Leipzig. „Die Idee war eigentlich nicht neu und irgendwie lag es mir auch im Blut“, überlegt Ralf Rangnick und erzählt mit einem Lächeln davon, schon in der fünften Klasse einen Aufsatz über den Berufswunsch Lehrer geschrieben zu haben: „Wenn ich in der Schule etwas zum Essen dabei hatte, einen Apfel oder eine Tafel Schokolade – dann habe ich davon am wenigsten gegessen.“ Dieser Gedanke ans Teilen, ans Bilden, an Teilhabe und Solidarität hat inzwischen einen Namen und einen Gestaltungsrahmen: die Ralf Rangnick Stiftung. Seit 2018 ist die Bildungsstiftung mit Sitz in Leipzig aktiv und zwar mit bemerkenswerten Projekten wie der „Stadtteiloper Leipzig“ oder ganz aktuell mit „Gesund & Cool“ …
… dafür stellte sich Ralf Rangnick im September mit großer Freude selbst an den Herd, im Leipziger Kinder-Erlebnis-Restaurant. Um mit Kids aus der Schule am Rabet leckere Käse-Dinkel-Crêpes mit Spinat-Lauch-Füllung zuzubereiten. Genau dies steckt hinter diesem einzigartigen Präventionsprojekt: Hilfe zur Selbsthilfe – wie schafft man es, sich lecker und trotzdem gesund zu ernähren? Und damit Kindern die Chance darauf zu geben, eben auch Kind zu sein – mit allem Drum und Dran.
„Wir haben dies in der Stiftung intensiv diskutiert. Darüber, dass mangelnde Bewegung und eine nicht sonderlich gute Ernährung längst große Probleme geworden sind“, überlegt der Stiftungsgründer. „Heute ist die Situation für Kinder ganz anders als in meiner Kindheit, allein schon durch Smartphones & Co.“ Dabei ist er davon überzeugt, dass Bewegung, das Ausprobieren, das Herumtoben zwingend zur Kindheit gehören. „In den acht Stunden im Freibad haben wir sechs verschiedene Sportarten ausgeübt. Das ist heute in einem Freibad gar nicht mehr möglich. Fragen Sie mal ein Kind, wann es das letzte Mal auf einen Baum geklettert ist.“
Themen, die Ralf Rangnick schon seit langem bewegen. Nicht nur die hinsichtlich einer gesunden Lebensweise, sondern auch bezüglich einer Teilhabe für alle Mädchen und Jungen, unabhängig davon, wie gut das Portemonnaie der Eltern gefüllt ist. „Jedes Kind ist wertvoll.“ Es ist dieser Satz, der über der gesamten Arbeit der Ralf Rangnick Stiftung steht. Als Ziel und Leitbild, als ausgesprochene Vision. Und als großer Anspruch, für den man etwas tun muss. Denn auf die Fragen nach der ungesunden Lebensweise, der mangelnden Bewegung von Kindern, antwortet Ralf Rangnick mit einer Gegenfrage: „Was können wir tun, um dies zu ändern?“ Da ist er zu erkennen, der pragmatische Macher. Der dann mit einem feinen Lächeln erklärt: „Ich bin schnell zu begeistern.“ Mit einem Lächeln deshalb, weil er in den Jahren der Stiftungsarbeit eines gelernt hat: „Man muss sich auf die wichtigen Projekte fokussieren, mit denen man wirklich etwas bewegen kann.“
Eigentlich hatte er die Stiftungsidee schon in den Jahren 2012/2013. Losgelassen hatte sie ihn nicht mehr, auch wenn damals die Zeit fehlte, um sich richtig reinzustürzen, in den nicht gerade kleinen Aufwand der entsprechenden Gründung. Die Idee ist geblieben, weil das Interesse für das Thema Bildung immer vorhanden war. „Das Lehrer-Trainer-Gen war schon immer da“, überlegt Ralf Rangnick. Deshalb fing er schon im zarten Alter von acht Jahren an, seine Mitspieler auf dem Platz zu coachen. Und deshalb war die Entscheidung für das Lehramtsstudium naheliegend: „Mir ist damals auf dem Fußballplatz klar geworden, dass ich mit Menschen und vor allem mit Kindern arbeiten möchte. Auch wenn dann aus dem Schullehrer der Fußballlehrer wurde.“
Doch da gibt es noch einen anderen Punkt, den des eigenen Erlebens. Aufgrund der eigenen Geschichte als Kind heimatvertriebener Eltern kennt er jene Situation, die man gern mit dem Euphemismus „aus einfachen Verhältnissen kommend“ verklärt. Die Eltern von Ralf Rangnick hatten sich einst im sächsischen Flüchtlingslager in der Nähe von Lichtenstein kennen und lieben gelernt, was sicherlich die Verbundenheit zum Freistaat erklärt. Er kennt den Verzicht und daraus erwachsend die Idee von Solidarität: „Ich wollte immer, dass es allen gut geht. Teilen war für mich eine Selbstverständlichkeit.“ Und andererseits weiß er um die Nachteile der fehlenden Möglichkeiten: „Wenn es etwas gibt, das ich heute wirklich bedauere, dann ist es die Tatsache, dass ich durch die Lebensumstände in meiner Kindheit nie gelernt habe, ein Musikinstrument zu spielen.“
