Seit April leitet Livia Maria Andreas den Fachbereich Stadtentwicklung und Bau in der Altenburger Stadtverwaltung. Foto: Ralf Miehle

Altenburg. Dass sich Livia Maria Andreas in der Gegenwart mit solchem Nachdruck, mit ausgesprochenem Elan, ganz viel Temperament und mit unkonventioneller Kreativität für eine ideenreiche und nachhaltig-gesunde Städtebauentwicklung engagiert, das hat nach ihren Aussagen mit Kindheitserlebnissen zu tun.

Ganz kurz vor ihrer Geburt ereilte ihre Heimatstadt Bukarest am 4. März 1977 ein schweres Erdbeben, dessen Erschütterungen erhebliche Bereiche der wertvollen, historisch gewachsenen Bausubstanz zerstörte oder stark beschädigte, was in der Folge zu flächenmäßig großen Abrissen und einer vermeintlich sozialistisch anmutenden Neubebauung durch Diktator Nicolae Ceausescu führte.

Die traditionelle urbane Struktur großer innerstädtischer Bereiche ließ der damalige Regierungschef fast vollständig durch ein kolossal erscheinendes politisch-administratives Zentrum ersetzen. An die Stelle der einstigen Bauten traten nach und nach neue Symbole einer monumentalen Machtdemonstration – mit dem Parlamentspalast als Kernstück und dominierendem Element.

So verschwand peu à peu alles, was die Kindheit der heranwachsenden Livia Maria Andreas ausgemacht hatte – die geliebten Plätze zum Spielen, Toben, Verstecken und Entdecken gab es nicht mehr. Stattdessen setze sich eine Stadtentwicklung durch, die ihren Vorstellungen so völlig zuwider lief. Was letztlich dazu führte, dass die junge Frau den Entschluss fasste, Architektur zu studieren und urbane Entwicklung nach den Idealen eines demokratischen Systems zu befördern und zu gestalten. Und so wundert es ebenso nicht, dass sie das Potenzial der Stadt Altenburg erkennt und schätzt – und hier vor allem auf den Erhalt, kostengünstige Sanierung und Entwicklung der gewachsenen historischen Bausubstanz anstatt auf Abriss und fortwährenden Neubau setzt. Und vor allem: auf rege Bürgerbeteiligung und Netzwerke. Doch der Reihe nach.

Lange, sehr lange hat es gedauert, dass die Leitung der Baubehörde in der Altenburger Stadtverwaltung wieder besetzt wurde. Fast drei Jahre gingen ins Land, dass die Rathausführung die Stelle mehrfach ausschrieb und nach einem geeigneten Kandidaten oder einer geeigneten Kandidatin Ausschau hielt. Denn dieser Position wurde größtes Gewicht zugemessen – auch mit Blick auf die Verwirklichung der Zukunftsvision 2030, die Altenburgs Oberbürgermeister sich zum Ziel gesetzt hat.

Letztlich überzeugte Livia Maria Andreas und setzte sich gegenüber anderen potenziellen Bewerbern und Bewerberinnen durch. Seit dem 1. April dieses Jahres ist sie im Amt in ihrer Funktion als Fachbereichsleiterin Stadtentwicklung und Bau. Zu diesem gehören circa 30 Mitarbeiter. Er umfasst die Fachdienste Stadtentwicklung, Bauverwaltung, Hochbau sowie Liegenschafts- und Gebäudemanagement.

In den Verantwortungsbereich der neuen Fachbereichsleiterin fallen damit so gewichtige Schlüsselprojekte wie die Schaffung der „Spielewelt“ im Josephinum und der Um- und Ausbau des Ernestinums zum künftigen Sitz der Stadtbibliothek. Außerdem auch das Schwerpunktprojekt der Bewerbung Altenburgs um die Landesgartenschau 2028, der Livia Maria Andreas auf dem Weg zur Erreichung wesentlicher Ziele ihrer Stadtentwicklungskonzeption einen großen Stellenwert beimisst.

