Leipzig. David Hünig betrachtet die Welt am liebsten aus der Vogelperspektive. Im Gleitschirm segelt er teilweise stundenlang über die Felder und Wiesen rund um Leipzig. Was ihn an dem Sport fasziniert? „Es ist eine entspannte Sache”, sagt der sportliche 39-Jährige. Das Fliegen sei „ein Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit”.
Wer einen Adrenalinkick sucht, sei definitiv falsch. Im Gegensatz zum Fallschirmspringen oder Sportarten wie Base-Jumping ist das Gleitschirmfliegen eher eine ruhige Angelegenheit. Und: „Man ist sehr direkt an der Natur dran”, sagt Hünig. „Bei einem Segelflugzeug sitzt man in der Glaskuppel und kann rausgucken”, so der Pilot. „Beim Gleitschirm habe ich einen Rund-um-Blick und kann mit den Vögeln fliegen.“
Und das meint Hünig keineswegs metaphorisch. Mit Adlern und Geiern sei er schon gemeinsam gekreist, die Tiere flogen nur ein paar Meter neben ihm. Ist das nicht gefährlich? Hünig schüttelt den Kopf. Dass die Vögel in den Schirm fliegen, sei sehr unwahrscheinlich. Einige aggressive Raubvögel verteidigten zwar ihr Revier und könnten den Schirm auch angreifen. „Da hat man schnell ein paar Risse oben drin von den Krallen.” Mit dem demolierten Schirm komme man trotzdem noch runter und bemerke die Risse kaum. Im Ernstfall gebe es einen Rettungsschirm, betont der Pilot. Wenn man ein paar Regeln beachte, sei Gleitschirmfliegen weitestgehend ungefährlich.
Während viele die bunten Schirme aus den Alpen kennen, ist der Sport im Flachland bisher eher unbekannt. Für David Hünig Grund genug, vor zwei Jahren eine eigene Flugschule in Leipzig zu gründen – und den Flachländern seine Leidenschaft näher zu bringen. Aktuell bietet er Kurse im Gleitschirmfliegen an und Tandemflüge für Laien. Dass der Sport nur in den Bergen richtig Spaß macht, unterschreibt Hünig nicht. „Bei gutem Wetter kann man hier im Flachland Strecken von 200 bis 300 Kilometern fliegen.” Es gebe allerdings K.-o.-Kriterien, die einen Flug ausschließen: Das sind Regen und zu starker Wind. Die Piloten brauchen gutes Thermik-Wetter, das heißt Sonne und eine bestimmte Luftschichtung. „Oben muss die Luft kalt sein, unten sollte sich die wärmere Luft befinden, die dann aufsteigen kann”, erklärt Hünig. Solche Aufwinde nutzen die Gleitschirmflieger, um in der Luft zu bleiben. Sie zu finden, ist allerdings eher Zufall und hängt von der Erfahrung des Piloten ab.
„Ein trockenes Getreidefeld im Sommer ist ziemlich sicher. Da kann die Luft sich sehr gut aufwärmen und aufsteigen.” Über einem See sei eher kalte Luft zu erwarten. Besonders gut fliegen könne man jetzt im Frühling. „Die Luft ist noch kalt, die Sonne schon sehr intensiv und wärmt den Boden auf.” Optimal fürs Schweben durch die Luft.
Die Saison geht normalweise im April los und dauert bis September oder Oktober. Gestartet wird mit Hilfe einer Winde, die den Piloten an einem Seil in die Luft zieht. An guten Tagen kann er zwei, drei Stunden lang in der Luft bleiben – wenn die Thermik stimmt.
Neben der Luft ist Hünig auch das Element Wasser sehr nah. Ein Blick auf seinen bewegten Lebensweg verrät, wie er eigentlich zum Gleitschirmfliegen kam. Der gebürtige Nürnberger heuert nach der Schule als Maschinist auf großen Frachtcontainerschiffen an. Für seine Ausbildung ist er drei Jahre lang auf den Weltmeeren unterwegs, durchquert den Suez- und den Panamakanal, erkundet Südostasien, vor allem Hongkong und Singapur. Durch den Suezkanal steuert Hünig das Frachtschiff sogar mal selbst – mit Hilfe des Kapitäns und eines Lotsen, räumt er ein. Vor Manila entgeht er knapp einem Piratenangriff. Durch die Schiffsreisen sei die Welt für ihn „sehr viel kleiner geworden”. Mit nur 30 Kilometern pro Stunde um die Welt schippern und bis zu drei Wochen nur auf dem Wasser zu sein – dafür muss man gemacht sein. Hünig sagt: „Ich war mit 20 wildfremden Leuten ein halbes Jahr auf ein paar hundert Quadratmetern Stahl eingesperrt.” Irgendwann reicht ihm dieses Leben.
Er kündigt, lebt eine Zeit lang in Norwegen und in der Schweiz auf einer Alm – und arbeitet schließlich im Schiffbau für eine Firma in Hamburg. Dort inspiziert er Ruderanlagen von Tankern und Fähren und sitzt plötzlich viel im Flugzeug. Ein Fensterplatz ist ihm wichtig. „Fliegen fand ich schon immer spannend”, sagt Hünig. Irgendwann fliegt er in einer kleinen Propellermaschine über die Dolomiten, hat dort einen „Bombenausblick” – und kommt so auf die Idee, selbst zu fliegen.
2010 schnallt er sich das erste Mal einen Gleitschirm auf den Rücken, macht seine Fluglizenz und schmeißt den Job hin. Ein halbes Jahr lang reist er mit seinem Schirm durch Indien, sattelt dann eine Ausbildung als Fluglehrer drauf und arbeitet einige Jahre selbstständig als Lehrer für verschiedene Flugschulen. Die meisten sind in den Alpen beheimatet. Hünig zieht der Liebe wegen nach Dresden und muss für die Kurse immer runter fahren in die Berge. Um sich die Fahrerei zu ersparen, kommt ihm die Idee, eine eigene Flugschule zu gründen. „In Dresden gab es schon drei”, erzählt er. So zieht er vor zwei Jahren mit seiner Freundin nach Leipzig. Denn hier gibt es so etwas bisher nicht.
Vor Ort kooperiert Hünig mit verschiedenen Vereinen – etwa dem Luftsportverein Neuseenland -, die bestimmte Flächen nutzen dürfen. Aktuell startet er in der Nähe von Taucha, in Beilrode bei Torgau und in Teuchern bei Weißenfels. Es sei nicht so leicht, ein geeignetes Gelände zu finden. Die Flieger brauchen eine Wiese von mindestens einem Kilometer Länge, die sie mit einem Auto befahren dürfen. Außerdem das Okay des Eigentümers, der Naturschutzbehörde, der Gemeinde und des Luftfahrtamts in Dresden. Hünig sucht noch nach einem geeigneten Gelände im Süden von Leipzig. Und dann kam dem Fluglehrer noch Corona in die Quere. So richtig loslegen konnte er erst im Mai 2021. Aktuell sei die Nachfrage nach seinen Kursen in Ordnung. Es gebe aber noch freie Plätze für alle, die auch mal mit den Adlern durch die Luft kreisen wollen. Gina Apitz
Mehr Infos unter https://davids-flugschule.de