Leipzig. Es weht ein eisiger Wind am Hafen des Cospudener Sees. Ganz am Ende des langen Stegs, der ins Wasser ragt, liegt die MS Cospuden. Vor einigen Monaten drehte das Ausflugsschiff noch seine Runden über Leipzigs Badewanne. Doch seit längerer Zeit schaukelt das Boot nur noch festgemacht am Steg auf und ab.
Der Grund: Es wird von oben bis unten auf Vordermann gebracht. Kapitän Dirk Hoffsky macht einen großen Schritt, dann steht er in einem fast leeren Unterdeck. Kabel liegen haufenweise zwischen alten Messgeräten. Die Elektrik wurde komplett herausgerissen, genau wie die Sitzbänke, die Küche und das WC. „Es ist eigentlich nur noch der Motor drin“, sagt der Bootsbesitzer. Aktueller Stand der Wartungsarbeiten: „Wir sind gerade dabei, alles wieder zusammenzubauen.“
Im November 2020 ging es los mit dem umfassenden Umbau: 15 Prozent des Schiffskörpers bekamen neues Blech. „Es war sehr viel Rost im Schiff“, sagt Hoffsky. Die MS Cospuden ist eine alte Dame – Baujahr 1958. In den 1980ern wurde das Schiff zuletzt generalüberholt. Das ist lange her. „Danach ist nur noch geflickt worden. Das merkt man jetzt.“
Wenn Dirk Hoffsky von der Arbeit am Schiff berichtet, fallen Wörter wie „höhere Kosten“, „teurer als gedacht“ und „nicht geplant“. Der Schiffseigentümer macht klar: „Es ist fast ein komplett neues Schiff.“ Auf 150 000 Euro belaufen sich die Reparaturkosten bis jetzt. Gleichzeitig ist es ihm wichtig, den historischen Charakter zu erhalten. Die Küche und ein Großteil der Möbel werden wieder eingebaut – damit die MS Cospuden fast aussieht wie früher.
Trotz der immensen Kosten hat der heute 50-Jährige es bisher nicht bereut, dass er das Schiff vor drei Jahren gekauft hat. „Es macht trotzdem Spaß“, sagt er und lacht. Wenn man die Geschichte erzählen will, wie das Schiff zu Dirk Hoffsky kam oder umgekehrt, muss man in seiner Biografie ein ganzes Stück zurückgehen.
In jungen Jahren war Hoffsky Leistungssportler. Im Kanu paddelte er mit einem Affenzahn über Leipzigs Gewässer, nahm an Rennen teil: Sprint, Mittelstrecke, Marathon. „Dann kam die Wende und ich hab mit dem Sport aufgehört“, erzählt er. Aus dem Leistungssportler wurde ein Handwerker. 1993 gründete er eine eigene Elektrofirma. Seit 2008 zeigt Hoffsky außerdem Einheimischen und Touristen bei geführten Paddeltouren Leipzigs Gewässer. Später kam noch ein Bootsverleih am Kanal 28 dazu. Dann stand die MS Cospuden zum Verkauf – und Hoffsky sah ein neues Projekt auf sich zukommen. 20 Jahre lang schipperte das Schiff über den Cossi – es war in einem desolaten Zustand. Er gibt zu: „Wir haben das Schiff zum Schrottpreis gekauft.“ Gleichzeitig war ihm klar: „Es war alt und kaputt und musste repariert werden. Da wir ein Handwerksbetrieb sind, hab ich gesagt: Ist doch mal was anderes.“ Im Nachhinein gibt Hoffsky zu, dass diese Entscheidung „ein bisschen blauäugig gewesen ist“. Doch bereut hat er das Ganze bisher nicht. 50 000 Euro steckte er zunächst in die nötigsten Reparaturen, damit die alte Dame erst einmal weiterfahren konnte.