„Ich war sehr angetan von dem Vertrauen, das man mir geschenkt hat“, sagt die gebürtige Rumänin mit Verweis auf die Bedeutung ihrer Leitungsposition für die Stadt Altenburg und deren weitere Entwicklung. Und der studierten Hochbauarchitektin, die zuletzt bei der Stadt München als Abteilungsleiterin größere Bauprojekte betreute, bedeutet die neue Stelle ihrerseits ebenso viel: „Stadtentwicklung hat mich schon immer besonders angesprochen.“

Wie ernst die Beamtin das meint, illustriert sie mit der Geschichte, wie sie zur Baukunst kam und warum sie sich dabei immer wieder intensiv mit Stadtentwicklung beschäftigte. Bis sie 16 Jahre alt war, sollte die aus einer Gelehrtenfamilie stammende Andreas, die Rumänisch, Deutsch, Französisch und Englisch spricht, Musik studieren. Weil sie sich aber für zu wenig talentiert hielt und ein Handwerk lernen wollte, entschied sie sich nach einem Erlebnis der etwas anderen Art für Architektur, die für sie die perfekte „Verbindung aus Handwerk und Kunst“ darstellt.

„Ich hatte ein synästhetische Erfahrung“, erzählt Livia Maria Andreas und erinnert sich, was passierte, als sie 1993 einen Gebäudekomplex des rumänischen Architekten Horia Creanga am Palastplatz in Bukarest betrachtete. „Ich dachte, das Gebäude redet mit mir.“ Es müssen deutliche Worte gewesen sein, die sie beim Blick auf die größtenteils in den 1930er Jahren fertiggestellten Häuser vernahm. Denn noch heute leuchten ihre Augen, wenn sie davon erzählt. Damit war zugleich ihre Faszination für Creanga geboren, der als Galionsfigur der Bukarester Moderne gilt, die Parallelen zum Bauhaus aufweist.

So begann die junge Frau nach dem Abitur, das sie an einem deutschen Gymnasium in Bukarest ablegte, am Institut für Architektur und Urbanistik „Ion Mincu“ zu studieren und wechselte zwei Jahre später – nach einem kurzen Paris-Aufenthalt – an die renommierte Bauhaus-Universität nach Weimar. Und das äußerst bewusst. „Ich hatte mich über alle wichtigen und namhaften Universitäten in Europa informiert, an sieben deutschen hatte ich mich beworben und bekam auch von allen sieben Lehrinstituten eine Zusage. Aber ich wollte unbedingt nach Weimar: „Das war damals aus meiner Sicht der beste Ort, Architektur zu studieren“, sagt sie und begründet das mit „der Qualität der Lehre“, aber auch dem günstigen Lebensunterhalt in der Kulturstadt. Dort übernahm sie als erste Frau auch den Vorsitz des Verbands ausländischer Studierender.

Überaus dankbar, das sei im Zusammenhang mit ihrem Ausbildungsweg an dieser Stelle angemerkt, zeigt sie sich über Förderungen, die sie begleiteten: die Peter Fuld Stiftung, die sie zwei Jahre mit einem Stipendium unterstützte und die Alfred Töpfer Stiftung, die ihr Studium ein Jahr finanzierte, benennt sie, ebenso die Bauhaus-Universität Weimar, die sie mit dem DAAD-Preis 2001 ehrte. Ohne diese Stipendien wäre der Beginn des Berufslebens ganz anders, mit Sicherheit nicht so fokussiert, verlaufen, ist sie sich sicher.

Schon in Livia Maria Andreas’ Diplom-Arbeit mit dem Titel „Patched Urbanism“ ging es um die Fragen: „Wie kann man eine Stadt als Ganzes planen? Kann man das überhaupt?“ Als Beispiel diente Bukarest, das nach dem eingehend bereits erwähnten Erdbeben im März 1977 nach dem Willen des Diktators Nicolae Ceausescu in Teilen abgerissen und neu gebaut wurde. Und das, obwohl die von einem architektonischen Stilgemisch aus byzantinischen, barocken, aber auch orientalischen und modernen Gebäuden geprägte Hauptstadt Rumäniens den Zweiten Weltkrieg fast unbeschadet überstanden hatte und das Stadtzentrum als Flächendenkmal bereits seit den 1930er Jahren unter Schutz stand.

Dieses Vorgehen gegen den Willen eines Großteils der Bevölkerung macht die Bauexpertin noch heute wütend: Ein Frevel, findet Andreas und sagt zu den Schneisen mit Monumenten im „Zuckerbäckerstil“, die bis Ende der 1980er-Jahre in Bukarest entstanden: „Uns wurde der Platz zum Spielen genommen und nach und nach immer mehr Raum, in dem wir vorher gelebt haben.“ Der Ärger darüber ist bis heute Triebfeder in der Arbeit der neuen Altenburger Bauamtschefin. Das zieht sich durch ihr Zweitstudium der Urbanistik mit Schwerpunkt Stadtsoziologie in Weimar, das sie mit einer Arbeit zu strategischer Planung in Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg und der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung abschloss, wie durch ihr anschließendes Berufsleben.

