Leipzig/Schkeuditz. Es ist gar nicht so leicht, Maria Bartels Arbeitsplatz zu finden. Der Flughafen Leipzig-Halle ist schließlich groß – und an diesem Dienstag um die Mittagszeit auch gespenstisch leer. Ein Mitarbeiter wird befragt: Wo geht es denn zur Flughafenkapelle? Ein erstaunter Blick. Der Mann weiß es nicht. Er ruft eine Dame in der Information an, die weiterhelfen kann. Zehn Minuten später wird das unauffällige Gotteshaus oberhalb der Abflughalle gefunden – und mit ihr Seelsorgerin Maria Bartels.
Die 55-Jährige setzt sich auf eine der hölzernen Bänke, die vor dem Altar stehen. Die Fenster in dem kleinen Raum sind im Stil von Kirchenfenstern bunt beklebt. In einem Gästebuch haben sich Reisende verewigt. Die meisten kamen hierher, um für einen sicheren Flug zu beten. In dem kleinen eher schmucklosen Raum wird außerdem eine Fotoausstellung über Flugzeuge gezeigt. Ihr Titel: Über den Wolken.
Nachfolgerin von Pfarrerin Ines Schmidt
Im Oktober hat Maria Bartels die Nachfolge von Pfarrerin Ines Schmidt angetreten, die die Aufgabe viele Jahre lang inne hatte.Sie ist hauptamtlich Pfarrerin der Leipziger Sophiengemeinde. Die Seelsorge am Flughafen gehört hier mit dazu.
Die kleine Kapelle und das danebenliegende Büro sind ihre neue Wirkungsstätte am Flughafen. Zumindest einmal pro Woche. Immer dienstags ist die Pfarrerin am Flughafen, hat hier ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Reisenden und der Mitarbeiter. Wenn die Seelsorgerin spricht, tut sie das sehr bedächtig. Ein winziges Kreuz steckt an der roten Wolljacke, die sie über dem schwarzen Pullover trägt. Darüber baumelt der Ausweis, der sie als Mitarbeiterin der Kirche kennzeichnet.
Ihre ersten Wochen im Amt dienten vor allem der Orientierung, sagt sie. „Ich muss mich erst in alles ’reinpfitzen’”. Dazu gehört auch die Absprache mit ihrem katholischen Priesterkollegen. Die Flughafenkapelle, die jüngst ihren 20. Geburtstag feierte, wird ökumenisch geführt. Maria Bartels wichtigste Aufgabe als Seelsorgerin ist es, Menschen in außergewöhnlichen Situationen zu begleiten. Diese gebe es auch am Flughafen – etwa Unfälle mit Verletzten oder Reisende, die im Ausland sterben. In diesem Fall würde die Pfarrerin gemeinsam mit den Angehörigen den Verstorbenen in Empfang nehmen – und der Familie zu verstehen geben: „Ich halte das mit euch aus.”
Doch auch die Mitarbeiter des Flughafens können sich mit ihren Sorgen an sie wenden. Im Grunde genommen jeder, der „einen Gesprächspartner oder einen Ruhepunkt sucht”. Eine Situation, in der ihre Hilfe gefragt ist, hatte Bartels in den ersten Wochen noch nicht. Doch Gespräche hat sie schon einige geführt – „über Gott und die Welt”. Manche sachlich, einige philosophisch. Das liegt daran, dass sie sich nicht in ihrem Büro verschanzt, sondern auf dem Flughafen viel unterwegs ist. Trotzdem gibt sie zu, dass der Beruf „manchmal einsam” sei. Das gelte aber für die Stelle der Pfarrerin allgemein. Maria Bartels ist es wichtig, dass „die Menschen, die am Flughafen arbeiten, wissen, da gibt es eine Seelsorgerin”. Und was macht einen guten Seelsorger aus? „Ein offenes Ohr und ein Draht zu Menschen”, sagt sie. Klar, ein Patentrezept gebe es nicht. Bartels sagt, sie habe „die Hoffnung, dass ich von etwas getragen werde, das auch anderen Menschen hilft”. Ihre Aufgabe sei es, ihr Gegenüber „auf einen hilfreichen Weg zu schicken”.