Allerdings wussten weder er noch seine Mitarbeiter, wie man so ein altes Schiff überhaupt steuert. Hoffsky kannte sich nur mit Kanus aus: „Ich durfte bis dahin kein Motorboot fahren.“ Wer ein Ausflugsschiff dieser Größe über den See steuern will, braucht mindestens das kleine Schifferpatent. Fünf seiner Leute – Hoffsky eingeschlossen – ließen sich also zum Kapitän ausbilden, lernten Vorschriften und Verkehrsregeln und legten die Prüfung ab. Dabei mussten sie verschiedene Manöver vorführen, etwa die Rettung eines Menschen, der über Bord gegangen ist. Und da fängt das Problem schon an, sagt der neue Kapitän: „Wenn ich mit dem Boot eine Kurve fahre, dauert das schon mal zehn Minuten.“ Schnell merkte er: „Es ist kompliziert, mit dem Schiff zu fahren.“ Das liegt daran, dass es ein altes Modell ist und immerhin 20 Meter lang. Es hat nur eine Antriebsmaschine und keine Steuerhilfen, bis auf das Ruder hinten. „Rückwärts fahren bei Seitenwind ist ganz schwierig, weil das Schiff dann irgendwo hinfährt“, sagt Hoffsky und auch Anlegen sei eine Kunst.
Der Kapitän erinnert sich noch, als er die MS Cospuden das erste Mal allein steuerte: „Da hab ich gedacht, ich komme nie wieder an den Steg oder der Steg ist hinterher kaputt.“ Zur Hilfe stand den Anfängern der Vorbesitzer des Schiffs: Frank Sporleder betreute Hoffsky und sein Team im ersten Jahr, erklärte ihnen die Tücken der alten Dame. Da man nicht alles überblicken kann, muss das Boot immer zu zweit gesteuert werden. Absprache ist das A und O an Deck.
Trotz der Unterstützung gab es für den jungen Kapitän anfangs immer wieder Schreckmomente: Segelboote, die nicht auswichen, Surfer, die er beinahe überfahren hätte. Zum Glück gingen solche kritischen Situationen bisher gut aus. Aber: „Das Schiff ist kein Auto, was man abbremsen kann.“ Man müsse immer 200 Meter im Voraus planen. Was viele nicht wissen: Die MS Cospuden hat auf dem See generell Vorfahrt.
Kommt dem Boot trotzdem jemand in die Quere, kann der Kapitän hupen und sollte generell langsam fahren, um keine Schwimmer zu gefährden. Doch Hoffsky hat festgestellt: „Im Sommer ist es manchmal nicht einfach, eine freie Bahn zu finden.“ Gefährlich sei es vor allem beim Rausfahren aus dem Hafen. Dort drohte schon öfter eine Kollision mit Seglern. „Wir haben zwar das Recht, sie umzufahren, aber das wollen wir natürlich nicht“, sagt der Kapitän.
Ein weiteres großes Thema ist der Wind: „Wir haben schon Probleme gehabt, aus dem Hafen überhaupt rauszukommen wegen des starken Windes.“ Das ist auch der Grund, warum es am schwierigsten sei, am Nordstrand anzulegen: „Der Steg ist der kleinste und dort gibt es den meisten Wind.“
Bei den Linienfahrten hält das Schiff außerdem an der Bistumshöhe an. Dann geht es zurück zum Hafen. Eine Stunde dauert die Rundtour über den überschaubaren See. Wie spannend ist es denn auf dem Cossi Boot zu fahren?