Heute setzt er – mithilfe seiner Mittel und Möglichkeiten – alles daran, benachteiligte Kinder auch musikalisch zu unterstützen. Was einen weiteren Blick auf die Ralf Rangnick Stiftung ermöglicht: Klar liegt es nahe, dass der Stiftungsgründer sich bei seinem (leistungs-)sportlichen Background Themen wie gesunde Ernährung oder den Weg aus der Bewegungsarmut auf die Fahnen schreibt, aber sein Blick geht von Anfang an weit über diesen Tellerrand hinaus. Weshalb eben auch die Musik in den Fokus kam, angeregt von einem wahren „Gänsehaut-Erlebnis“ in Bremen. Denn da erlebte Ralf Rangnick hautnah, was man erreichen kann mit einer Stadtteiloper. „Davon hatte mir Albert Schmitt, Dirigent der Deutschen Kammerphilharmonie in Bremen, erzählt“, erinnert er sich an den Moment der Premiere in der Hansestadt: „Bei der Aufführung waren 500 Kinder dabei. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.“ Der Schluss lag nahe: In einer Musikstadt wie Leipzig müsse es so etwas doch auch geben. Und inzwischen gibt es tatsächlich eine Stadtteiloper Leipzig, welche dank der Initiative der Ralf Rangnick Stiftung, aber auch durch die Unterstützung der Projektpartner wie der LEIPZIGSTIFTUNG, der Nachbarschaftsschule und der Academy of Music im September 2022 in der Musikalischen Komödie uraufgeführt wird.
Dies ist wohl auch ein Erfolgsgeheimnis der Stiftungsarbeit – die Stadt Leipzig mit ihrer Tradition des Bürger-Engagements. Im Prinzip, glaubt Ralf Rangnick, sei das „was wir in der Stiftung machen“ ja auch nichts anderes als die Fortführung dieser Tradition. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Messestadt nicht nur der Sitz der Stiftung ist, sondern dass hier besondere Förderprojekte wachsen und gedeihen. Ein Grund dafür ist sicher, dass Ralf Rangnick und sein Stiftungsteam es sich zur Aufgabe gemacht haben, zuzuhören – in der Stadtverwaltung, in den Grundschulen, bei den Lehrerinnen und Lehrern der Stadt – auf der Suche nach Antworten auf die entscheidende Frage: Wo drückt der Schuh? Ehe das erste Projekt aus der Taufe gehoben wurde, stand gerade in den ersten Tagen der Gründung der Stiftung das Zuhören ganz oben auf der To-Do-Liste: „Wir haben alle Direktorinnen und Direktoren der Leipziger Grundschulen zu einer dreistündigen Klausur eingeladen – und am Ende haben wir das Problem von fehlenden Möglichkeiten für den Erwerb eines Fahrradführerscheins daraus mitgenommen.“
„Mich hat schon gewundert, dass dies so viele Schulen gleichzeitig betrifft“, sagt Rangnick nachdenklich. Nach dem Erstaunen kam umgehend der Pragmatismus: Einfach loslegen in dieser Bürgerstadt Leipzig, in dem Netzwerk, das sich Ralf Rangnick aufgebaut hatte. Vorhang auf für das erste Stiftungsprojekt: „Sattelfest“. Die beiden zu mobilen Verkehrsschulen umgebauten VW Crafter wurden zu einer echten Erfolgsgeschichte. Bis Corona kam und auch die Stiftungswelt deutlich veränderte. Weil das Hingehen zu den Kindern plötzlich kaum noch möglich war. Das Projekt pausierte gute anderthalb Jahre: „Jetzt müssen wir es neu sortieren, auch weil man die entsprechende Fahrradprüfung nach einer neuen Verwaltungsvorschrift nicht mehr im öffentlichen Raum durchführen darf.“
Rückschläge, die aufhalten, aber nicht aus der Bahn werfen. Weil sich nicht nur bei „Sattelfest“ das Zuhören lohnte, sondern auch bei den anderen Machern, den Unternehmern und Entscheidern in Leipzig, zum handfesten Ergebnis führte. Warum nicht den Grundschulen der Stadt Paten an die Seite stellen, ganz nach dem Motto „Unternehmen machen Schule“. Das war das Projekt Nummer 2. Gewissermaßen ein zeitgemäßes Update der „Patenbrigade“, von deren DDR-Tradition berichtet wurde. „Auch hier war uns eines ganz wichtig: die Nachhaltigkeit“, sagt Ralf Rangnick, selbst Pate bei zwei Leipziger Grundschulen: „Und da haben wir in den letzten Jahren eine Menge richtig gemacht – aktuell haben wir rund 30 Paten für Leipziger Grundschulen im Projekt ’Unternehmen machen Schule’.“