Während unseres Gesprächs betritt niemand die Kapelle. Doch das sei nicht immer so, sagt die Seelsorgerin. Wenn sich christliche Reisegruppen etwa eine Andacht vorm Abflug oder nach der Landung wünschen, findet das Ganze hier statt. Man müsse bedenken: Der Ort sei ein Angebot der Landeskirche, nicht des Flughafens. Ein Platz, der einen Moment der Stille erlaubt und des Innehaltens. „Es ist wichtig, dass Kirche sichtbar ist”, sagt die Pfarrerin.
Ein Blick zurück: Maria Bartels wächst in Zwickau in einem evangelischen Elternhaus auf. Ihr Großvater und der Vater sind Schmiedemeister. Die Tochter lernt zunächst einen Beruf und holt das Abitur an der Abendoberschule nach. Nach der Wiedervereinigung schreibt sie sich 1990 in Halle für evangelische Theologie ein. Sie studiert auch in Münster und Kapstadt – und macht ihr Examen und das anschließende Vikariat in Leipzig. „Ich wollte etwas möglichst Weites und Vielseitiges studieren”, sagt Maria Bartels rückblickend. Sprachen, Geschichte und Bibelkunde, all das habe sie interessiert. 20 Jahre lang ist sie im Anschluss als Pfarrerin im Erzgebirge tätig. Lößnitz, Liebstadt und Langenweißbach heißen die Dörfer, in denen ihre Gemeinden liegen. Über das Thema Mitgliederschwund bei der Kirche will sie nur ungern reden. „Dafür trage ich keine Verantwortung.”
Während der Zeit im Erzgebirge ist sie als Seelsorgerin auch in Krankenhäusern im Einsatz, begegnet dort den Patienten in der „Ausnahmesituation Krankheit”. Viele stellen sich die Frage „Warum ausgerechnet ich?”, sagt sie und fügt hinzu: „Ich kann keine Antwort geben, ich kann nur spiegeln.” Damit meint Bartels, den Menschen in der Krise zu unterstützen, die Krankheit zu akzeptieren und – wenn möglich – die eigene Kraft darauf zu verwenden, wieder gesund zu werden. Doch Bartels begleitet auch Patienten, die sterben werden. Ihre wichtigste Botschaft an die Todgeweihten: „Ich bin da, du bist nicht allein.” Nicht immer sind es nur gläubige Christen, die sie seelsorgerisch betreut. Aber: „Auf der Suche sind ja auch Agnostiker. Auch für sie bin ich als Mensch da.” Die Religion hilft ihr dabei, das tägliche Leid zu ertragen. Und die Gewissheit: „Ich darf wieder gehen, ich liege nicht selbst im Krankenhaus.” Jeden Fall schließt Maria Bartels mit einem kleinen Ritual ab. Für jeden Menschen, den sie begleitet hat, zündet sie in ihrem Arbeitszimmer eine Kerze an. „Ich versuche es damit abzugeben. Das gelinge mal besser und mal schlechter.“ Außerdem spricht sie mit sogenannten Supervisoren, Fachleuten, die Seelsorger professionell begleiten. Hier kann sie offen reden über Fälle, die sie beschäftigen, die ungeklärt bleiben und über mögliche Fehler.
Vom Land geht es zurück in die City
Trotz der Herausforderungen, die der Job mit sich bringt, sei sie gern Seelsorgerin: „Ich erlebe die ganze Bandbreite des bunten Lebens.” Nach 20 Jahren wollte sie vom Land zurück in die große Stadt. „Ich habe das Erzgebirge schätzen gelernt”, sagt Bartels rückblickend. Doch sie sei froh, nun wieder in Leipzig zu leben.
Als Pfarrerin der Sophiengemeinde hält sie Gottesdienste ab, begleitet Taufen, Hochzeiten, Konfirmationen und Beerdigungen. Ihre beiden erwachsenen Kinder – 19 und 22 Jahre alt – besuchen sie regelmäßig in ihrer neuen Heimat. Die große Tochter lebt in Magdeburg, ihr Sohn geht in Pirna in die Schule und lebt bei ihrem geschiedenen Mann. Die Kinder, sagt Bartels, seien für sie Auszeit vom Job. In der Pfarrer-Dienstwohnung in Möckern wartet auf sie jeden Tag ihr Kater. Für Freizeit bleibt Bartels ansonsten wenig Zeit. Sie wandert gern und fährt Fahrrad. Den Weg zum Flughafen legt sie allerdings bisher motorisiert zurück – mit dem eigenen Auto. Gina Apitz