Auf diesem bisherigen Weg ist für sie ein Aspekt wie ein roter Faden all ihrer Intentionen und Bemühungen sichtbar: „Ich habe mich immer mit kostengünstiger Altbausanierung beschäftigt, und das ist nach wie vor und auch in Zukunft mein Schwerpunkt“, betont sie.

Während ihres Studiums arbeitete Livia Maria Andreas als Dolmetscherin und war danach bei freien Architekturbüros tätig, ehe sie über ein Referendariat in Stuttgart in den Staatsdienst fand. Dabei wirkte sie am Strukturwandel im Ruhrgebiet genauso mit wie an der Entwicklung kleinerer, mittlerer und größerer Städte in Bayern und in Norddeutschland.

Nun also ist sie in Altenburg angekommen, jener Stadt, die ihr neben den vielen Denkmälern auch durch Ziegenkäse und Bier bekannt war. Neben der passenden Stelle gab es für Livia Maria Andreas aber noch einen ganz privaten Grund, nach Thüringen zurückzukehren: ihren Mann, mit dem sie seit 2003 verheiratet ist. Der ist ebenfalls Architekt, kommt aus Erfurt und arbeitet in Leipzig. „Ich freue mich, ihn nun jeden Tag zum Frühstück zu sehen“, sagt die 44-Jährige. „Das ist ein Gewinn an Lebensqualität.“

Diese möchte sie jetzt auch für die Bewohner der Skatstadt steigern. „Ich will runter vom hohen Ross der Planung, hin zu einer bürgernahen, partizipativen Stadtentwicklung“, formuliert die Fachfrau ihr Hauptziel. Es gehe darum, fachliche Dinge zu nutzen, „um den Menschen das zu geben, was sie brauchen. Partizipation ist Artikulation“, zitiert die Bauamtsleiterin den Leitsatz des Schweizer Soziologen Lucius Burckhardt. „Es geht darum, eine Plattform zu bieten und Orte zu gestalten, wo Artikulation der Bürger möglich ist.“

Einige konkrete Ideen hat Andreas bereits mit ihrer Bewerbung eingereicht. „Es geht darum, ungenutzte Immobilien zu entwickeln und zu beleben“, deutet sie an. Ansonsten betont sie die drei Säulen Schlossberg, Großer Teich und Innenstadt. „Und wir setzen alles auf die Landesgartenschau.“

Bei der Vorbereitung dieses Großereignisses, das für Altenburg einen bedeutenden Entwicklungsschub bringen könnte, war und ist Livia Maria Andreas eine intensive Bürgerbeteiligung wichtig – so wie sie sich diesen permanenten Dialog auf Augenhöhe ohnehin für ihre Arbeit und die ihrer Mitstreiter im Fachbereich Stadtentwicklung und Bau ganz kontinuierlich wünscht. „Unser Amtssitz in der Neustadt 7 steht zu den Sprechzeiten immer offen, sagt sie und ermuntert regelrecht zu Anregungen ebenso wie zu Diskussionszündstoff: „Kritisieren Sie uns und unsere Arbeit“.

Erkunden und wissen müsse man, was sich die Bürger der Stadt wünschen. Und diese Erkenntnisse schließlich mit dem Fachwissen und der Kompetenz der Baubehörde und Stadtentwicklung auf realistische Füße stellen und eine Umsetzung ermöglichen. „Ich möchte Dinge bewegen“, betont unsere Gesprächspartnerin und ist sich sicher: „Man kann den Leerstand in den nächsten fünf Jahren halbieren“.

Was die Laga 2028 angeht, so wird in Kürze im Detail von den endgültigen Vorstellungen öffentlich zu hören sein. Die entsprechende Studie liegt derzeit den Ausschüssen vor und wird im September im Altenburger Stadtrat beraten. Der Grundgedanke, von dem sich das Konzept leiten lässt, basiert auf der Erkenntnis, dass Altenburg an sich schon beste Voraussetzungen für eine Landesgartenschau mitbringt – die Stadt als Gartenschau.

Das grüne Potenzial der Stadt soll durch die Laga zur Entfaltung gebracht werden: Statt große Flächen neu anzulegen, soll das Vorhandene aufblühen und miteinander verbunden werden. Dabei konzentrieren sich die Planer auf das Stadtzentrum – auf Bereiche vom Marktplatz über Pohlhof, Brühl, Theaterplatz entlang der Blauen Flut bis zu den Fischhältern am Kleinen Teich und hin zum Großen Teich. Ralf Miehle/TH

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