„Sattelfest“, „Unternehmen machen Schule“, die „Stadtteiloper Leipzig“, jetzt ganz neu „Gesund & Cool“ – es ist schon eine bemerkenswerte Bilanz, die seine Stiftung nach vier Jahren Arbeit vorweisen kann. Was dann aber wiederum zu der Frage führt, wie man ihn eigentlich messen kann, den Erfolg einer präventiven Arbeit. „Das ist etwas komplett anderes als beispielsweise die Tätigkeit bei RB Leipzig: Da waren sportliche Erfolge konkret am Tabellenplatz messbar – auch für Menschen, die sich nicht einmal für Fußball interessiert haben“, überlegt er und berichtet von seiner Methode, sich ein unmittelbares, direktes Feedback einzuholen: Einfach Zeit nehmen, um Patenschulen zu besuchen. Zum Zuhören, Reden und Beobachten. Danach sei er immer mit einem Grinsen im Gesicht nach Hause gegangen. Und dem guten Gefühl: „Da ist alles richtig, was wir machen.“
Es sind diese Momente, die Kraft und Motivation geben. Die aber auch das Band zur Stadt Leipzig fester knüpfen. Ralf Rangnick erzählt davon, dass er in den Jahren der Stiftungsarbeit die Stadt noch einmal ganz neu kennengelernt hat: „Auf einmal gab es Einblicke in Bereiche, die ich sonst niemals bekommen hätte.“ Er spricht von Begegnungen mit Kindern, die nicht wissen, wie eine Tomate schmeckt, die kein Fahrrad fahren können und die noch nie im Kino oder Theater waren. Neue Erkenntnisse, neue Erlebnisse, die seinen Horizont erweiterten und die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns nachhaltig unterstreichen konnten.
Wie sieht die Zukunft aus? „An Ideen mangelt es nicht“, sagt Ralf Rangnick mit einem Lächeln: „Manchmal tauchen Ideen wie Sternschnuppen auf.“ Aktuelle Probleme, an denen man ansetzen kann, finden sich allerorts, sodass man eher auf den bereits erwähnten Fokus setzen muss. Andererseits: Könnte eine Einrichtung wie die Ralf Rangnick Stiftung eines Tages in einer gerechten Gesellschaft überflüssig sein? „Ich denke nicht, dass dieses Szenario Realität werden wird“, sagt er und ergänzt: „Jedes einzelne Kind sollte gestärkt werden in seinem Selbstbewusstsein. Und jedes einzelne Kind sollte geachtet werden.“ Da gebe es noch eine Menge zu tun.
Und dies erst recht in schwierigen (Corona-)Zeiten, die auch die Arbeit der Ralf Rangnick Stiftung ordentlich durcheinandergewirbelt haben. Weil es kompliziert war, Projekte wie „Sattelfest“ unter den gegebenen Hygienemaßnahmen umzusetzen. Und weil es auf einmal schwierig wurde, die Finanzierung aller Projekte auf eine sichere Basis zu stellen, da Benefiz- und Netzwerkveranstaltungen ausfielen. Doch es gab eben auch positive Erfahrungen, wie diese, dass Leipzigerinnen und Leipziger in die Bresche gesprungen sind: „Wir haben schon gespürt, dass vielen Unternehmen in der Stadt soziales Engagement sehr am Herzen liegt und dass viele Menschen helfen wollen.“ Es sind Projekte wie die Eröffnung des Snoezelenraums für Schülerinnen und Schüler der 66. Grundschule, welche Ralf Rangnick mit seiner Stiftung und dank der Unterstützung aus der Leipziger Wirtschaft, wie hier der Leipziger Messe GmbH, umsetzen kann.
Wieder ein Punkt, der für Leipzig als Stiftungssitz spricht, auch wenn Ralf Rangnick über die Stadtgrenzen hinausdenkt, an bundesweite Projekte und an eine wunderbare Idee: „Mir gefällt der Gedanke, dass die Stiftung einen wichtigen Beitrag dazu leistet, dass viele Kinder mit Freude lernen, mit Leidenschaft musizieren, gesund leben und mit Begeisterung Sport treiben. Und zwar unabhängig von Status, Herkunft und Geschlecht.“ Und zum Schluss ergänzt er: „Meine Vision? „Ich wünsche mir, dass sich noch viel mehr Menschen sozial und gesellschaftlich engagieren.“ Jens Wagner
Informationen zur Ralf Rangnick Stiftung: www.ralfrangnickstiftung.de