“, bejaht der Schauspielchef die Frage. „Es gibt auch die Idee für ein Stück, das aber noch sehr in den Kinderschuhen steckt, und es wäre zu früh, jetzt darüber zu sprechen. Allerdings habe ich große Lust, nach all den eher schweren Themen der Vergangenheit mit Lokalbezug nun eine Geschichte zu erzählen, in deren Mittelpunkt etwas steht, an das man sich in Altenburg sehr gerne erinnert und das heitere Lebensgefühl der Region widerspiegelt. Allerdings wird das Stück wohl erst in der Spielzeit 2024/25 zur Aufführung kommen. Es braucht halt ein wenig Zeit zum Recherchieren.“
Ralf Miehle