Dirk Hoffsky findet, für Gäste außerhalb von Leipzig sei es auf jeden Fall „kurzweilig“. Und: „Das Schiff ist ein besonderer Eventraum – diese Atmosphäre ist das Besondere.“ Wer will, kann das Boot für eine Charterfahrt mieten. In der Woche kommen Busunternehmen, es werden an Deck Geburtstage gefeiert oder Hochzeiten. Selbst ein russischer Kirchenchor traf sich schon an Bord. „Es ist doch was anderes, wenn ich auf dem Wasser sitze, als wenn ich in der Stadt in irgendeinem Restaurant sitze“, sagt Hoffsky. „Das macht das Besondere aus, nicht die Strecke, die man damit fahren kann.“
Weil das Schiff eine Heizung hat, wurde vor zwei Jahren auch noch eine große Silvesterparty dort gefeiert. Im ersten Corona-Jahr 2020 fuhr die MS Cospuden noch, allerdings mit halber Belegung, es lohnte sich schon nicht so recht, sagt Hoffsky. Er nutzt die Zwangspause nun dafür, das Boot auf Vordermann zu bringen. Dafür musste es im Mai vergangenen Jahres aus dem Wasser geholt werden. Eigentlich geht das nur mithilfe eines Krans, der das 30-Tonnen-Schiff hinauswuchtet. Dirk Hoffsky aber ließ einen eigenen Hänger konstruieren, mit dem er das Schiff aus dem Wasser hob. Schwierig war die geringe Wassertiefe, die Slipanlage am Hafen ist für so eine Aktion nicht ausgelegt. Mit einem Traktor wurde das Schiff schließlich an Land gezogen.
Das nächste Problem war die Suche nach Fachleuten, die das Schiff reparieren konnten. Nachdem er nicht fündig wurde, mussten sich zwei Mitarbeiter seiner Firma weiterbilden. Denn: „Schiffselektrik hat nichts mit Haustechnik zu tun – das ist ein komplett anderes Feld.“ Sie machen das Boot nun Stück für Stück wieder flott. Im März soll das Schiff wieder seine Runden über den Cossi drehen.
Schiff hin oder her – das Kanufahren hat Dirk Hoffsky bis heute nicht ganz los gelassen. Wenn er gestresst ist, setzt er sich in seinen Einer und paddelt los – „zum Gedanken frei kriegen“. „Bevor ich jemanden anschreie, gehe ich paddeln.“ Manchmal nimmt er seine zwölfjährige Tochter mit, aber sie steckt mitten in der Pubertät und hat nicht immer Lust auf eine gemeinsame Tour.
Und dann ist da noch Hoffskys Drachenboottrainingsgruppe: „Wir paddeln jeden Montag, egal bei welchem Wetter.“ Mit der Truppe war auch schon viel unterwegs – in Frankreich und in Venedig. Bis 2015 nahm Hoffsky auch noch an Paddel-Wettkämpfen teil. Inzwischen ist das Ganze nur noch ein Ausgleich zum Job. Wenn er Zeit findet fürs Training, fährt er jetzt lieber „gemütlich“, sagt er.
Für sein persönliches Wohlbefinden engagierte er im Vorjahr einen eigenen Fitnesstrainer, mit dessen Hilfe er 20 Kilogramm abnahm. Hoffsky wiegt jetzt 95 Kilo bei einer Größe von 1,84 Meter und er ist zufrieden. Der Trainer erstellte einen Plan, half bei der Ernährungsumstellung. Das Coaching fand die meiste Zeit via Skype statt. „Das hat funktioniert.“ Weitere Ziele für die Zukunft hat sich Hoffsky vorerst nicht gesteckt: Aktuell macht er sich wegen Corona Sorgen, ob er mit dem Schiff im März schon wieder durchstarten kann. Doch er hofft auf einen Sommer mit vielen Ausfahrten.
Dann kann er endlich wieder auf seinem Lieblingsplatz sitzen: auf der Terrasse auf dem Oberdeck der MS Cospuden: „Der schönste Platz am Hafen.“ Tatsächlich hat man von hier oben einen guten Blick über den See. Über Hoffsky kreischt eine Möwe. Wenn er die Augen schließt, kann sich der See-Kapitän für einen Moment vorstellen, er wäre am Meer. Gina Apitz
